Angesichts des gewaltigen Scherbenhaufens vertraut Gott auf Menschen
Predigt zum 3. Sonntag im Jahreskreis – B – Jona 3,1-5.10; 1 Kor 7,29-31 u. Mk 1,14-20
Vielleicht ist diese Geschichte bekannt:
In einer Fußgängerzone war ein Geschäft, in dem Glas- und Porzellanwaren verkauft wurden. Eines Tages, so zur Haupteinkaufszeit, kam einer in dieses Geschäft und begann wie ein Berserker alles zu zertrümmern. Schnell gab es einen riesigen Menschenauflauf, der sich da sammelte. Es wurde gegafft und kommentiert, was geschah. Und es dauerte nicht lange, bis die entsprechenden Behörden benachrichtigt waren. Man führte den wohl offensichtlich geistig Verwirrten weg. Die Menge verlief sich.
Kurze Zeit danach kam einer, ging hinein in ebendieses Geschäft, setzte sich mitten unter die Trümmer und Scherben. Aus seiner Tasche zog er eine Tube Klebstoff und begann mühselig, passende Scherben zusammen zu suchen, um das Zerstörte zu reparieren. Keiner interessierte sich für das Geschehen. Nur einige wenige schüttelten im Vorübergehen den Kopf über das offensichtlich unmögliche Vorhaben.
Zerstörung und Chaos erregen Aufmerksamkeit. Gute Nachrichten werden meist kaum beachtet. Mit ihnen „holt man keinen Hund hinter dem Ofen hervor“, wie der Volksmund sagt. Schlechte Nachrichten sind aufregender und gewöhnlich auch unterhaltsamer. Es ist unterhaltsamer, wenn zerstört wird…
Das Evangelium präsentiert eine Nachricht, eine Botschaft, die es in sich hat.
Nahegekommen, angebrochen, hineingebrochen in diese Welt ist das Reich Gottes! Damit beginnt nach dem Evangelisten Markus kurz und knapp das öffentliche Wirken Jesu. Jesus verkündet diese Botschaft durch sein Reden, durch sein Tun und durch sein Leben. Wem gilt sein Wort? Damals in Galiläa vor allem jenen, denen das Leben übel mitgespielt hat und die in ihrem Selbstwertgefühl gebrochen waren und die – es war eine Zeit, in der man noch mit Gott rechnete –, von Glauben und Religion Zukunftshoffnung und Hilfe erwarteten. Mit ihnen sucht Jesus Gemeinschaft. Er will sie aufrichten, damit sie wieder auf- und durchatmen können und Kraft und Mut zum Leben schöpfen. Ist Jesus einer, wie jener, der mit seiner Tube Klebstoff inmitten der Scherben sitzt? Mir kommt es fast so vor, wenn ich die allgemeine Reaktion vieler Menschen heute auf die Botschaft des Evangeliums sehe. Da ist viel Gleichgültigkeit und viel Skepsis wahrzunehmen und auch manche Ablehnung. Man hält im Großteil der sogenannten westlichen Gesellschaften Religion und Glauben eben für eine Privatsache.
Aber brauchen wir nicht eine Hoffnung und eine entsprechende Hilfe, dass wir der Logik unserer Welt nicht heil- und hilflos ausgeliefert sind, diesen Gesetzen des Immer-schneller, Immer-stärker und Immer-kostengünstiger? Brauchen wir nicht eine Perspektive, die den Blick öffnet, weg vom eigenen Bauchnabel und hin zu Achtsamkeit vor allem Geschaffenen und zu neuer Gemeinschaft? Für mich präsentiert das Evangelium diese andere Logik, die Logik des Reiches Gottes, die Gesetze der Barmherzigkeit Gottes und die Perspektive der Würde des Menschen.
Mag sein, dass Jesus und auch jene, die er ruft und die ihm nachfolgen, ja, auch die Kirche, nicht beachtet oder belächelt, oder auch abgelehnt werden ob des unmöglichen Vorhabens im Trümmerhaufen einer kaputten Welt mit einer Tube Klebstoff das Zerbrochene zu heilen. Vor allem wohl deshalb, weil jene, die der Herr in seinen Dienst gerufen hat, doch ziemlich stümperhaft ihrer Berufung nachgehen. Wir sind und bleiben Menschen mit Schwächen und Fehlern. Das ist nicht nur heute so. Es war zu allen Zeiten der Kirchengeschichte nicht anders.
Das aber tut dem Kontrastprogramm des Evangeliums keinen Abbruch, wie uns der Evangelist Markus sagt. Einerseits ist Unheil und Zerstörung – Johannes der Täufer wird ermordet und wie ihm geschieht so oder so bis heute vielen Unrecht… - dort steht Jesus, steht die Kirche, stehen wir und sagen das Wort vom anbrechenden Gottesreich, dem Reich des Friedens, der Liebe und der Gerechtigkeit. Hier wird einer elend vom Krebs zerfressen, dort gelingt die medizinische Sensation einer Heilung. Hier feiern Menschen ein Fest, dort sprengt sich ein Selbstmordattentäter in die Luft. Hier geht es uns trotz aller Kritik gut, dort ist Hunger, Krieg und Seuche. Heile Welt, Himmel auf Erden, das ist ein Märchen und es bleibt auch eines…
Gerade in diese konkrete Welt hinein, hinein in die menschliche Geschichte mit ihrem Fortschritt und ihrem Versagen, in diese Spannung hinein, kommt Gott. Daran haben wir Weihnachten wieder erinnert. In diese Welt hinein ruft Jesus im Namen dieses Gottes Menschen. Nicht als Vertröstung auf bessere Zeiten, sondern um diese Menschen zu senden, so wie er gesandt wurde. Angesichts des gewaltigen Scherbenhaufens vertraut Gott auf Menschen. Das ist überraschend! Haben die Menschen es doch selbst „verbockt“. Du und ich, wir als Christen sind gerufen und gesandt, mit Gottes Hilfe, mit seiner Gnade, mit seinem Geist in uns, mit dem Klebstoff der Liebe und der unerschöpflichen Geduld großer Hoffnung, den Trümmerhaufen des Unheils schöpferisch abzuarbeiten.
Ich denke an das Wort John F. Kennedys, der damals bei seiner Amtseinführung am 20. Januar 1961 als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika aufbauend zu den Menschen sagte: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.“ Er meinte nicht das abstrakte Bild einer Nation, sondern die Menschen in seinem Land. Dieses Wort abwandelnd sollten wir als Christen und damit Bürger und Bürgerinnen des Himmelreiches danach fragen, was wir für unsere Mitmenschen, für die Welt und so auch für Gott und die Vollendung der Welt hin zum Himmelreich als dem Raum der Liebe Gottes tun können. Die Herausforderung des Glaubens, dass Gottes Heil sogar in Zerrissenheit der Christenheit hineinwirken will – wir begehen vom 18. – 25. Januar die Gebetswoche für die Einheit der Christen – also, die Herausforderung des Glaubens ist es, mit Jesus in dieser Welt voll Zwielicht und Schatten, dem Licht des Lebens zu trauen und aus ihm in diesem Licht zu leben. Und immer ist Jesus ganz lebendig dabei, wo wir mit wachem Herzen gegen das Unglück und die oft entsetzlichen Leiden um uns herum protestieren, indem wir zu helfen, zu trösten und zu heilen versuchen.
Jesus ruft Simon, den man später Petrus nennt, seinen Bruder Andreas und dann die Brüder Jakobus und Johannes. Und es heißt im Evangelium bei diesen: „… und sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Tagelöhnern im Boot zurück und folgten Jesus nach“ (Mk 1, 20).
Heute ruft Jesus uns. Machen wir uns mit ihm auf den Weg oder bleiben wir im Boot zurück?
Ich wünsche uns den Mut, aufzubrechen. Bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido