Hier reicht der Blick bis in die Ewigkeit
Predigt zum 19. Sonntag im Jahreskreis (B)
1 Kön 19,4-8 und Joh 6,41-51
Wieder geht es im Evangelium heute um Brot. Vielleicht denken Sie, dass es dabei im Grunde immer wieder um dasselbe gehe. Doch das will Johannes so nicht. Der vierte Evangelist erzählt nämlich nicht einfach einen Handlungsablauf. Er umkreist, ja er meditiert vielmehr das, wovon wir und unser Glaube leben. Im Focus steht Jesus, der von sich sagt, er sei „das lebendige Brot, das der Welt das Leben gibt“ (Joh 6,51). Darf ich Sie einladen, mit mir auf der Spur des Lieblingsjüngers Jesu ihm nachzuspüren? Ich bin überzeugt, dass wir dann eine innere Dramatik entdecken können, die uns in ihren Bann zu ziehen vermag.
Da murren die Juden gegen Jesus und seinen Anspruch und der muss ja auf ihren Widerstand stoßen, denn sie wissen um die Herkunft Jesu Bescheid: Ist das nicht Jesus, der Sohn Josefs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt sagen: Ich bin vom Himmel herabgekommen? – Klar, es geht um den Glauben. Jene, die da murren, sehen nur bis zu ihrer Nasenspitze. Glauben heißt: Weiter sehen! Über den Horizont hinaus gehen!
Jesus will uns mit seinem Wort ansprechen. Genau daran können wir erkennen, was Glaube zutiefst und eigentlich meint. Wenn ich wirklich glauben will, dann muss ich bereit sein, mich vom Wort Gottes treffen und leiten zu lassen. Dabei muss mir bewusstwerden, dass Gottes Anrede an mich immer viel größeres aussagt, als ich erfassen kann. Und dazu braucht es als Grundlage mein Vertrauen in Gott, das heißt, ich darf dann nicht misstrauisch ständig prüfen, wie weit ich etwas verstehen kann, wie weit es mir einleuchtet oder nicht. Ich muss weiter sehen! Das ist vergleichbar mit dem Vertrauen, das ich einem Menschen schenke. Wenn solches Vertrauen echt sein soll, dann muss es vorbehaltlos geschenkt werden. Misstrauen hilft dabei nicht. Natürlich muss bei aller Empathie auch die Vernunft mit im Spiel bleiben. Und ebenso darf auch der Glaube an Gott niemals, ich betone das, niemalsunvernünftig sein, niemals fundamentalistisch, niemals fanatisch, nach dem Motto: Wenn ich glaube, schalte ich den Verstand aus. Wenn ich Gott vertraue, an ihn glaube, so werde ich als Glaubender das, was mir das Evangelium zuspricht, aufnehmen wie ein Hungernder das Brot, das mir helfend angeboten wird. Wenn man dann erst lange untersuchen wollte, ob das Brot auch schmeckt und bekömmlich ist, würde man damit nur zeigen, dass man im Grunde gar keinen Hunger hat. Habe ich aber Hunger, dann esse ich einfach das Brot und spüre, wie es mich sättigt. „Selig die hungern und Durst haben“,sagt Jesus in der Bergpredigt (vgl. Mt 5,6). Aber sindwir denn Hungernde? Glauben wir, dass das Brot des Evangeliums trotz seines Alters von fast zweitausend Jahren nicht schimmlig geworden ist, sondern dass es seine Frische und Kraft behalten hat? „Herr, gib uns immer dieses Brot“ (Joh 6,34), so sagen die Menschen um Jesus. „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben“ (Joh 6,35) antwortet ihnen der Herr. Das sind Worte, die veranschaulichen, wer Jesus für uns sein will. Jesus, das Brot des Lebens, hat kein Verfallsdatum, zu dem es ungenießbar würde. Er ist für uns wie das tägliche Brot: Es nährt, es stärkt uns, und – auch das ist wichtig – es ermöglicht uns zu teilen. Ohne das Grundnahrungsmittel Brot können wir auf Dauer nicht bestehen. Sehr anschaulich wird das in der Lesung aus dem ersten Buch der Könige (vgl. 1 Kön 19,4-8) erzählt, in welcher der an seinem Leben zu verzweifeln drohende Elija von dem Brot und dem Wasser, das ein Engelihm reicht, gestärkt und ermutigt seinen Weg weitergeht.
Und noch etwas klingt in diesen Worten an: Leben und Glauben müssen sich, um fruchtbar zu sein, gegenseitig durchdringen. Nur dann weitet sich der Blick. Das heißt: Ich kann nicht nur sonntags Christ sein! Das grundlegende Vertrauen und der daraus wachsende Glaube und das, wozu er „befähigt“, ist nicht zuerst eine Anstrengung meines Willens und Verstandes. Da ist mein Vertrauen und die Entscheidung, dieses Vertrauen einzusetzen, um zu glauben. So wächst die Fähigkeit zu glauben, und im Akt des Glaubens spüre ich, das ist ein Geschenk, das ist Gnade. So haben wir es am letzten Sonntag gehört: „Das ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat“, sagt Jesus (Joh 6,29).Dabei gibt es Stunden und Tage, in denen dieser Glaube ganz lebendig ist und das Leben mit seiner Dynamik erfüllt. Aber dann sind da auch Zeiten der Verzagtheit: Krankheit, Enttäuschung, Begegnungen mit schweren Schicksalen und schlimmen Ereignissen um mich herum und in der Welt lassen es dann eng in mir werden und bedrängend die Frage hochkommen: „Wo bist du eigentlich, Gott? Warum lässt du dieses oder jenes zu?“ Das sind berechtigte Fragen, die allerdings die Gefahr in sich tragen, dass man in ihrer Enge und Bedrängnis stecken bleiben kann. Und wie kann man das verhindern? Ich will es aus der eigenen Erfahrung beantworten: Ich weiß nicht, wie ich es anders sagen soll, aber ich habe, wenn ich mich mit solchen Fragen vertrauend ins Gespräch mit Gott begeben habe – sprich, im Gebet mit Gott gerungen habe –, ein ums andere Mal ein Ziehen,ein Werben Gottes verspürt, das mir sagte – wie es beim Propheten Jesaja heißt – : „Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände“ (vgl. Jes 49,16). Also lasse ich mich – von Gott gezogen – in seine Hände fallen und Jesus bestätigt das, wenn er sagt: „Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zu mir führt“; wörtlich und viel ausdrucksstärker: „ihn zieht“. Und selbst wenn wir dann Jesus näherkommen, bleibt der Hunger nach dem bestehen, was letztlich „satt macht“, nach dem, was uns im Tiefsten heilt und ankommen lässt. Genau dem entspricht eine „Leerstelle“ in unserer menschlichen Existenz, die nach „Fülle“ verlangt. Es ist die Sehnsucht in uns, die nach endgültigem Angenommensein und nach Liebe sucht. Das Vertrauen und der Glaube antworten auf diese Sehnsucht. Hier reicht der Blick bis in die Ewigkeit. Endgültig finden wir die Erlösung – also Heilung – von dieser Sehnsucht nur bei dem, der die Liebe selbst ist, bei Gott. Das Brot des Lebens, Jesus Christus, die Kraft des Gottesgeistes, die Liebe, führt uns zu ihm.
Seien Sie so gesegnet und behütet! Ihr P. Guido