Worte, die das Dunkel des menschlichen Herzens hell machen können
Predigt am 4. Fastensonntag – B – 2 Chr 36,14-16.19-23; Eph 2,4-10 u. Joh 3,14-21
Es ist auffallend, dass die Evangelisten das Geheimnis der Person Jesu immer wieder in die Dunkelheit der Nacht hineinnehmen. Nacht ist es, als Jesus geboren wird; Nacht ist es, als Judas hinausgeht (Joh 13,30) und sein verräterisches Werk beginnt; Nacht ist es in Getse- mani, als Jesus seinen Leidensweg beginnt. Und es ist ein nächtliches Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus, von dem wir hören. (In voller Länge findet sich die Nikodemus-Szene bei Joh 3,1-21). Gerade aus der Sicht des vierten Evangelisten bedarf es offensichtlich der Finsternis der Nacht, damit das Licht, das von den Worten Jesu ausgeht, um so heller auch in unsere Herzen hineinleuchten kann.
Mir scheinen Worte, die das Dunkel des menschlichen Herzens hell machen können, auch in unseren Tagen notwendig zu sein. Ist doch unsere Zeit, was den christlichen Glauben betrifft, so vielfältig, plural und ausdifferenziert, so säkular und vieldeutig sie uns auch begegnet, nicht gerade hell und erleuchtet. Vielmehr stehen der christliche Glaube und mit ihm wir als Christen und als Kirche vor der Frage, ob und was die Botschaft des Evangeliums heutigen Menschen sagen kann. Das um so mehr, als es immer mehr unserer Zeitgenossen nicht notwendig zu sein scheint, auf den von Jesus Christus und der Kirche verkündeten Gott zu setzen. Zuversicht ohne Gott ist für immer mehr Menschen vorstellbar. Aber: Irgendwie religiös zu sein und gleichzeitig Gott gegenüber gleichgültig, hat mit dem Christentum nichts zu tun!
Das Gespräch Jesu mit Nikodemus öffnet die Mitte der christlichen Botschaft. Die ist verbunden mit der Frage nach dem Sinn des Handelns Gottes. Die Antwort, der wir im Evangelium heute begegnen, lautet: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat“ (Joh 3,16). Einzig die Liebe, einzig wahres Geschenk seiner Liebe ist es, warum Gott sich der Welt und den Menschen gibt. Jesus bestätigt das, wenn er sagt: „Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet“ (Joh 3,17). Und er fügt hinzu: „Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er an den Namen des einzigen Sohnes Gottes nicht geglaubt hat“ (Joh 3,18). In seinem Sohn ist uns Gott so sehr nahegekommen, dass seitdem die Tür zur liebenden Begegnung mit ihm einladend offensteht. Glauben heißt dann, durch diese Tür auch einzutreten, denn wer es nicht tut, sperrt sich selbst aus und bleibt im Unglauben, in der Sprache des Johannes „in der Finsternis“. Das ist mit dem Satz gemeint, dass jener, der nicht glaubt, schon gerichtet ist. Er selbst ist es, der sich richtet, nicht Gott richtet oder bestraft. Er schlägt vielmehr die Chance aus, Gott und seiner Liebe zu begegnen.
Vor seiner Aussage, dass Gott seinen einzigen Sohn „hingegeben“ hat, lenkt Jesus unseren Blick auf ein Ereignis aus dem Wüstenzug Israels: Da wüten giftige Schlangen unter dem Volk, und Mose errichtet einen Stab mit einer kupfernen Schlange, die einem jeden, der zu ihr aufblickt, Rettung schenkt (vgl. Num 21,4-9). Darauf bezieht sich das Wort: „Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat“ (Joh 3,14f). Mit dem Begriff von der „Erhöhung“ des Menschensohnes ist das Kreuz Jesu angesprochen. Doch gilt es, wie der Vergleich mir der erhöhten Schlange zeigt, nicht als Schuldausgleich an einen wütenden Gott, sondern als Zeichen der Rettung. Wer zu ihm vertrauensvoll aufschaut, findet das Leben. Denn die Erhöhung Jesu am Kreuz ist zugleich der Beginn seiner Erhöhung in die Herrlichkeit Gottes hinein. Also: Wer glaubend aufschaut, wird gerettet. Das ist Gottes Angebot an den Menschen. Wer glaubend zum erhöhten und gekreuzigten Herrn aufschaut, wird gerettet.
Unser Glaube ist also das vertrauende Aufschauen. „...der hat das ewige Leben.“ Unser Glaube ist also kein Jagen und endloses Mühen im Sinne menschlicher Leistung und Machbarkeit, sondern kindlich vertrauendes Aufschauen zu dem, dessen Liebe Jesus für uns in den Tod gehen ließ, weil er selbst kindlich vertrauend zum Vater aufschaute und gerettet wurde.
Für den, der ebenso kindlich vertrauend zum Vater, zu Gott aufschaut, wer daran glaubt, dass Gott die Welt und die Menschen liebt und retten will; wer sich durch Jesus Christus wirklich befreit und erlöst und mit einem neuen Leben beschenkt weiß; wer trotz vieler belastender Erfahrungen etwas von der inneren Freiheit spürt, die uns Jesus vorgelebt hat; wer darauf hofft, dass die Leidensgeschichten der Welt nicht das letzte Wort haben, der kann sich am Leben freuen und dieser Freude Ausdruck geben. Für diesen Menschen wird das Innerste hell, den kann die Finsternis nicht traurig machen. Natürlich kann man solche Glaubenserfahrungen nicht produzieren, kann man Lebensfreude nicht befehlen oder herbeizwingen. Sie wird immer ein Geschenk bleiben.
Beim großen Theologen des 13. Jahrhunderts, dem Hl. Thomas von Aquin, finden wir interessante Ratschläge, wie man dieser Freude und damit der inneren Helligkeit gegen die Finsternis den Weg bereiten kann (vgl. Summa Theologiae I-II, q.38):
- Sich etwas Gutes gönnen. Das kann durchaus etwas sein, wie ein gutes Glas Wein, wie ein gutes Buch, schöne Musik. Eben etwas genießen als leib-seelisches Gegenprogramm zur Schwere, zum Frust oder der Bedürftigkeit.
- Weinen. Augen, die geweint haben, sehen die Welt klarer und in milderem Licht.
- Sich einem Freund, einer Freundin anvertrauen. Das Mitleid, das ein Freund, eine Freundin empfindet, ist Ausdruck der Liebe. Sie wirkt gegen die Trauer.
- Die Wahrheit betrachten. Gerade in unserer Welt voller Lügen ist das Betrachten der wahren Schönheit z.B. des Sternenhimmels oder der Natur immer ein Hinweis auf die göttliche Wahrheit und mindert die Traurigkeit.
- Baden und Schlafen. Thomas zeigt auf die enge Verbindung der Seele und des Leibes im Menschen. Körperliches Wohlbefinden kann das Dunkel der Seele aufhellen.
Der vierte Fastensonntag trägt den Titel: „Laetare“ – „Freue dich, Stadt Jerusalem!“ so beginnt der Eröffnungsvers der Liturgie. Wir werden daran erinnert, dass Gott in uns die Freude durch seine Liebe aufleuchten lassen will. Die Dunkelheit der Welt schwindet im Licht Gottes!
Seien Sie so gesegnet und behütet! Ihr P. Guido
Die Messtexte zum 4. Fastensonntag