Der liebe Gott wohnt auch in den Kochtöpfen
Predigt zum 16. Sonntag im Jahreskreis - C – Kol 1,24-28 und Lk 10,38-42
Eine „Alltagsszene“ ist es, die uns da heute im Evangelium begegnet. Jesus ist zu Gast bei Freunden. Maria und Marta. Maria, die sich zu Jesus setzt und Marta, die sich um die Bewirtung und alle sonstigen Gastgeberaufgaben sorgt. Natürlich können wir gut verstehen, dass Marta irgendwann Anstoß daran nimmt, dass ihre Schwester keinen Finger rührt, um ihr bei ihren Aufgaben zu helfen. Aber ist es wirklich ein Konflikt zwischen den beiden Schwestern, der sich da abspielt? Machen wir langsam mit unserer Parteinahme.
Nun, wir sind mit dem Evangelisten Lukas weiter auf der Suche danach, wie wir Glaubensleben im Sinne Jesu gestalten können. Darüber haben wir schon am letzten Sonntag nachgedacht.
Doch zurück zu unserer „Alltagsszene“. Wie reagiert Jesus auf die anklagenden Worte der Marta?
Es sei mir erlaubt, die Antwort Jesu mit einer etwas anderen Übersetzung aus dem griechischen Urtext wiederzugeben. Sie stammt von dem Theologen Fridolin Stier. Also Jesus sagt:
„Marta, Marta! Du sorgst und regst dich über vieles auf; aber man braucht nur eins. Maria hat sich also den guten Teil gewählt, der ihr nicht genommen werden soll.“ (Lk 10,41-42 nach F. Stier, Das Neue Testament, München – Düsseldorf 1989; ganz ähnlich übersetzt auch die neue Einheitsübersetzung aus dem Jahr 2016).
Was ich faszinierend finde ist: Da ist keine Beurteilung oder Verurteilung und auch kein Vergleich des Handelns der beiden Schwestern. Im griechischen Text steht: „taen agathaen merida“, was bedeutet, „den guten Teil“ hat Maria gewählt. Im Grunde gibt Jesus Marta einen Hinweis mit seinen Worten. Denn er bietet ihr an, zu überlegen, was das Gute ist - für sie und damit im Kontext der Frage nach der adäquaten Form des Glaubenslebens auch für uns.
Und damit sind wir plötzlich über den Alltag hinausgegangen. Marta ist in ihrer Sorge und Mühe, man kann sagen in ihrem Verhalten und in ihrer - ich sage mal - „Rolle“ gefangen. Jesus nimmt sehr wohl wahr, was sie alles macht, wie sie sich kümmert und hin- und hergerissen ist in all ihren Aufgaben. Sie denkt wohl: So muss es sein, wenn ich eine gute Gastgeberin sein will; wenn ich eine gute Christin, ein guter Christ sein will - so könnten auch wir denken. Die Begegnung mit Jesus bricht aber diese Rolle auf. Die andere - Maria - hat genau das für sich angenommen. Mir kommt ein anderer Gedanke: Wie wäre es gewesen, wenn beide, Maria und Marta sich zuerst zu Jesus gesetzt hätten, um mit ihm zu sprechen und zusammen zu sein? Und dann hätten sie sich gemeinsam ums Essen und all die anderen Dinge gekümmert. Spannend ist, dass der Evangelist Lukas diese Begegnungsgeschichte mit Jesus nach der Geschichte vom barmherzigen Samariter erzählt. Also will er genau darauf hinweisen, dass es zum einen das klare Engagement zur Nächstenliebe braucht und ebenso die ungeteilte Aufmerksamkeit und Begegnung mit Jesus und in ihm mit Gott. Darin liegt das Geheimnis des „guten Christseins“.
Es kommt wirklich auf die Ausgewogenheit an: Da ist die Aufforderung Gott zu lieben mit allen Kräften, dem ganzen Herzen, der ganzen Seele und allen Gedanken - das ist gewissermaßen der gute Teil der Maria - und den Nächsten zu lieben wie sich selbst - das ist der Anteil der Marta. Die große Teresia von Avila, eine wahre Meisterin des geistlichen Lebens, sagt über diese Ausgewogenheit ganz schlicht: „Wenn Fasten, dann Fasten - wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn!“ und: „Der liebe Gott wohnt auch in den Kochtöpfen!“ - Die Freude am Leben und für das Leben benötigt die Grundlage der klaren und eindeutigen Beziehung zu Gott: Zu wissen, dass man sich ihm und seiner Liebe in seiner Existenz verdankt, ruft die dankbare Liebe zu ihm, zu sich selbst und zum Mitmenschen ins Bewusstsein. Es ist nicht richtig, das meditierende Hören auf Jesus gegen das aktive Tun der Liebe auszuspielen. Genauso wenig ist es richtig, die Tat der Nächstenliebe gegen die Gottesliebe – für sie steht oft der Gottesdienst – zu setzen. Mutter Teresa von Kalkutta verpflichtete ihre Schwestern dazu, zu Beginn des Tages in einer Stunde der Anbetung und der Begegnung mit Jesus in der Hl. Messe sich die Gottesliebe ins Bewusstsein zu rufen, damit sie dann in der Begegnung mit den Menschen, den Ärmsten und den Sterbenden, Jesus wieder entdecken können. Christliche Existenz, die Praxis des Glaubenslebens hat notwendigerweise immer die beiden Seiten Gottesliebe und Nächstenliebe.
Auf eines macht die Erzählung der Begegnung mit den Schwestern Marta und Maria auch noch aufmerksam. Da ist in der Mitte die Gestalt Jesu. Er ist der Verbindungspunkt. Er ist gewissermaßen die Achse, um die sich alles dreht und so die beiden Seiten in der Balance hält. Die monastische Spiritualität spricht ähnlich für die Praxis des Glaubenslebens deshalb auch von drei Grundhaltungen: „ora – labora – lege“: Da ist die Haltung der Gottesliebe, das Gebet, da ist die Haltung der Nächstenliebe, die Arbeit, und da ist die Haltung des Kennenlernens Gottes durch die Hl. Schrift, durch das lebendige Wort Gottes, durch die Begegnung mit Jesus. Letztere ist die Mitte!
Lukas lädt seine Gemeinde und damit auch uns ein, darüber nachzudenken in welchen „Rollen“ wir gefangen sind und so behindert, mit Jesu Hilfe Gottes- und Nächstenliebe in der richtigen Balance zu halten.
Vielleicht sind wir durch Krankheit und Not zum Mitleiden mit Jesus und den Armen gerufen - dann schauen wir doch zuerst auf sein Leiden.
Vielleicht sind wir zur Begleitung unserer Lieben in der Familie gerufen - dann schauen wir doch zuerst darauf, wie er mit uns geht.
Vielleicht sind wir zum Gespräch mit ihm mit dem Vater im Himmel gerufen - dann lassen wir ihn doch zuerst in unseren Herzen mit dem Vater sprechen.
Vielleicht ist es unsere Aufgabe, anzupacken und zu schaffen, damit andere Hilfe erfahren - dann schauen wir doch zuerst, wie der Herr anpackt und das Kreuz der Liebe trägt für uns.
Jesus sagt: „Nur eines ist notwendig…“ (Lk 10,42). Die große Theresia von Avila bringt es so auf den Punkt: „Solo dio basta - Gott allein genügt“.
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido
Die Tagestexte zum 16. Sonntag im Jahreskreis