Predigt zum 3. Fastensonntag – A – Ex 17,3-7 und Joh 4,5-42
Heute und an den kommenden beiden Fastensonntagen werden wir durch das Johannesevangelium in der Liturgie begleitet. Ich möchte Sie einladen, mehr meditativ auf das Evangelium dieses Sonntags zu schauen.
Das Stichwort, das uns da im Text zugemutet wird – er ist ja länger als üblich – heißt „Begegnung“. Für die Menschen früherer Zeiten war der Brunnen und die Wasserstelle mitten im Ort oder am Wegesrand ein solcher Ort der Begegnung. Man musste hingehen, um das lebensnotwendige Wasser nach Hause zu holen. Schwere Arbeit war das, meist für die Frauen. Man konnte miteinander verschnaufen, sich helfen und auch die Dinge des Lebens bereden. Wir heutigen, denen zumindest in unseren Breiten das Wasser bis ins Haus gebracht wird, haben das oft vergessen. Die Dichterin Hilde Domin hat, angestoßen durch den lebensnotwendigen Gang zum Wasser und möglicher Begegnungen, einige Zeilen aufgeschrieben, die ich hier wiedergeben möchte:
Nimm den Eimer
trage dich hin
Wisse du trägst dich
zu Dürstenden
Wisse du bist nicht das Wasser
du trägst nur den Eimer
Tränke sie dennoch
Dann trage den Eimer
voll mit dir
zu dir zurück
Der Gang
hin und her
dauert ein Jahrzehnt.
in: Hilde Domin: Sämtliche Gedichte, 4.Aufl 2010, S.259.
Sieger Köder „Die Frau am Jakobsbrunnen“ in:
„Die Bilder der Bibel von Sieger Köder“
hersg. Von Gertrud Widmann, Ostfildern, 3.Aufl. 1997, S.164f.
Jesus ist der Dürstende. Er wartet am Brunnen. Die Jünger sind in den Ort gegangen, um etwas zur Stärkung zu besorgen…
Es ist Einiges, das da in der Begegnung Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen geschieht. Einiges, das nicht nur für diese Frau Bedeutung hat, sondern auch für uns. Lassen Sie mich neben dem Gedicht von Hilde Domin auch noch ein Bild zur Sprache bringen. Der schwäbische Pfarrer und Maler Sieger Köder hat es gemalt. Da sieht man einen tiefen dunklen Brunnen. Gemauert und voll Wasser. Eine Frau steht am Brunnenrand. Allein schaut sie von oben hinab. Aber auf der Wasserfläche des Brunnes spiegeln sich zwei Gesichter: ein Mann und eine Frau. Oben allein, im Spiegelbild zu zweit.
„Trage dich hin zum Brunnen“, sagte Hilde Domin. Im Bild wird das, was im Evangelium anklingt, genauso zur Sprache gebracht. Die Frau mit ihrer inneren Geschichte. Der Mensch mit seiner Geschichte. Sie sieht sich. Sie erkennt sich. Aber nicht nur sich allein. Da ist Jesus neben ihr, der sie anschaut. „Ich kenne dich“, sagt sein Blick. „Ich weiß um deine Lebensgeschichte. Um deine erfolglosen Versuche, einen richtigen Partner zu finden. Deine Sehnsucht nach Liebe und Nähe. Deine zerbrochenen Lebensziele, die vielen Krisen, die du erlebt hast. Die unentwegten Versuche, deinen Lebensdurst zu stillen. Und das schmerzhafte Gefühl, das das alles nicht ausreicht.“ – Das könnten auch wir sein, die so mit Jesus in die Tiefe des Brunnens schauen. Er ist da am Brunnen unseres Selbst. Und auch uns würde er die Augen öffnen für das, was wir im Leben suchen und brauchen. Wie dieser Frau sagt er auch uns: Ich halte es neben dir aus. Jetzt, wenn du dein Leben anschaust – im Spiegelbild des Wassers – ganz tief unten im Brunnen, nahe der Quelle. Und wie der Frau erzählt er auch uns vom Vater im Himmel, vom Wasser, das den Durst des Lebens löschen kann, vom Geist Gottes und seiner befreienden Kraft.
Begreifen wir wie diese Frau, dass nicht wir mit all unseren Ideen und Plänen den Durst nach Leben stillen können! Der wahre Lebens- und Kraftquell ist der, dem wir da begegnen, Jesus. Lebendiges Wasser, sprudelnde Quelle, die durch den Glauben auch in uns aufbrechen will. „Dann trage den Eimer voll mit dir zurück…“ sagt Hilde Domin. Diese Frau konnte mit Jesus auch die schmerzlichen Seiten ihres Lebens anschauen. Was sie zurückträgt, ist die Gewissheit, dass da einer von Gott ist, der die Wunden ihres Lebens heilt, den Durst nach Leben von Gott her löscht. Den anderen kann sie jetzt sagen: Der hat mir in die Seele geschaut und mir einen Weg gezeigt! – Und die anderen erfahren genau das auch…
Dieses Evangelium und die Tage der Fastenzeit wollen uns zum Brunnen der Taufe führen.
In der Osternacht werden wir unsere Taufe unsere Existenz und unseren Glauben als Christen erneuern. Wagen wir mit Jesus den Blick in den eigenen Brunnen unseres Lebens. Schauen wir, wo und bei wem unsere Quellen sind. Manchmal braucht es viel Lebenszeit bis wir zur rechten Erkenntnis gelangen. Nutzen wir die Chance, die uns jetzt gegeben ist. Mit Jesus entdecken wir das, was wirklich lebensnotwendig ist.
Auch zu uns sagt er: Wenn du wüsstest, wer dich um Wasser bittet.
Jesus und in ihm Gott dürstet es nach der Antwort unserer Liebe.
Ihnen gesegnete Tage und bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido