Kind, warum hast du uns das angetan?



Predigt zum Fest der Hl. Familie – C – 1 Joh 3,1-2.21-24 und Lk 2,41-52
Es ist besonders dieses Jahr. Der sogenannte 2. Weihnachtstag fällt kalendermäßig auf einen Sonntag. So verdrängt der Sonntag das Fest des Hl. Erzmärtyrers Stephanus und wir feiern das Fest der Hl. Familie mit den an diesem Tag vorgegebenen Texten der Liturgie.
Besonders der Text des Evangeliums nach Lukas führt direkt hinein in Grundfragen des familiären Zusammenlebens und der Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Die Frage Mariens: „Kind, warum hast du uns das angetan?“ (Lk 2,48b), ist eine Frage, die wir gerade im Beziehungsverhältnis mit jenen Menschen, die uns am Herzen liegen oft stellen. Die Fragen nach dem „Warum?“ treiben auch uns bisweilen quälend um. Warum hat dieses oder jenes ausgerechnet so kommen müssen, wie es gekommen ist? Warum hat gerade mir oder uns das zustoßen müssen? Warum habe ich, hast du krank werden müssen? Und so weiter und noch Schlimmeres. „Warum“-Fragen, die uns betreffen und Erfreuliches zum Gegenstand haben, stellen wir kaum einmal. Es ist auch bezeichnend, dass wir fast alle diese Fragen mit einer Form des Zeitwortes „müssen“ bilden. Vielleicht deshalb, weil wir spüren: Was da geschehen ist, kommt nicht von ungefähr. Es mag etwas dahinterstecken, was zu korrigieren oder zu beeinflussen nicht in unserer Macht steht. Man mag es „Schicksal“ nennen und sich dagegen aufbäumen oder resignieren. Die Frage nach dem Warum ist dann vor allem Verzweiflung oder Auflehnung. Mit Blick auf unser Verhältnis zu Gott bleibt hier zu sagen: Der Glaube, wenn manchmal auch bis zum Zerbrechen angefochten, mag hinter diesem „Müssen“ die Zuneigung eines trotz allem liebenden Gottes nicht bestreiten. Hinter und unter dem „Warum“ und „Muss“ verbirgt sich eine Ahnung und die Hoffnung, dass auch das noch einen Sinn haben möge, was wir (noch) nicht durchschauen und uns an den Rand unserer Kraft bringt. Im Rückblick - wir haben es schon erfahren - enthüllt sich dann bisweilen etwas von dem Sinn und sind wir wie durch großen Schmerz wissender geworden. Wenn wir es so ausdrücken wollen: Unser Gott ist ein „Warum“-Gott. Seine Gedanken sind nicht unsere Gedanken und seine Wege nicht unsere Wege, stellt der Prophet Jesaja fest (Vgl. Jes 55,8). Als ob wir das nicht schon geahnt hätten!
Vielleicht eben wieder an Weihnachten. Warum hat Gott Mensch werden müssen, noch dazu so als Kind in der Futterkrippe, am letzten Platz und weitab in einem Stall? Viele sind an dieser „Warum“-Frage gescheitert, haben Gott nicht erkennen können in dem Kinde, einen Gott, der sich so klein macht. Gut: Wir sind da besser dran; im Rückblick ist uns ein Licht über das Warum dieser Menschwerdung aufgegangen. Wir erahnen Zusammenhänge und Antworten, wo die Menschen zur Zeit Jesu, auch und gerade die religiösen, vor einem „Ärgernis“ gestanden haben. Das ist es im Grunde geblieben, aber wir haben uns daran gewöhnt - vielleicht zu sehr.
Auch das Fest der Heiligen Familie, hat sein „Warum“ und „Muss“. „Warum“ zum Beispiel „müssen“ wir dieses Fest überhaupt feiern? Wissen wir doch kaum etwas Gesichertes über diese Familie. Denn die Kindheitsgeschichten Jesu bei Lukas und Matthäus haben einen anderen Stellenwert als den historischer Berichte oder erbaulicher Erzählungen. Aber gerade deshalb möchten wir gerne wissen, worauf Mariens Frage eigentlich abhebt: „Kind, warum hast du uns das angetan?“ (Lk 2,48b). In dieser Frage steckt mehr als verständnisloses Kopfschütteln, geht es doch um das Geheimnis dieses Kindes. Mit Maria möchten wir besser verstehen und begreifen, was es damit auf sich hat. Aber der Zwölfjährige gibt keine eindeutige Antwort. Geheimnisse haben meist keine einfachen Antworten. „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ Lk 2,49). Schon wieder ein „Warum“ und ein „Muss“! Welch ungeheuerlichen Anspruch erhebt dieses Kind? Da kommt Geheimnis zu Geheimnis. Erst im Rückblick, und wir wissen es ja: von Ostern her, hat Mariens und unser Warum eine Antwort gefunden. Deshalb wird hier von Lukas so erzählt. Nur von Ostern her fällt Licht auf diese Szene. Nun aber gibt es dieses „Fest der Hl. Familie“ übrigens erst seit 1921! Und lange hat man uns glauben machen wollen, in dieser besonderen Familie sei das Zusammenleben stets harmonisch und friedlich verlaufen, und hat man sie uns als moralisierendes, weltfremdes Vorbild für „Vollkommenes Familienglück“ hingestellt. Das heutige Evangelium lässt ein anderes Bild zumindest durchscheinen, wenn wir nicht lieber schweigen wollen von dem, worüber wir so gut wie nichts wissen.
Aber sei's drum! Ahnen lässt es sich vielleicht: das geheimnisvolle „Muss“ auch über dieser Familie, das Tränen, Fragen und Zerreißproben gekostet haben mag. Wo Menschen hautnah zusammenleben und, vor allem dort, wo Gott hereinbricht in diese Gemeinsamkeit, kann eitle Harmonie keinen Bestand haben und bleibt jegliche Idylle fern. Maria bewahrte alles in ihrem Herzen, heißt es. So hat es schon einmal geheißen, als die Hirten erzählt haben, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war (vgl. Lk 2,18f). „Bewahren“ heißt nicht, dass man um das Bewahrte weiß. Das Geheimnis bleibt in ihr also gegenwärtig. Maria bringt es fertig, mit diesen „Warum“, mit dieser Spannung und in dieser Zerreißprobe zu leben, den ganzen Weg lang, den sie mit Jesus geht. Bis Ostern. Das macht ihre Größe aus.
Darum - und nur darum - kann die Gottesmutter und natürlich auch der Hl. Joseph für heutige Eltern Vorbild und Hilfe sein. Weil auch sie lernen mussten, den eigenen Weg des Jesuskindes bis hin zum Erwachsenenleben auszuhalten und in Liebe zu begleiten. Jedes Kind steht ja unter dem „Muss“ seines je eigenen Lebens: Vom Glauben her betrachtet, dem Bild, das Gott von ihm entworfen hat, immer ähnlicher zu werden, es immer deutlicher auszuformen und zu leben und das auch noch unter der Maßgabe der freien Entscheidung. Dabei geht es für die Eltern nicht ohne schmerzliches und nichtverstehendes „Warum“ ab und ganz gewiss nicht ohne Verzicht auf jene Bilder, die sie sich von ihm gemacht haben. Schließlich haben seine Angehörigen auch von Jesus einmal gesagt: „Er hat den Verstand verloren“ (vgl. Mk 3,21). Und dieser Stoßseufzer ist mit Sicherheit historisch (vgl. auch Mk 3,31-35). Dennoch bleibt immer die offene Türe der Liebe…
Gnadenreiche Tage und bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido