
Predigt zum 6. Sonntag der Osterzeit – B –
Apg 10,25-26.34-35.44-48; 1 Joh 4,7-10 u. Joh 15,9-17
Was sich mit dem Bildwort vom „guten Hirten“ als Sorge Gottes für die Menschen in Jesus ausdrückt und im nachfolgenden Bildwort vom „Weinstock und den Reben“ als lebensnotwendige und innige Verbindung darstellt, wird im heutigen Evangelium – einem Abschnitt aus den Abschiedsreden Jesu am Vorabend seines Kreuzestodes – als Lebensprinzip des Menschen- und Gottessohnes hervorgehoben. Wer mit Jesus in Verbindung steht, der hat Anteil an diesem grundlegenden Lebensprinzip. Es braucht uns nicht verwundern: Das Lebensprinzip ist die Liebe, die Liebe des Vaters zum Sohn, die Liebe Gottes im Sohn zu den Menschen.
Der Schriftsteller Bertold Brecht (1898-1956) verfasste in der Situation des Exils in Schweden, wohin er 1933 vor den Nationalsozialisten geflohen war, im Jahr 1939 ein Liebesgedicht angesichts einer schweren Erkrankung seiner Geliebten, das trotz ungewisser Zukunft und aktueller Bedrohung beispielhaft den Wunsch nach einer innigen Verbindung zum Ausdruck bringt. Was hier so menschlich tief als Sehnsucht zur Sprache kommt, ist wie ein Leitfaden auch für die notwendige tiefe Verbindung im Glauben mit Jesus und in ihm mit Gott.
Sonett Nr. 19 (1939)
Nur eines möcht ich nicht: daß du mich fliehst.
Ich will dich hören, selbst wenn du nur klagst.
Denn wenn du taub wärst, braucht ich, was du sagst.
Und wenn du stumm wärst, braucht ich, was du siehst.
Und wenn du blind wärst, möcht ich dich doch sehn.
Du bist mir beigesellt, als meine Wacht:
Der lange Weg ist noch nicht halb verbracht
Bedenk das Dunkel, in dem wir noch stehn!
So gilt kein „Laß mich, denn ich bin verwundet!“
So gilt kein „Irgendwo“ und nur ein „Hier“
Der Dienst wird nicht gestrichen, nur gestundet.
Du weißt es: wer gebraucht wird, ist nicht frei.
Ich aber brauche dich, wie's immer sei
Ich sage ich und könnt auch sagen wir.
Wenn wir das Gedicht in den Mund Jesu legen und von seinem Sehnen nach dem Menschen sprechen, können wir mehr ahnen, wie die Liebe IHN und den himmlischen Vater antreibt. Lassen wir uns von den Versen des Gedichtes leiten. Am Vorabend seines Todes flieht Jesus die Jünger nicht. Aber er weiß, dass sein Weg ihn für die Jünger, für die Menschen, in den Abgrund des Todes führen wird. Sie werden im Ölgarten einschlafen und dann weglaufen und ihn allein lassen. In seiner Liebe von Gott her, hat Jesus sich stellvertretend für alle Menschen an die Jünger gebunden. Sie, die ihm Anvertrauten, sind Jesus als „Wacht“ für seinen Auftrag der Liebe zur Seite gestellt. Aber nicht nur er, auch die Jünger werden in ihren Hoffnungen verwundet werden. Der Auftrag der gegenseitigen Annahme und Liebe bleibt bestehen, auch wenn der Weg ein langer Weg ist. Es mag Momente geben, wo es aussieht, als sei der „Dienst“, dieser Auftrag der Liebe, gestrichen. Er ist aber nur „gestundet“, also aufgeschoben. Einander in der wahren Liebe „brauchen“, ist mehr als bloße Abhängigkeit. Sich miteinander liebend verbinden lässt das Ich im Wir leben. So zeigt sich: Die Sehnsucht der Liebe Gottes nach dem Menschen verlangt in sich nach der liebenden Antwort des Menschen. Die Einheit mit Gott lässt dabei den Menschen nicht einfach im göttlichen Wesen aufgehen oder verschmelzen. Vielmehr bleiben Gott und der Mensch ganz sie selbst und werden doch ganz eins, wie der Apostel Paulus im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth schreibt: „Wer dem Herrn anhangt, wird ein Geist mit ihm“ (1 Kor 6,17).
Natürlich frage ich mich, ob man denn ein solches Liebesgedicht überhaupt nutzen darf, um der Botschaft des Evangeliums näher zu kommen. Viel zu abgegriffen und oft missbraucht scheint doch in unserer Umgangssprache das Wort „Liebe“. Aber da ist der Mensch, der als Abbild Gottes geschaffen ist, was bedeutet, dass Gott nichts fremd ist, was den Menschen betrifft. Natürlich schauen wir auf die Menschwerdung Gottes in Jesus. Dazu sagt der 1. Johannesbrief: „Darin offenbart sich die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben“ (1 Joh 4,9). Nun, ich denke ebenso an das „Hohe Lied“ im „AltenTestament“, in dem Liebeslieder letztlich das Verhältnis Gottes zum Menschen schildern. Dann aber auch an einen berühmten Mönch, an den heiligen Johannes Klimakos (579-649), der in seinem Hauptwerk „Klimax tu paradisu“ („Die Himmelsleiter“) über den spirituellen Weg zur Einigung mit Gott im Bild von 30 Stufen schreibt: „Selig, wer Gott gegenüber nicht weniger leidenschaftlich ist als der Liebhaber zu seiner Geliebten“ (Stufe 30). Und natürlich sind da die 86 Predigten des heiligen Bernhard von Clairvaux (1090-1153) zum „Hohen Lied“ und viele andere Einlassungen geistlicher Schriftsteller.
Schauen wir noch einmal auf die wunderbaren Worte des Evangeliums. Wie können wir in der Liebe bleiben, wie es der Wunsch Jesu ist? Wie können wir immer mehr in die Freundschaft mit Jesus und damit auch in die Beziehung des Sohnes zum Vater hineinkommen und so teilhaben an dem, was aus der Liebe Gottes neu entsteht? Keine Angst! Es geht dabei nicht um einen abgehobenen Mystizismus! Vielmehr geht es um einen konkreten spirituellen Anstoß für den Alltag, um eine kleine Meditation. Mir persönlich hilft dazu ein Gebetswort, das ich mit einer Atemübung verbinde. Es lautet: „Du Jesus lebst in mir. Und ich in dir.“ Verbinden sie diese Worte mit ihrem Atmen - beim Einatmen „Du Jesus lebst in mir!“ - Pause - Beim Ausatmen: „Und ich in dir!“ So haben sie auch den Rhythmus des Empfangens und des Loslassens – den Rhythmus der Liebe. Beim Einatmen „Du Jesus lebst in mir!“ - Pause - Beim Ausatmen: „Und ich in dir!“…
Ich bin sicher, dass auf diesem Weg auch in uns das Lebensprinzip atmet und lebt, das der Herr uns geschenkt hat: „Liebt einander wie auch ich euch geliebt habe“ (vgl. Joh 15,12).
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido
(Literaturhinweis: Bernhard von Clairvaux: Sämtliche Werke, lateinisch-deutsch, Bd. V: Sermones super Cantica Canticorum - Predigten über das Hohelied, Innsbruck 1994; Bertold Brecht, Gesammelte Werke, Frankfurt 1987).