Wo Gottes Geist wirkt, wird das Chaos überwunden
Predigt zum 4. Sonntag im Jahreskreis – B – Dtn 18,15-20; 1 Kor 7,32-35 u. Mk 1,21-28
Das scheint uns fremd, was uns hier im Evangelium nach Markus begegnet. Da ist die Rede von einem „unreinen Geist“ und seiner Reaktion auf die Begegnung mit Jesus. Zumindest sieht es so auf den ersten Blick so aus. Als aufgeklärte Zeitgenossen denken wir dabei vielleicht an eine psychische Erkrankung des betroffenen Mannes, die man heutzutage vernünftig diagnostizieren und mit entsprechenden Medikamenten behandeln würde. Aber es ist uns im Grunde schon klar, dass es hier nicht um eine medizinische Sachfrage geht.
Das Stichwort heißt vielmehr „Vollmacht“. Jesus spricht anders als die „Buchgelehrten“, will sagen, er gibt nicht einfach wieder, was er sich angelesen oder in einem Studium erworben hat. Was er zu sagen hat und was er tut, kommt aus seinem Innersten, aus dem Herzen der Liebe Gottes. Denken wir daran – und darüber haben wir schon gesprochen – Jesus ist von Gott her der „Geistträger“. So hat es Markus im Geschehen der Taufe am Jordan geschildert (vgl. Mk 1,7-11). Wo Gottes Geist wirkt, wird das Chaos überwunden, geschieht Heilung der verwirrten und verwundeten Schöpfung, wächst Gottes Reich.
Die Austreibung des „unreinen Geistes“ aus einem besessenen Menschen ist so für den Evangelisten im Grunde der Beweis für das heilstiftende Wirken Gottes in Jesus. Der durch den Dämon aus dem Heil Gottes herausgerissene Mensch wird zurückgebracht in die Nähe des Schöpfers. Übrigens haben die Heilungs- und Austreibungsgeschichten in den Evangelien ähnlich wie in der damals zeitgenössischen Erzähltradition immer einen schematischen Aufbau. (Feststellung der Besessenheit oder Krankheit, Heilungsbitte und Anerkennung Jesu als Heilsbringer, Heilung/Austreibung, Feststellung der Heilung und Reaktion des Geheilten und der umgebenden Menge.) Das Schema ist eine Art Verpackung des Geschehens. Öffnen wir diese Verpackung und betrachten wir den Inhalt näher.
Jesus steht eindeutig in der Mitte. Es ist Sabbat. Es ist der Tag der Woche, an dem Gott für die gläubige Gemeinde an erster Stelle steht. Deshalb haben sie sich im Gebetshaus, in der Synagoge versammelt. Und wie es üblich ist, ergreift einer das Wort und spricht über die Beziehung Gottes zu den Menschen. Es ist Jesus, der spricht, anders als die Schriftgelehrten. Und da ist dann dieser Mensch, den ein „unreiner Geist“ also „ein Dämon“ besetzt. Lassen wir einmal die medizinische Diagnose beiseite und sehen wir, ob uns ähnlich „Heilloses“ bekannt ist. Wir alle wissen doch, dass es Kräfte gibt, die einem aus der Fassung bringen können, Mächte, die unser Leben heillos machen, die das Leben zerstören, ihm Kräfte entziehen. Die Auswirkungen solcher „Unheilsmächte“ kennen wir. Ein paar Beispiele:
- Ich fühle mich schnell verletzt und schlage dann unkontrolliert und scharf zurück.
- Ich lebe ständig in der Angst, zu kurz zu kommen und benachteiligt zu sein.
- Ich bin launisch und mag mich selbst nicht.
- Ich bin innerlich unzufrieden und bitter und weiß nicht, wie ich von diesem Gefühl loskommen kann.
- Ich kreise ständig um mich selbst und neige dazu, mich zu bemitleiden.
- Ich sehe alles nur durch meine pessimistische Brille. Hoffnungsvolle Erwartungen trage ich keine in mir.
In seiner Situation scheint der Besessene von Jesus und seiner „Vollmacht“ provoziert. Er ist in dem, was ihn „besetzt“ an Unheilsmacht, herausgefordert, unruhig und sogar aggressiv. Die Aggressivität führt dazu, dass er Jesus als den Mächtigeren anerkennt: „Du bist der Heilige Gottes!“ Jesus akzeptiert diese Anrede. Dabei wird deutlich, dass er nicht beruhigen will, nicht besänftigen oder harmonisieren. Er droht dem Unheil, weil vor Gottes Absicht, das Reich des Himmels neu zu schaffen, alles Verwirrende und chaotische weichen muss. Er ist wirklich der „Heilige Gottes“, in dem und durch den jeder Mensch, der von „Unheilsmächten“ geknechtet ist, in Ordnung kommen kann, wenn er sich Jesu „Vollmacht“ stellt. Auf unsere Beispiele angewandt könnte das heißen:
- Der Ungeist der inneren Unzufriedenheit kann dort weichen, wo von Jesus her die bedingungslosen Zuwendung Gottes für jeden Menschen angenommen wird: „Ganz gleich wer und wie du bist, Du bist mein Kind. Ich sage Ja zu Dir!“ – Gottes Liebe wird offenbar.
- Der Ungeist der Empfindlichkeit und Dünnhäutigkeit kann dort weichen, wo durch Jesus klar wird, dass in der Liebe Gottes immer Geborgenheit und Selbststand geschenkt wird.
- Den Ungeist des ewigen Kreisens um sich selbst bricht Jesus auf, wo er den Blick öffnet auf die Mitmenschen und die Welt, die Hilfe und Zuwendung brauchen. Gemeinschaftssinn wird geschaffen.
- Der Ungeist des Pessimismus und der Schwarzmalerei - er muss dort weichen, wo Jesu mit seinem Geist alles Nötige und Erforderliche ins Herz und in die Hände des Betroffenen legt, indem er Vertrauen schenkt. Das öffnet die Zukunft, Hoffnung und auch die Kraft zum Kampf werden gestärkt. Gottes Geist kommt ins Herz.
Bleibt noch zu klären, wo wir denn diese heilbringende Nähe Jesu erfahren können. Markus erzählt davon, dass das Geschilderte am Sabbat in der Synagoge geschah. Wo, so frage ich, sind wir denn Jesus heute ganz nahe? Die Antwort auf diese Frage kennen wir: In seinem Wort und im Sakrament der Eucharistie, also am Sonntag. Markus sagt das auch seiner Gemeinde. Er sagt es zu uns. Dort, wo wir miteinander das Wort der Botschaft Jesu hören, dort wo wir die lebendige Erinnerung an die Liebe Gottes in Tod und Auferstehung Jesu feiern, dort, wo wir uns so, wie wir sind, der Nähe des Herrn aussetzen, dort eben gilt es, ihm das eigene Herz, das Innerste zu öffnen. Und dann: Jesus begegnen - das heißt, dass ich mir meine eigene Gefangenschaft in das Netzwerk des „Unheils“ eingestehe; dass ich entdecke, der Schrei der Sehnsucht nach einem befreiten Leben ist in mir, und dass ich dem Herrn meine Enge, meine Gefangenschaft und eben auch meine Sehnsucht hinhalte und bitte: „Mach mich frei, mach mich heil!“ Was damals geschehen ist, geschieht auch heute, wenn wir dem Herrn und seiner Vollmacht begegnen.
Seien Sie im Heil des Herrn gesegnet und behütet! Ihr P. Guido
Messtexte zum 4. Sonntag im Jahreskreis