„Dann wird das Leben ein Fest, und zwar mitten im Alltag“
Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis – B – Ez 1,28c-2,5; 2 Kor 12,7-10 u. Mk 6,1b-6
In der Ausbildung zur Predigttätigkeit während meines Studiums gab man mir für eine sogenannte Spruchpredigt folgenden Spruch vor: „Wieviel Lärm machen die wirklichen Wunder?“ Darüber sollte ich sprechen. Damals habe ich dann darüber gesprochen, wie mir die zufällig wahrgenommene Melodie eines Straßenmusikanten in einer sehr angespannten Situation die Sinne öffnete und den Kopf und das Herz freimachte, mich sozusagen von meinen Bedrängnissen heilte und neu zu einer inneren Gelassenheit führte. Und das geschah in einer Umgebung, die geprägt war von Straßen- und Baulärm, von Unruhe und großem Stress. Das Wunderbare, das Heilende geschah durch die kleine Melodie des Musikanten, die in mir trotz allen Drucks einen Zuhörer fand.
Die Menschen im Heimatort Jesu haben offensichtlich keinen Sinn für das, was ihnen in und durch Jesus aufgehen könnte. Sie sind nicht bereit, ihm wirklich zu begegnen. Sie haben ihn einsortiert und eingeordnet in die Schubladen ihres Denkens und Lebens. Wir haben es eben im Evangelium gehört. Es ist eine innere Abwehrhaltung der Menschen aus Nazareth, die eine wirkliche Begegnung mit Jesus verhindert. Damit allerdings wird auch eine Begegnung mit dem erschwert, was Jesus und damit Gott für die Menschen will. Dennoch bleibe ich an einem Satz des Evangeliums hängen, den wir uns näher betrachten müssen. Da sagt der Evangelist, dass Jesus keine Machttat tun konnte – also kein Wunder wirken konnte (vgl. Mk 6,5). Bedeutet das denn, dass keine Machttat Gottes, also kein Wunder geschehen kann, wenn nicht geglaubt wird? Gott ist doch – so haben wir es gelernt – allmächtig. Er kann doch tun, was er will. Nun, die Botschaft des Evangeliums und der gesamten Hl. Schriften sagen uns auch, dass sich Gott sich in seinem guten Willen und in seiner Zuwendung und Liebe zum Menschen an eben diese Liebe als Grundprinzip seines Handelns gebunden hat. Er wartet in seiner Liebe auf die Antwort des Menschen. Er wirkt also nicht ohne den Menschen. Und das heißt: Der liebende Gott wartet auf die Liebe des Menschen. Gott will dem Menschen auf Augenhöhe begegnen und ihn so hineinholen in die Liebe, die er selbst ist. Man kann es auch so sagen: Wer liebt, lässt sich überraschen von der Liebe Gottes. Das alles umschreibt die grundlegende Lebenshaltung eines Menschen, der Gott sucht und sich ihm öffnet. All das geht den Menschen in Nazareth, denen Jesus die Nähe Gottes verkünden will, ab. Die Konsequenz: Sie erfahren nichts von Gott und seiner Zuwendung, seiner Gnade.
Wir Heutigen können nicht wie die Menschen damals in der Heimat Jesu ihm direkt begegnen. Aber da ist sein Wort in der Botschaft der heiligen Schriften. In ihnen ist Gottes Wort, ist er selbst, ist Gott, ist seine Gnade. Also sind wir doch nahe dran.
Wer sich für Gottes Wort und damit für ihn selbst öffnet und ihn und seine Liebe erwartet, für den ändert sich die Welt, für den oder die geschieht das Wunderbare in jedem Augenblick. Als eine besondere Zeugin unserer Tage sei dafür, neben sicher vielen anderen, Madeleine Delbrel, die französische Mystikerin der Straße und des Alltags genannt (1904-1964). Als Sozialarbeiterin in den Armenvierteln am Stadtrand von Paris hat sie mit gleichgesinnten Frauen aus dieser Haltung ihr Leben gestaltet. So schreibt sie in Notizen, die in einem Buch mit dem Titel „Wir Nachbarn der Kommunisten“ (übertr. u. hersg. Von Hans Urs von Balthasar, Freiburg 1975) gesammelt sind, einmal: „Jede Handlung, die von uns gefordert wird, lässt uns Gott in Fülle empfangen und ihn in Fülle weitergeben in einer großen Freiheit des Geistes." Und weiter: „Dann wird das Leben ein Fest, und zwar mitten im Alltag“. Mit wachsamer Aufmerksamkeit spürt Madeleine gerade die alltäglichsten Dinge auf, die ein „gewaltiges Ereignis" sein können, in dem „uns das Paradies geschenkt wird, das wir - wie von selbst - weiterverschenken ..." - wenn wir es nur in der liebenden Beziehung zu Gott tun. „Egal, was wir zu tun haben: ob wir einen Besen oder eine Füllfeder halten, ob wir reden oder stumm sind, etwas flicken oder einen Vortrag halten, einen Kranken pflegen oder am Schreibtisch arbeiten. ... All das ist nur die äußere Schale einer herrlichen inneren Wirklichkeit, der Begegnung der Seele mit Gott in jeder neuen Minute, wo sie an Gnade zunimmt und immer schöner wird für ihren Gott" (ebd. S.53).
Das Wunderbare geschieht, wie Madeleine sagt, in jeder Minute, in jedem Augenblick, mitten in dem, was mir gerade begegnet, in dem Menschen, der eben jetzt auf mich zukommt, wenn ich mich ihm zugewandt öffne.
Denken sie an die kleine Melodie, von der ich eingangs gesprochen habe. Sie konnte in mir etwas verändern, weil ich bei allem Druck bereit war, sie wahrzunehmen.
Von Madeleine Delbrel stammt eine Art Weisung, die sie den Frauen, die mit ihr für die Menschen am Rand der Gesellschaft da waren, mit auf den Weg ins Leben gab und die angesprochene Grundhaltung einprägsam auf den Punkt bringt:
„Geht in euren Tag hinaus
ohne vorgefasste Ideen,
ohne die Erwartung von Müdigkeit,
ohne Plan von Gott,
ohne Bescheidwissen über ihn
ohne Enthusiasmus und ohne Bibliothek,-
geht so auf die Begegnung mit IHM zu.
Brecht auf ohne Landkarte,
und wisst, dass Gott unterwegs zu finden ist
und nicht erst am Ziel.
Versucht nicht,
IHN nach Originalrezepten zu finden,
sondern lasst euch von IHM finden
in der Armut eines alltäglichen Lebens.“
Seien Sie in der Liebe Gottes gesegnet und behütet! Ihr P. Guido