Unglaublich! Nicht zu glauben! Ich glaub es nicht!
2. Sonntag der Osterzeit – Apg 4,32-35; 1 Joh 5,1-6 u. Joh 20,19-31
„Selig, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29).
Unglaublich! Nicht zu glauben! Ich glaub es nicht! Das sagen wir, wenn wir etwas sehen, hören oder sonst irgendwie wahrnehmen, das eigentlich nicht sein kann, weil es uns extrem überrascht oder sich unserer Vorstellungskraft entzieht.
Unglaublich! Es ist ein Adjektiv. Positiv benutzt, drückt es ein überaus großes „Berührt-Sein“ durch eine Wahrnehmung aus und negativ eine Verneinung im Sinne von: „Das ist nicht möglich.“ Man kann es in seiner Bedeutung sogar noch steigern, dann ist etwas oder auch jemand nicht nur „unglaublicher“, sondern „absolut unglaublich…“
Ich habe versucht, in meinen Gedanken zum „leeren Grab Jesu“ (vgl. MK 16,1-8 u. Joh 20,1-10) in der Osterpredigt aufzuzeigen, dass die Wahrnehmung des leeren Grabes der unmittelbare und entscheidende Hinweis auf das Handeln Gottes darstellt. Das „leere Grab“ ist gewissermaßen eine Art „Leerstelle“, die wir Christen mit unserem Glauben und Vertrauen an und auf das Handeln Gottes ausfüllen. Das heißt, dass wir das Handeln Gottes im Menschen- und Gottessohn Jesus Christus durch den Tod hindurch zum Neuen Leben des Auferstandenen bedingungslos akzeptieren. So betrachtet, ist kein naturwissenschaftlicher Beweis für das Geschehen der Auferstehung möglich. Solcherart zu glauben, verändert aber unser Verhalten gegenüber der erlebten Realität und verändert damit durch uns die Wirklichkeit selbst. Das wirkt sich aus. Wenn das, was „unglaublich“ ist, geglaubt wird, und so in die Bedeutung von Wahrheit kommt, dann geht es nicht um ein „Für-wahr-halten“, welches das Handeln prägt, sondern um die Wahrheit selbst. Das unterscheidend christliche an diesem Wahrheitsbegriff ist es nun, dass es mir absolut freisteht, ihn zu akzeptieren, also zu glauben oder nicht zu glauben. Die jeweilige Entscheidung aber bestimmt über das Leben und wie es gelebt wird.
Wem das alles jetzt zu theoretisch, zu philosophisch, zu theologisch klingt, möchte ich ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz (1901-1974) ans Herz legen, das mich schon lange begleitet. Hier ist es:
Die Mutigen
Die Mutigen wissen
Dass sie nicht auferstehen
Dass kein Fleisch um sie wächst
Am jüngsten Morgen
Dass sie nichts mehr erinnern
Niemandem wiederbegegnen
Dass nichts ihrer wartet
Keine Seligkeit
Keine Folter
Ich
Bin nicht mutig.
Marie Luise Kaschnitz
Aus: Dies., Gesammelte Werke in sieben Bänden.
Fünfter Band: Die Gedichte (c) Insel Verlag 1985
„Die Mutigen“, so wie die Dichterin sie umschreibt, scheinen all jene zu sein, die allein auf das „Hier und Heute“, auf das „Da und Dort“ fixiert sind. Es scheinen „Wissensmenschen“ zu sein, die sich nur an vorgebliche Fakten halten, die sie mit Zähnen und Klauen verteidigen, auch wenn es Lügen sind, und wo es nicht um Wahrheit geht, die von Ängsten und Unterdrückung befreit, sondern allein um „das Rechthaben“. Die von Kaschnitz genannten „Mutigen“ scheinen Menschen zu sein, die sich begnügen mit Ökonomie und Aktienkursen, mit Kapital und Waffen, mit Gewalt und Raketen und deren Leben sich in den siebzig oder achtzig irdischen Jahren des Menschen in der Hetze nach immer mehr Haben und Erleben erschöpft. Auf sie wartet nichts und Niemand und nur das Nichts. Nichts Positives – keine Seligkeit und auch nichts Negatives – keine Folter. Sie verschwinden einfach am Ende.
Die Dichterin sagt nun nicht, dass sie im erwähnten christlichen Sinn glaubt. Sie sagt nur, sie sei nicht mutig. Und genau da kommt einer, wie der sogenannte „Zweifler“ Thomas und sicher mancher andere Jünger oder manche andere Jüngerin bis zu uns heute ins Blickfeld; denn es geht letztlich in der glaubenden Begegnung mit Gott und seinem Geheimnis darum, sich zu öffnen und der liebenden Hand Gottes zu überlassen, wie es Jesus auf seinem irdischen Weg tat und auch zeigte, ein Weg, der ihn am Ende durch den Tod hindurch in die Auferstehung führte. Dazu braucht es einer besonderen Form von Mut, es bedarf der DEMUT. Genau das umschreibt der suchende und skeptische Glaube des Thomas und – wie ich denke – vieler Christinnen und Christen bis heute. Am „unglaublichen“ Geschehen von Tod und Auferstehung Jesu festhalten und es als Handeln Gottes glauben und ebenso am demütigen Vertrauen auf die nie endende Barmherzigkeit Gottes festzuhalten, das ist die Grundlage. Auf ihr aufbauend lässt sich im Miteinander der Suche nach den Spuren des Herrn auch in unserer Zeit der irdische Weg des Glaubens gestalten, damit wir das himmlische Ziel des Neuen Lebens im dreifaltigen Gott nicht verfehlen.
Der Weg Jesu Christi, sein eigener menschlich geprägter Glaubensweg mit dem Vater und zu ihm hin, ist es, der auch uns weiterbringen will. Der Evangelist Johannes zeigt deutlich darauf, wenn er sagt: Das Evangelium ist „aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt, in seinem Namen“ (Joh 20,31).
Ich wünsche eine gesegnete und frohe Osterzeit! Ihr P. Guido