Predigt zum 11. Sonntag im Jahreskreis
B – Ez 17,22-24 und Mk 4,26-34
Es sind doch etliche Fragen, die viele in und auch manche außerhalb der Kirche in unserer Zeit umtreiben. Wie geht es weiter mit dem Glauben heutzutage? Wie geht es weiter mit der Institution Kirche und ihren Ämtern und Diensten? Wir kennen die Beschreibungen der aktuellen Situation: Es gibt Veränderungen der Lebenszusammenhänge in den Familien und der ganzen Gesellschaft, die den Glauben herausfordern und Antworten verlangen. Die Glaubensweitergabe und das Glaubenswissen schwinden mehr und mehr. Viele beklagen eine spirituelle Leere im Leben vieler Christen und dann ist da das bedrückende moralische Versagen in der Kirche durch sexuellen Missbrauch, durch Vertuschungen von Fehlhaltungen, Machtmissbrauch… Die Negativliste ließe sich noch fortsetzen. Wir kennen auch die Reaktionen unter den Gläubigen: Da sind viele, die resigniert die Kirche verlassen. Andere fordern grundsätzliche Veränderungen und Reformen. Wieder andere versuchen, in einer Art Rückzug auf – wie sie meinen – sichere Glaubensaussagen den bedrohlichen Wandel der Zeiten zu überstehen und auszusitzen.
Man könnte fragen: Müsste nicht Gott eingreifen, zeichenhaft und machtvoll, um endlich den Laden wieder in Ordnung zu bringen? Und gleich am besten so, dass, wie es in der Lesung aus dem Propheten Ezechiel gesagt wird, alle erkennen, dass Gott der Herr ist (vgl. Ez 17,24). Und wie – das scheint mir besonders bedrängend – geht man mit der sich verbreitenden Gleichgültigkeit gegenüber Glauben und Kirche um? Was bringt es denn überhaupt, an Gott und seine Nähe zu glauben? Was soll die Rede vom Reich Gottes, wie sie im Evangelium dieses Sonntags thematisiert wird, wenn sie so wenig bei den Menschen ankommt und kaum Veränderungen in der Welt auslöst?
Ich denke, Jesus hat zu seiner Zeit und mit seiner Verkündigung ganz ähnliche Verunsicherung und Widerspruch erfahren. Er antwortet darauf – so erzählt es der Evangelist Markus – mit kurzen Geschichten und Bildworten, mit seinen Gleichnissen. Ja, es hieß sogar: „Er redete nur in Gleichnissen zu ihnen“ (Mk 4,34) „…so wie sie es aufnehmen konnten“. Was will Jesus den Menschen vermitteln? Die Botschaft „vom Reich Gottes“? Ja! Aber ich denke, er will vor allem etwas von dem in den Menschen einpflanzen, das auch in ihm selbst ist. In Jesus – das können wir aus den Evangelien und allen Schriften des Neuen Testamentes erfahren – ist eine riesig große Gewissheit, dass Gott den Menschen liebt und dass er es unendlich gut mit ihm meint, dass er alles tut, damit der Mensch gut und gelingend, ohne Angst und Misstrauen mit ihm die Welt zur Vollendung führen kann. Und auf diesen guten Willen Gottes vertraut Jesus absolut!
Jesus hat nie klar und eindeutig gesagt, was er mit dem Reich Gottes meint. Er hat es die Menschen einfach erleben lassen; er heilt, er tröstet, er ermutigt und befreit, er glaubt nicht an ausweglose Situationen und schon gar nicht an hoffnungslose Fälle. So wird greifbar was das Reich Gottes ist: Es beginnt mit Jesus und ereignet sich überall da, wo Menschen heil werden, aufatmen, wieder neu an sich und Gott glauben. Und diese Art, wie Jesus Menschen begegnet, wie er Gott auf die Menschen hin ins Spiel bringt, das erzählt er in Bildern, in Gleichnissen und Geschichten.
Jesus vertraut völlig darauf, dass seine Art zu handeln, nämlich so zu handeln, wie Gott ist, sich durchsetzen wird. Jesus lässt Gott, den er ganz vertraulich Abba, lieber Vater, nennt, ganz in sich lebendig sein. Jesus wird so selbst zu einem Gleichnis. In ihm ist lebendig, was Gott für und mit dem Menschen will. Das will Jesus in die Herzen der Menschen einpflanzen. Und mit seinem Leben und mit seinem Wort will er glaubhaft machen, dass diese Sicht auf Gott sich lohnt: dass Gott uns kennt, dass keiner ihm gleichgültig ist, weil er uns alle liebt wie ein Vater und wie eine Mutter. Er will uns begreiflich machen, dass Angenommen-Sein und Geborgenheit möglich ist und Vertrauen und Hoffnung keine Einbildung. Jesus hat das nicht aus dem Sicherheitsabstand der Himmelshöhe von oben herab gesagt, sondern in der Betroffenheit und Verletztheit der Anfeindungen, des Verrates und der Enttäuschung bis zum Tod am Kreuz. Jesus bleibt dabei: Glaube und Vertrauen an und auf Gottes Nähe und Liebe sind der richtige Weg zum Leben, zur Fülle des Lebens.
Ich finde es wunderbar, dass er bei all dem so viel Freiheit lässt und nicht einfach sagt, was zu tun ist, damit das Reich Gottes kommen kann. Wenn wir jetzt auf die beiden Gleichnisse des Sonntagsevangeliums schauen, dann ahnen wir, wie Jesus das meint: Das kleine Senfkorn wächst riesig groß… die Saat keimt und wächst allein aus der Kraft Gottes… Also: Wo Glauben gelebt wird, da wächst Glaube, da breitet er sich aus, da erfasst er andere und steckt sie positiv an. Mit dem Reich Gottes ist es wie… Ja, Jesus selbst ist das eigentliche Gleichnis, denn in ihm ist Gottes Reich.
Nein, es gibt kein wohlfeiles Allheilmittel, mit dem man schlagartig die zuvor angesprochenen Probleme und Fragen loswerden könnte. Es gibt allerdings die entscheidenden Hinweise von Jesus her für den Glauben und das Leben der Kirche: Die verdichten sich in der Offenheit dafür, IHM – Gott – zuzutrauen, dass er uns liebt, ja, die Liebe selbst ist. Hätte er uns sonst seinen Geist, also sich und seine Kraft ins Herz gelegt und uns befähigt, wie er selbst zu handeln? Deshalb gilt es auch, so zu handeln, wie Jesus es uns vorgelebt und gesagt hat, und zwar für jeden persönlich und auch für die Kirche! Das kann heißen: Wenn ein Mensch dir Sorgen macht, vielleicht große Sorgen, dann gib ihn nicht auf. Halte zu ihm. Lebe diese Haltung jetzt, sie wird sich auswirken! Wenn du spürst, dass die, die mit harten Ellenbogen kämpfen, sich durchsetzen, wenn du spürst, dass Lüge und Menschenverachtung sich bezahlt machen und scheinbar gewinnen, dann setze weiter auf Wahrhaftigkeit und Liebe und Gottvertrauen. Wenn du krank bist, dann lausche in dich, ob sich nicht in deiner Schwäche eine andere Kraft ankündigt, die zum Heil werden kann. Wenn du an dir zweifelst und nicht an dich glauben kannst, dann vertraue wenigstens ein wenig darauf, dass da von Gott her etwas in dir ist, was noch in dir schlummert und sich noch nicht entfaltet hat. Beginne, deine Grenzen zu verschieben, wachse über dich hinaus, zum Mitmenschen zum Himmel hin. Lebe das Vertrauen in Gott jetzt, es wird sich auswirken! Gott lässt Neues wachsen! Vertraue auf seine Liebe. Und dann wird aus dem Senfkorn ein großer Strauch, in dem die Vögel des Himmels wohnen und die Saat allein wächst aus der Kraft Gottes.
Seien Sie in seiner Liebe gesegnet und behütet! Ihr P. Guido