Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe


Predigt zum Weihnachtsfest 2021 – Jes 9,1-6 u. Lk 2,1-14 sowie Hebr 1,1-6 u. Joh 1,1-18
Gott zieht aus dem Himmel aus und kommt in unsere Welt. Dort aber ist kein Platz für ihn. Der Evangelist Johannes hat es so formuliert: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,11).Und im Matthäusevangelium lesen wir: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester, der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8,20). Das ist der Platz Gottes in der Welt: die Futterkrippe im Stall, draußen vor der Stadt. Es ist der letzte Platz. Diesen Platz hat er angenommen, damit er all denen nahe sein kann, die ebenfalls draußen sind und in der Gesellschaft keinen angemessenen Platz haben: damals die Hirten, die Zöllner und Sünder, die Aussätzigen, die Blinden und Lahmen, um nur einige zu nennen... Und heute? Nehmen wir wahr, wer heute keinen Platz findet? Gott in Jesus auf dem letzten Platz verwandelt ihr Draußen in ein Drinnen. Das ist seine Sendung, und das ist eine Hoffnung für alle, die Randexistenzen sind, abgeschrieben und abgestempelt, damals wie heute.
Wenn Gott in Jesus Christus den letzten Platz in der Welt einnimmt, dann gibt es nicht nur Frieden für die Erfolgreichen, die Gewinner und „Hoppla-jetzt-komm-ich-Typen“, sondern auch für die Verlierer, auch für jene, die an der Grenze des Existenzminimums dahinkriechen, für jene, die nicht wissen, wie sie ihr Brot verdienen sollen; dann gibt es nicht nur Frieden für die Menschen mit der heilen Biografie, sondern auch für alle, die innerlich angeknackst sind und sich ihres Lebens nicht mehr freuen; dann wird Frieden möglich auch für die Zerbrochenen und die Todkranken, auch für die Allerletzten, für alle Menschen.
Die ganze Armseligkeit des letzten Platzes Jesu wird trotz aller wohlklingenden Engelworte und Engelchöre schon in seiner Geburtsgeschichte auf drastische Weise deutlich: Irgendwo in Betlehem, ohne Ort und Zuhause, kommt er zum Leben; und es liegt ganz in der Fluchtlinie dieser armseligen Geburt, dass er am Ende in Jerusalem, verraten, verspottet, geschunden und umgebracht wird. All das aber erfährt allerdings dann eine überraschende Wende: gerade auf diesem armseligen letzten Platz kommt Jesus als der Herr zum wahren Leben. So können wir die Geburtsgeschichte wie die Leidensgeschichte Jesu - aber auch die Leidensgeschichten aller, die auf die letzten Plätze verwiesen sind, nur von Ostern her aufhellen und ein wenig besser verstehen.
Auf einfache, nüchterne Art und Weise wird im Evangelium der Heiligen Nacht erzählt (Lk 2,1-14). Maria kommt nieder: „…und sie gebar ihren Sohn.“Und sie tut das, was notwendig ist, das Naheliegendste, Notwendigste: „Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe.“Das heißt: Maria gibt Gott einen Platz in dieser Welt, denn „in der Herberge war kein Platz.“ Aber welch ein Platz ist die Futterkrippe? Für die Tiere gut, eigentlich ein Nicht-Ort, kein Ort für Menschen. Die Windeln, so erzählt es Lukas, weisen hin auf die absolute Hilflosigkeit, auf das völlige Angewiesensein: Gott gibt sich ganz in menschliche Hände, er wird ganz und gar einer von uns, Mensch wie wir. Mehr noch und noch einmal: Der Zusammenhang von Krippe und Kreuz, dem absoluten Nicht-Ort, wird hier überdeutlich: Die Hilflosigkeit des in Windeln gewickelten und in eine Krippe gelegten Kindes und die Hilflosigkeit des ans Kreuz genagelten und durchbohrten und dann ins Leichentuch gewickelten Jesus bedingen einander - im Ersten kündigt sich das Letztere bereits an.
Hirten also sind es, haben wir vorhin gehört, die als erste die Botschaft von der Geburt Jesu hören und sich auf den Weg machen, „um das Ereignis zu sehen, das ihnen Gott verkünden ließ.“Hirten, nicht eigentlich materiell arm damals, gelten sie doch als armselige Kreaturen: Nie können sie an einem festen Ort bleiben, nirgendwo haben sie eine wirkliche Heimat, das religiöse Gesetz können sie nicht einhalten: ihr Leben lang müssen sie sich mit Tieren abgeben, weshalb sie als Unreine gelten. Nicht eben mit Hochachtung begegnet ihnen der fromme Zeitgenosse. Und ausgerechnet sie erfahren als erste von der Geburt des Kindes, „das in einer Krippe liegt.“Und auch das ist gerade bei Lukas nicht zufällig: Wenn er schon recht drastisch auf die Armseligkeit der Geburt verweist, sind es auch die armseligen Hirten, die solches Geschehenam besten begreifen können - der in Windeln gewickelte kleine Jesus in der Krippe ist wirklich einer von ihnen. So führt Lukas schon hier die ganze Tragweite der Menschwerdung Gottes vor Augen und Ohren.
Und auch das erkennen wir in der Hirtengeschichte: so wie aus der Armseligkeit des Geschehens und der Beteiligten das Kreuz herauswächst, so leuchtet bei alledem auch schon das Licht der Auferstehung durch: Wenn „der Glanz des Herrn“(Lk 2,9) gerade zu den Hirten kommt, wenn ihnen die Engel von der Verherrlichung Gottes künden (Lk 2,14), wenn der verlorene Sohn, der gerne mit den Schweineschoten aus der Futterkrippe den Hunger gestillt hätte, die unverhoffte Freude des Festmahls erfährt (Lk 15,11ff), wenn der mit Jesus gekreuzigte Verbrecher seine Bestimmung für das Paradies zugesagt bekommt (Lk 23,42f) - dann leuchtet da die Herrlichkeit der Auferstehung dieses in der Nacht von Betlehem geborenen, in der Finsternis auf Golgota gestorbenen Jesus als ewig verbleibendem Licht auf, uns und allen Menschen zur Ermutigung, zur Hoffnung und zum Trost.
Das ist das Wunder von Weihnachten, dass Gott in unserer Welt vor allem da ist, wo der letzte Platz ist. Da schenkt er Frieden, einen Frieden, den wir selbst nicht machen können, weil er der Friede des Auferstandenen ist. Dieses Wunder ist allen geschenkt, die in großen Nöten sind. Dieses Wunder will all jenen die Augen und die Herzen öffnen, die, an Gott irre geworden, keinen Sinn mehr im Leben sehen und verzweifeln. Jesus ist in ihre Hölle hinabgestiegen. Die Botschaft von Weihnachten ist eine Botschaft an alle Menschen, vor allem aber an jene, die - wie auch immer - auf den letzten Plätzen sind. Und das sind mehr, als wir glauben. Schau also hin Mensch! Auf dem letzten Platz findest Du Gott. Und in der Mitte der Nacht ist der Anfang eines neuen Tages. In der Dunkelheit des Todes ist Gottes Leben.
Allen ein gesegnetes Weihnachtsfest und den Frieden des Kindes in der Krippe!
Bleibt allezeit behütet in seiner Liebe! Ihr P. Guido