
Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis (B)
Ez 1,28-2,5 und Mk 6,1b-6
Jede Zeit, so heißt es, hat ihre Propheten und Prophetinnen. Es sind keine Wahrsager und keine Sterndeuter; sie bedienen sich weder kristallener Kugeln noch legen sie Karten. Propheten weissagen nicht die Zukunft, sondern haben das Charisma, haben die Gabe von Gott, sein Mund zu sein und den besonderen Charakter einer Zeit und einer Situation mit dem Blick Gottes anzusagen und zu deuten.
Christen sind wie Jesus, dem sie nachfolgen, mit einem prophetischen Auftrag unterwegs. Doch will man sie hören? In der Lesung aus dem Buch Ezechiel hören wir nicht davon, was der Prophet verkünden und welche Zeichen der Zeit er „den abtrünnigen Söhnen Israels“deuten soll. Wir erfahren nur, dass er es nicht leicht haben wird, sich und die Botschaft Gottes annehmbar zu machen. Und wie werden die Schwierigkeiten überwunden? Ezechiel sieht, so erzählt er selbst, die „Erscheinung der Herrlichkeit des Herrn“, so dass er niederfällt „auf sein Gesicht“.Da sagt Gott zu ihm: „Stell dich auf deine Füße!“Und Ezechiel erhebt sich, nicht aus eigener Kraft, sondern weil „der GeistGottes“ in ihn kommt und ihn „auf die Füße“stellt. Jetzt ist er wirklich „Nabi“, das heißt „Mund“ Gottes. Jetzt kann er ertragen, was mit seinem Auftrag an Widrigkeit verbunden ist.
Jede Zeit, so heißt es, hat ihre Propheten und Prophetinnen. Als Jesus in seine Vaterstadt Nazareth kommt, um in der Synagoge zu predigen, ist es ihm nicht besser ergangen als Ezechiel. An den beiden letzten Sonntagen hatten wir es mit Wundergeschichten um Jesus zu tun: mit der Stillung des Seesturms, der Heilung der blutflüssigen Frau und der Erweckung der Tochter des Jairus. Dabei hat der Glaube eine tragende Rolle gespielt. „Dein Glaube hat dir geholfen“, sagt Jesus zur heilungssuchenden Frau und zu Jairus: „Glaube nur!“ Und Jesus ist es, der diesen Glauben grundlegt. Und ist der Glaube einmal grundgelegt, breitet er sich aus. Wo immer das geschieht, ereignet sich das schier Unmögliche, Staunenerregende: Gott teilt sich mit. In Nazareth allerdings, in seiner Heimatstadt, fehlt der Glaube. Darum geschehen dort keine Wunder. Nur einige Kranke erfahren durch die Handauflegung Jesu Heilung. Warum ist das so? Weil die Einwohner nicht bereit sind, Jesu, den Zimmermannssohn mit anderen Augen als denen ihrer kleinen Welt zu sehen. Sie weichen dem Anspruch seiner Verkündigung aus. Sie wappnen sich gegenüber Gottes Wort und sagen: Wir kennen ihn doch viel zu gut, diesen Jesus. Er ist uns zu vertraut, als dass wir ihn und seine prophetischen Worte ernst zu nehmen hätten.
Daraus folgt, nicht nur für damals: Mit solcher Betrachtungsweise, die von vorneherein Bescheid weiß und sich nicht mehr überraschen lässt, die alles einordnet und in einen Rahmen steckt, ist auch der Glaube nur noch lahme Routine. Dann regt nichts mehr auf. Dabei müssten wir uns doch durch das Wort Gottes und den Anspruch Jesu immer wieder in Frage stellen lassen. Wenn wir aber nur darauf beharren, sowieso alles besser zu wissen und nicht bereit sind, uns zu hinterfragen, wie soll dann Veränderung zum Besseren möglich sein? Ob es nicht gerade das ist, was bei Ezechiel „trotziges Gesicht“und „hartes Herz“genannt wird (vgl. Ez 2,4)? Ich denke das ist so.
Trotzdem: Schütteln wir nicht den Kopf über die Menschen aus Nazareth mit ihrer Skepsis und Ablehnung Jesu. Denken und handeln wir nicht ebenso, wenn uns der Glaube an Gottes Nähe und das Wort der Verkündigung unruhig machen? Haben wir überhaupt ein offenes Ohr für Gottes Wort in unserer Zeit? Handeln wir nicht genauso ablehnend, wenn Fragen unserer Mitmenschen uns im Innersten berühren? Warum tun wir uns so schwer, wenn wir entdecken, dass unser Leben die Bereitschaft und die Veränderung zum Besseren im Umgang mit den Mitmenschen und der Welt braucht und wir selbst einen klaren und demütigen Blick auf uns selbst benötigen? Ja, wir müssen unruhig werden, wenn die Not und die Sorge unserer kleinen und großen Welt sichtbar wird, wenn wir spüren, dass es auf jeden einzelnen von uns ankommt, damit Gott und sein Wort im Heute des 21. Jahrhunderts überhaupt wahrgenommen wird. So heißt es in einem treffenden Text:
- Christus hat keine anderen Füße als die deinen, um heute zu den Menschen zu gehen.
- Christus hat keine anderen Hände als die deinen, um heute den Menschen zu helfen.
- Christus hat keinen anderen Mund als deinen, sein Wort der Liebe und Hoffnung zu künden.
Jede Zeit, so heißt es, hat ihre Propheten und Prophetinnen. Es ist wahr: Nachfolge Christi, Christsein hat eine prophetische Dimension und ist Auftrag, wie Jesus prophetisch zu wirken. Haben wir also keine Angst vor unserer Berufung. Lassen wir uns doch wie Ezechiel vom Geist Gottes auf die Füße stellen, damit wir in der Nachfolge Jesu allen Widrigkeiten zum Trotz selbst zum „Christus“ für die Welt sein können und sagen und tun wir, was uns möglich, was nötig ist, damit Gottes Reich zu den Menschen kommen kann.
Jesus konntein seiner Heimatstadt kein Wunder tun, so erzählt der Evangelist ganz lapidar, und „er wunderte sich über ihren Unglauben“ (Mk 6,6). Wer das Gotteswort in Jesus, wer seinen Ruf zur Umkehr von falschen Wegen nicht aushält und diesem Ruf nicht nachkommt, kommt nicht ins Staunen und erlebt auch keine Wunder. Das gilt für uns selbst und für jene, denen wir das Wort Gottes weitersagen sollen. Wir können Gott und sein Wort nicht in unsere Routine einsortieren, sonst wäre er nicht der heilige Gott. Aber weil er das ist, ist er zugleich immer auch der uns liebende Gott. Geben wir Gott die Welt und die Menschen und nicht zuletzt uns selbst in seine Hand und lassen wir uns überraschen. „Glaube nur“, sagte Jesus zum Vater des verstorbenen Mädchens und er schenkte dem Kind neue Lebenszeit. Uns schenkt er in seiner Auferstehung die Fülle des ewigen Lebens und er spricht durch den Heiligen Geist aus uns, wenn wir ihn nur lassen.
Seien Sie gesegnet und behütet! P. Guido