Predigt zum 27. Sonntag im Jahreskreis – C – 2 Tim 1,6-8.13-14 und Lk 17,5-10
Vielleicht kennen sie die Geschichte von „Alice im Wunderland“ von Lewis Caroll (1832-1898). In ihr findet sich eine kleine Episode, die für die Geschichte typisch ist. Alice wehrt sich mit ihrem gesunden Menschenverstand gegen das scheinbar verrückte der ihr begegnenden Fabel- und Märchenfiguren. Sie sagt in der erwähnten Stelle:
„Das kann ich nicht glauben!“, sagte Alice. „Nein?“, sagte die Königin mitleidig. „Versuch es doch einmal: tief Luft holen, Augen zu...“ Alice lachte. „Ich brauche es gar nicht zu versuchen“, sagte sie, „etwas Unmögliches kann man nicht glauben.“ „Du wirst darin eben noch nicht die rechte Übung haben“, sagte die Königin. „In deinem Alter habe ich täglich eine halbe Stunde darauf verwendet. Zuzeiten habe ich vor dem Frühstück bereits bis zu sechs unmöglichen Dingen geglaubt.“ (L. Caroll, Alice im Wunderland, übers. A.Hüttenmoser, Zürich 1960)
Manche sehen ihren christlichen Glauben auch so, wie es die Königin in der Geschichte betrachtet: Um etwas Unmögliches zu glauben, bedarf es nur der rechten Übung: tief Luft holen, Augen zu, und schon kann man es für wahr halten... Der Kirchenschriftsteller Tertullian, er lebte im dritten Jahrhundert, soll so gesagt haben: „Credo, quia absurdum!“ - Sinngemäß heißt das: „Ich glaube es, weil es widersinnig, ja, absurd ist.“ Das ist kein Glaube im Sinne Jesu, das ist wirklich absurd! Es müsste vielmehr heißen: „Credo, quia mysterium!“ Ich glaube, weil es ein Geheimnis ist! Dabei meint Mysterium nicht etwa ein Rätsel, wie es bei einem Kreuzworträtsel nach schlauer Lösung sucht, sondern ist vielmehr ein Geheimnis, das „wunderbare Geheimnis“ der Wirklichkeit eines Gottes, der sich dem Menschen aus Liebe zuwendet. Und Glaube meint dann, dass ich mich in diesem Wunderbaren festmache, dass ich mich vertrauensvoll ihm, dem Herrn dieses Geheimnisses hingebe.
Die mahnenden Worte Jesu zum rechten Umgang mit den Gütern, mit Besitz... sie hallen noch in uns nach. Dazu kommt: Jesus mahnt die Jünger eindringlich, Menschen der Vergebung, Menschen der Barmherzigkeit zu sein, Menschen mit offenen Augen und offenem Herzen für die Not anderer. Er hat vom Kreuz gesprochen und davon, was in Jerusalem auf ihn zukommen wird. Kein Wunder, dass die Jünger das Empfinden haben, ihr Glaube sei zu schwach. Deshalb sagen sie dem Herrn: „Gib uns größeren Glauben!“ oder: „Füge unserem Glauben noch etwas hinzu!“ Und Jesus? Der Herr erwiderte – also Jesus erfüllt nicht einfach die Bitte der Jünger. Er gibt dem Gespräch eine neue Richtung. Hören wir noch einmal hin: „Der Herr erwiderte: Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu dem Maulbeerbaum hier sagen: Entwurzele dich und verpflanz dich ins Meer! und er würde euch gehorchen“ (Lk 17,6).
Natürlich ist das ein Bild. Aber im Kontrast wird deutlich: Es geht nicht um einen schwachen oder starken Glauben, nicht um ein Mehr oder Weniger im Glauben! Das Senfkorn ist kleiner als ein Stecknadelkopf! Wer also einen „Senfkornglauben“ hat, der hat alles. Der Maulbeerbaum mit seinem riesigen und starken Wurzelwerk muss sich verpflanzen!
Es geht also um Glauben oder Unglauben an sich, nicht um die Quantität des Glaubens. Glaube ist das Schauen auf Gott, auf sein wunderbares Geheimnis der Liebe und das feste Vertrauen darauf, dass er alles gut macht, ja, allein gut machen kann. Die Jünger und auch wir sind in unserer Suche nach dem rechten Glauben darauf verwiesen im Vertrauen auf Jesus und sein Wort das alte Leben hinter uns zu lassen, indem wir - wie Alice aus dem Wunderland - aus dem Land der Träume, Gewohnheiten und Wünsche ausziehen und nicht mehr aus uns selbst, sondern aus Gott zu leben versuchen. Und da solcher Glaube, solches Vertrauen immer angefochten ist, sollte unsere Bitte an Jesus nicht heißen: Gib uns größeren Glauben! Sondern wie es im Markusevangelium gesagt ist: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (Mk 9,24).
Ein Hinweis in diesem Zusammenhang ist – so sagt es das Evangelium – dazu noch wichtig: Das Bild vom selbstverständlichen Dienst des Knechtes zeigt darauf hin, dass es eine Verbindung von Glauben und Dienen gibt. Wirklicher Glaube, auch wenn er noch so klein ist, fragt nicht nach Erfolg und Dank - will sich nicht bequem zu Tisch setzen und sich bedienen lassen - sondern tut seine Schuldigkeit. Wenn es also notwendig ist, dann wagt jener, der auf Gott vertraut, das Unmögliche: Denken wir an Jesu Aufforderung an Petrus nach dem vergeblichen Fischfang der Nacht, das Netz nochmal auszuwerfen. Und Petrus handelt. „Auf dein Wort hin“, sagt er und ist überwältigt vom reichen Fischfang (vgl. Lk 5,5).
Unser Glaube fordert uns auf, nicht die Augen zu schließen, sondern die Augen zu öffnen und auf Gott zu schauen. Wenn wir alles tun, was notwendig und uns möglich ist, dann dürfen wir wissen, dass Gott ebenso das Seine tut und das Gute, das wir beginnen vollenden wird. Dietrich Bonhoeffer schrieb nicht lange vor seiner Ermordung durch die Nationalsozialisten in einem Gebet:
„In mir ist es finster, aber bei dir ist das Licht.
Ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht.
Ich bin kleinmütig aber bei dir ist die Hilfe.
Ich bin unruhig, aber bei dir ist der Friede.
In mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist die Geduld.
Ich verstehe deine Wege nicht,
aber du weißt den Weg für mich.“
(In: Stertenbrink, Lichtsekunden, Freiburg 1994)
Und ich füge hinzu: Zeige uns Herr, deine Wege und es wird alles gut.
Ich wünsche Ihnen Gottes Segen und bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido