Gemeinschaft mit ihm
Predigt zum Gründonnerstag – 1Kor 11,23-26 und Joh 13,1-15
Im Jahr 1902 veröffentlichte der wohl bekannteste Dichter und Autor Schwedens, August Strindberg (1849-1912), ein Drama mit dem Titel „Ein Traumspiel“ („Ett drömspel“ – deutsch von P. Weiss, Frankfurt/M. 1963, Edition Suhrkamp, 25). In diesem Theaterstück bittet die Tochter des Gottes Indra ihren Vater darum, auf die Erde gehen und den Menschen helfen zu dürfen. In beliebig aufeinander folgenden Traumbildern folgen Stationen der Göttertochter durch die Welt der Menschen. Von Mitleid getrieben versucht sie, deren Leid zu ergründen und zu lindern. Sie lernt viele Aspekte des menschlichen Lebens und Leidens kennen. Am Ende trifft sie auf eine geheimnisvolle Tür, hinter der sie die Lösung „des Welträtsels“ zu finden glaubt. Doch da ist - nichts. Das Resümee: das Leben ist nur ein Traum. Sie erkennt: „Es ist schade um die Menschen!“ Noch immer voller Mitleid mit den Menschen kehrt sie in den Himmel zurück.
Ein vom Autor sicher beabsichtigter Gedanke kommt einem bei diesem Theaterstück in den Sinn: Der Vergleich zwischen der fiktiven Gestalt der Göttertochter und der des Jesus von Nazareth. Während Jesus sich bis zur letzten Konsequenz mit den Menschen solidarisch weiß, entzieht sich die Theaterfigur dieser letzten Solidarität. Die Distanz zwischen der vermuteten Götterwelt und der Welt der Menschen ist so nicht zu überwinden. Das Leben des Menschen und auch sein Leiden bleiben sinn- und hoffnungslos.
Was wir heute am Gründonnerstag und auch am morgigen Karfreitag bis hin zum Osterfest feiernd erinnern, durchbricht jedoch jede angenommene und vermutete Distanz zwischen unserem Gott und dem Menschen endgültig. Was in der Menschwerdung Gottes seinen Anfang nahm, findet jetzt die Vollendung: Im Gottes- und Menschensohn Jesus Christus geht Gott gewissermaßen selbst durch die tiefste Tiefe des Leidens und durchschreitet die Türe des Todes, um sie für uns Menschen aufzubrechen und um allen, die in der Sinnlosigkeit und Finsternis des Todes festsitzen, den Weg zum neuen Leben aus Gott zu ermöglichen (vgl. Jes 9,1; 42,7; 58,9). Das Evangelium mit der Erzählung von der Fußwaschung Jesu an seinen Jüngern, das den heutigen Tag mitprägt, ist dazu aus der Sicht des Evangelisten Johannes von ganz entscheidender Bedeutung.
Zu Beginn ist von der „Stunde“ Jesu die Rede, die nun gekommen ist. Es ist die Stunde seiner Verherrlichung (vgl. Joh 12, 23), seines Hinübergehens zum Vater, das Tod und Auferweckung einschließt. Damit wird unterstrichen: In dem Geschehen der Passion und der Auferstehung zu neuem Leben wird erkennbar, wer und wie Gott ist: ein Gott grenzenloser Liebe. Das soll in der Szene der Fußwaschung eine besondere Verdichtung erfahren, wie der Evangelist vorwegnehmend schon deutet: „Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung“ (Joh 13,1b). Es wird deutlich, dass diese Liebe eine sehr bewusste ist, dass Jesus das Todesgeschick nicht lediglich erträgt, sondern vielmehr in höchster Freiheit annimmt und bejaht. Gerade das will Jesus seinen Jüngern zeigen, wenn er,„ihr Meister und Herr“, nun beginnt, ihnen die Füße zu waschen, und damit den niedrigsten Sklavendienst übernimmt. So ist die Fußwaschung die vorweggenommene Deutung des Todes Jesu, eines in Freiheit übernommenen, umfassenden Dienstes, den er seinen Jüngern und der ganzen Menschheit erweist. Bezeichnend für – auch unser – permanentes Missverstehen dieses Geschehens ist die ablehnende Reaktion des Petrus: „Niemals sollst du mir die Füße waschen!“ (Joh 13,8). Er sieht nur das Vordergründige des Geschehens, das eigentlich Gemeinte ist ihm verschlossen. Dies wird von Jesus ausdrücklich bestätigt: Petrus wird das alles erst später begreifen – nach Tod und Auferstehung seines Herrn. Jesus macht ihm klar, dass er nur Anteil an ihm hat, wenn er sich von ihm waschen lässt. Das bedeutet auf der Sachebene und bis zu uns heute hin: Nur wer bereit ist, sich den letzten Dienst Jesu, seinen Tod für uns, gefallen zu lassen, ja, ihn im Innersten als Liebestat anzunehmen, kann wirklich Gemeinschaft mit ihm haben. Wie die Antwort des Petrus zeigt: „Herr, dann nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt“, hat er das auch jetzt noch nicht verstanden (Joh 13,9).
Die Szene der Fußwaschung erklärt so: Das ganze Leben Jesu, vor allem sein Tod am Kreuz, ist als Dienst der göttlichen Liebe zu verstehen, den Jesus im Auftrag des Vaters den Menschen schenkt. In der Belehrung der Jünger am Schluss der Erzählung: „… wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen“ (Joh 13,14), geht es folgerichtig nicht um einen moralischen Appell, sondern um die tiefste Begründung der christlichen Gemeinde, um das Grundgesetz ihres Seins, um ein Modell der Kirche so wie Jesus sie will und um die Identität des Christseins aus Jesus. Wie Jesus an seinen Jüngern den Sklavendienst der Fußwaschung getan hat, so müssen auch wir bereit sein, einander den geringsten Dienst zu tun. Nur solches Handeln ermöglicht die Übertragung göttlicher und echter Solidarität auch in das Tun aneinander und ist damit Teil der Liebe Gottes zum Menschen. Und noch etwas ist wichtig: In angesprochenen Sinn gehört der Dienst der Liebe und das Sakrament des Altares, Brot und Wein des Abendmahles, Fleisch und Blut des Herrn und die Fußwaschung, unmittelbar zueinander. Sie sind faktisch untrennbar in Jesus Christus vereint. Er ist in all seinem Tun und seiner ganzen Existenz die menschgewordene Liebe des dreifaltigen Gottes.
Mit dem Blick auf Strindbergs Drama begreifen wir: Was hier vom Evangelisten erzählt wird ist kein fiktives Geschehen, in dem das Leiden der Menschheit in der Aussichtslosigkeit des Handelns einer fernen Götterwelt verstärkt wird, weil die Tochter des Gottes sich zwar mitleidig zeigt aber am Ende hilflos zurückzieht. Das Engagement unseres Gottes und der christliche Glaube zeigt den Weg: In der Hingabe und der Liebe des Gottes- und Menschensohnes Jesus Christus findet alle Sinn- und Hoffnungslosigkeit der menschlichen Existenz, alles Leid und selbst der Tod ein Ende. Und wir dürfen das in der Eucharistie und im Liebesdienst aneinander immer wieder dankbar feiern und begreifen.
Gesegnete Kartage und bleibt behütet!
Ihr P. Guido