Das Christentum, eine Sache des Katechismus, der Gebote, der Moral?
6. Sonntag der Osterzeit – 1 Joh 4,7-10 und Joh 15,9-17
Erinnern Sie sich? Letzten Sonntag sprachen wir vom immer wiederkehrenden Motiv des Johannesevangeliums: Wir sprachen von der Einladung Jesu, in ihm zu bleiben (vgl. Joh 6,56; 15,5 u.a.). Prägend ist dieses Motiv besonders für das, was Jesus seinen Jüngern am Vorabend seines Leidens und Sterbens in den sogenannten Abschiedsreden und einem besonderen Gebet in dieser Stunde als sein Testament schenkt (vgl. Joh 14 - 17). Diese Kapitel des Johannesevangeliums sind einerseits eine unmittelbare Botschaft an die Jünger und Jüngerinnen Jesu, die mit ihm die letzten Stunden seines irdischen Weges verbracht haben und sie sind andererseits Herzensanliegen des Evangelisten für seine, die johannäische Gemeinde, der er sein Evangelium aufschreibt. Damit haben diese Worte auch eine besondere Bedeutung für alle Christinnen und Christen, die seither auf der Spur dieser Worte unterwegs sind. Gerade aus diesem Grund haben sie in der sonntäglichen Liturgie der Osterzeit eine herausragende Bedeutung, ist doch die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten die Zeit nicht nur der konkreten Begegnung mit dem auferstandenen Herrn für die Jünger und Jüngerinnen, sondern auch die Zeit, die eigene und die gemeinsame Beziehung zu Jesus zu vertiefen und zu festigen, um so bereit zu werden, als einzelne und in der Gemeinschaft der Kirche mit dem Auferstandenen im Herzen und in der Mitte der Gemeinde seine Botschaft in die Welt hinauszutragen.
Betrachten wir unter diesem Aspekt das Evangelium dieses 6. Ostersonntags und lassen wir uns vom Verfasser des Johannesevangeliums Schritt für Schritt aus seiner Glaubenserfahrung mitnehmen in die Nähe Jesu und in all das, was diese Begegnung mit dem Herrn mit uns machen möchte: Er will seine Freude mit uns teilen!
Wenn Gott Heil schafft, dann ist das Grund zur Freude. Allein 47-mal im Neuen Testament kommt das Wort „Freude“ vor, die Ableitungen und Verbformen gar nicht mitgezählt. In seinem ersten apostolischen Schreiben aus dem Jahr 2013 mit dem Titel „Evangelii gaudium“ schreibt Papst Franziskus gleich am Anfang: „Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen. Diejenigen, die sich von ihm retten lassen, sind befreit von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung. Mit Jesus Christus kommt immer – und immer wieder – die Freude“. Das Heil, das Gott schafft, ist die innige Verbindung mit ihm in Jesus. Jesus ist als Gottessohn in einer uns kaum beschreibbaren und fast unmöglich zu erfassender Tiefe mit dem Vater verbunden („Wahrer Gott von wahrem Gott… eines Wesens mit dem Vater“ – so sagt es das große Glaubensbekenntnis der Kirche). Diese Verbindung umschreiben wir mit dem Wort „Liebe“. Und genau dieses Wort ist ein Synonym für den Heiligen Geist, der gleichermaßen vom Vater wie vom Sohn ausgeht. Als Menschensohn ist Jesus gleichzeitig auf der Ebene der Schöpfung, also der von Gott geschaffenen Wirklichkeit, ebenso aufs engste mit dem Menschen verbunden. Gottes Verbindung in Jesus und seinem Tun der Liebe weitet so den Raum des Göttlichen auf die ganze Schöpfung aus. Er will, wie Jesus es nach den Worten des Evangelisten sagt, in seiner Erhöhung am Kreuz – also in der Vollendung seiner Liebe – alle zu sich ziehen (vgl. Joh 12,32). Gott hat also in Jesus den Weg bereitet, der hineinführt in die Wirklichkeit und den Raum der Liebe Gottes und damit auch in die Fülle des Lebens; denn wer in Gott ist, ist im Leben. Das ist wirklich ein Grund zur Freude!
Selbst in unserer menschlich begrenzten Erfahrung der Liebe kennen wir das große Geschenk der unbändigen Freude, wenn wir uns als Geliebte vom Liebenden angenommen und getragen wissen. Sie gleicht einer Kraft, gegen die man sich einfach nicht wehren kann; man wird ergriffen und überwältigt. Nun meinen manche, der Weg der Nachfolge Jesu, also das Christentum, könne man so nicht einordnen. Es sei doch eine Sache des Katechismus, der Gebote, der Moral und so eher mit Freudlosigkeit, mit Kreuz und dem Verlust des eigenen Selbst verbunden. Wer so denkt, geht am Urgrund christlicher Existenz vorbei. Das gläubige Wissen und das menschliche Ahnen der Liebe Gottes vertreibt die Angst und weckt so die Freude und die Begabung zur Liebe. Wenn Jesus nach Johannes dazu auffordert, seine Gebote zu halten (vgl. Joh 15,19), dann öffnet er damit die Türe zum Raum der Liebe Gottes, denn alle Weisungen Jesu deuten auf die eine Bitte: „Bleibt in meiner Liebe!“ und „Liebt einander so, wie ich euch geliebt habe!“ Diese Bitten des Herrn gehören untrennbar zusammen. Sie bilden das Hauptgebot christlichen Lebens. Gebote sind Weisungen und wichtige Hinweise. Nun geht es bei der Bitte Jesu nicht um eine „inwendig“ sich selbst genügende Liebe und Hinwendung nur zum eigenen Selbst. Gottes Liebe ist kein Selbstzweck! Tatsächlich umfasst das „inwendige“ Ergriffensein den ganzen Menschen und befreit ihn so zum schöpferischen Tun und öffnet hin zum Mitmenschen und zur Welt. Der Raum der Liebe Gottes im von seiner Liebe ergriffenen Menschen ist kein künstlicher Raum. Er durchdringt das Menschsein und führt in die Realität des Lebens, hin zum DU des anderen.
Schauen wir noch kurz auf das, was unser Evangelium über den Vergleich „Knecht – Freund“ sagt. Die unmittelbare und menschliche Beziehungsebene, die in diesem Bild angesprochen wird, spricht im Grunde für sich. Die Freundschaft als Teilhabe am Leben des jeweils anderen bis hin zur Bereitschaft, sich in seiner ganzen Existenz einzusetzen für den anderen, ist, wenn man sie erfahren darf, etwas Wunderbares und Großartiges. Im Kontext des Evangeliums wird hier aber auch eine revolutionäre Verhältnisbestimmung zwischen Gott und Mensch vorgenommen. Das religiöse Verhältnis des Menschen zu Gott in der antiken Götterwelt sah den Menschen keineswegs als gleichwertigen Partner: Der Mensch ist den Göttern ausgeliefert. Das Judentum brachte hier den Begriff des „Bundes“ mit Gott – also einer Partnerschaft – in das religiöse Leben ein, das Christentum – und da sind wir bei Johannes angekommen – die Konzeption der „Freundschaft“. Nach Johannes hat Jesus die Jünger und Jüngerinnen – also uns – zu Freunden gemacht. Und dadurch tritt unser Verhältnis zu ihm und zu Gott in eine neue, gleicherweise von Kühnheit wie von Ehrfurcht, vor allem aber von Zärtlichkeit bestimmte Atmosphäre. Folgerichtig ist es so auch unglaublich wichtig, diese Freundschaft zu pflegen und einander immer besser kennen zu lernen, damit der Glaube Frucht für das Leben trägt. Das ist so eine Weisung, ein Gebot, das nicht sagt: Du sollst oder du sollst nicht. Es ist die Liebe, die das Rechte nicht deshalb tut, weil es befohlen wird, sondern weil sie es gar nicht anders kann. Gott schafft das Heil mit dem Menschen, weil er die Liebe ist.
Bleibt in Gottes Liebe behütet und gesegnet!
Ihr P. Guido