Jesus nimmt ein paar Jünger mit „auf einen hohen Berg“
Predigt am 2. Fastensonntag – B – Gen 22,1-2.9a.10-13.15-18; Röm 8,31b-34 u. Mk 9,2-10
Das heutige Evangelium markiert einen Wendepunkt im Leben Jesu. Voraus geht die erste Zeit seines Wirkens. Die Leute sind auf ihn aufmerksam geworden; Jünger haben sich um ihn geschart; Kranke sind geheilt worden; viel Volk ist ihm nachgelaufen. Einmal sogar bis dorthin, wo er mit seinen Jüngern allein sein wollte (Mk 6,30-34).
Aber die Enttäuschungen bleiben nicht aus. In Nazaret, seiner Heimatstadt, stößt er auf Ablehnung (Mk 6,1-6a). Seine Worte sind vielen zu hart. So wenden sie sich von ihm ab (vgl. Joh 6,60-71). Zum ersten Mal spricht Jesus von seinem Tod und davon, dass auch seine Jünger ihr „Kreuz auf sich zu nehmen“hätten (Mk 8,31- 37). So macht er sich mit Ihnen auf den Weg nach Jerusalem, wo sich alles vollenden wird. Und genau an diesem Wendepunkt zwischen dem sogenannten galiläischen Frühling und dem Entschluss, „nach Jerusalem zu gehen“ (vgl. Lk 9,51),steht das, was das Evangelium heute erzählt. Schauen wir noch einmal hin:
Jesus nimmt ein paar Jünger mit „auf einen hohen Berg“.Berge sind, davon erzählen die biblischen Geschichten immer wieder, Orte besonderer Gottesbegegnung. So auch hier. Einen Augenblick lang durchflutet der Lichtglanz Gottes die Gestalt Jesu. Mose und Elija erscheinen. Gesetz und Propheten des Gottesbundes bekennen sich zu Jesus. Die Heilsgeschichte läuft gleichsam auf ihn zu.
Die Jünger sind benommen und begreifen nicht recht, was da geschieht. Petrus möchte den Augenblick festhalten. Aber mit dem Bau dreier Hütten ist das nicht zu machen. Diese Erfahrung entzieht sich seiner Absicht. Aus einer Wolke - sie ist ja neben dem Berg ein weiteres biblisches Bild der unfassbaren Nähe Gottes - hören die Jünger eine Stimme, die sie auf Jesus verweist. Auf ihn sollen sie hören, ihm sollen sie folgen, wohin auch immer. Gott ist mit Jesusund auch mit ihnen auf dem Weg. Darauf müssen sie vertrauen, besser gesagt, sie müssen dieses Vertrauen in sich hineinholen, es lernen. Dann ist alles vorüber, und auf dem Berg ist ihres Bleibens nicht länger. Sie müssen wieder hinunter vom Berg, mit Jesus und den anderen Jüngern hin auf Jerusalem zu. Aber einen Augenblick lang haben sie ahnen dürfen, worauf alles hinauslaufen wird. Das Oster-Licht der Auferstehung fällt auf das Dunkel ihres Weges, auf das Dunkel des Kreuzes. In der Kraft dieser Erfahrung geht Jesus seinen Weg weiter. Offensichtlich ist das der innerste Sinn des Geschehens. Der Mensch Jesus wird durch die Erfahrung der Gottesnähe gestärkt. Und die Jünger folgen ihm, schwachen Glaubens noch, einmal gar sich streitend, „wer von ihnen der Größte“ sei (vgl. Mk 9,33-37).Aber auf dem Berg wurden auch sie gestärkt: Ein Licht ist ihnen aufgegangen, und deshalb sehen sie Jesus jetzt auch in einem anderen Licht. Nach Ostern wird es ihnen vollends aufgehen, was ihnen dieser Augenblick der Nähe Gottes auf dem Berg hat zeigen wollen: eine Vorwegnahme von Auferstehung jetzt schon, im Unterwegssein und inmitten aller Bedrohtheit.
Auch unser Glaubensweg kennt helle und dunkle Stunden, Zeiten, in denen wir erfüllt sind von der Nähe Gottes, und Zeiten, in denen Dunkelheit seine Nähe kaum noch ahnen lässt, in denen Leid und Trauer uns an ihm zweifeln machen oder wo der Alltag mit seinen Sorgen uns niederdrückt. Darin steckt die Absicht des Evangelisten Markus für jene, denen er sein Evangelium erzählt. Für ihn ist der Glaubensweg Jesu und seiner Jünger ein Zeichen und ein Impuls für jeden und jede auf dem Weg des Glaubens. Beides, der galiläische Frühling und der Leidensweg, die Erfahrung von Gottes Nähe und Ferne, sind verschiedene Stationen auf demselben Weg. Der Glaube ist vielen Christen heute gar nicht mehr so selbstverständlich, wie er es für die Jünger damals im galiläischen Frühling gewesen sein mag. Oder wie die Älteren von uns ihn in unserer Kindheit durch das Beispiel unserer Eltern erfahren haben. Er ist durch vielerlei schlimme Erfahrungen besonders der jüngsten Zeit verdunkelt. Die Stichworte kennen wir: Missbrauch verschiedenster Art, Vertrauensverlust in die sogenannte Amtskirche, Kritik an vermuteten unzeitgemäßen Haltungen und Vorschriften der Kirche in Bezug auf die Ämter und noch manches mehr… Da brauchen auch wir - wie die Jünger auf dem Berg - Augenblicke der Ermutigung und Verklärung, den eigenen Glaubensweg zu bestehen, ja, ihn überhaupt als den unseren anzunehmen.
Es lohnt sich deshalb, diesen ureigenen Glaubensweg immer wieder neu zu bedenken. Gewissenserforschung kennen wir. Darunter verstehen wir das Forschen nach dem eigenen Versagen, nach Fehlhaltungen und Irrwegen im Leben. Bedenkenswert: Wir könnten die Gewissenserforschung doch auch einmal anders verstehen, nämlich als das Forschen nach erfüllten Augenblicken in unserem Leben, denn die haben für uns Christen etwas zu tun mit gelingendem Glauben. Solche Augenblicke können wir nicht einfach verlängern, gleichsam Hütten dafür bauen. Aber wir können sie in der Erinnerung und im Bewusstsein festhalten, um davon zu zehren und zu leben, wenn es ernst wird und schwierig. Denn in lichten und tiefgehenden Augenblicken da zeigt Gott, wie nah er uns ist, auch wenn es dann später wieder dunkel werden sollte. Solche Augenblicke der Vergewisserung können die Erfahrung von Liebe und erfüllter Freude sein, aber auch von überwundenem Leid und von überraschend zuteil gewordener Hilfe in schweren Momenten. Auch da haben wir sie gespürt, wo wir uns im Einklang mit uns selbst und Gott gewusst haben; oder in Augenblicken des Gebetes und der Meditation; oder auch im Gottesdienst und an Orten der Begegnung mit ihm und mit Menschen und Mitglaubenden. Was ließe sich denn Besseres über unsere Gottesdienste sagen, als dass sie solche Augenblicke der Erfahrung von Gottes Nähe sein können? Vielleicht sind sie es nicht jedes Mal, aber doch immer wieder einmal. Es ist ein großer Verlust, wenn immer mehr Mitchristen sich aus der Mitte der Gemeinde aus dem Mitfeiern der Gottesdienste verabschieden und wegbleiben. Das Fernsehen oder das Internet ersetzt nicht die persönliche Begegnung. Nicht nur dass sie sich selbst der Erfahrung von Gottes Nähe berauben. Sie schwächen damit auch die Möglichkeit der Glaubenserfahrung anderer. Wir müssen uns gegenseitig ermahnen und ermutigen, Gott diese Zeit zu schenken, damit er uns in seinem Wort und in der Feier der Gemeinde, in Tod und Auferstehung Jesu Christi begegnen kann. Das sind Augenblicke der Verklärung!
Mögen uns solche Augenblicke doch offen finden, damit wir sie ausschöpfen und in unserer Erinnerung wachhalten, damit sie uns Kraft geben für den Weg der Nachfolge, auch wenn er ins Dunkel zu führen scheint. Bitten wir Gott, er möge uns solche Augenblicke auf dem Berg der Verklärung schenken, von denen wir leben können, Augenblicke der Vergewisserung im Glauben, Augenblicke einer Ahnung von Auferstehung und Ostern.
Ihnen gesegnete Tage und bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido