Er fragt uns nicht irgendwann am Ende, sondern schon HEUTE


Predigt zum Christkönigssonntag A – Ez 34,11-12.15-17a; 1 Kor 15,20-26.28 u. Mt 25,31-46
Wann sollte man vor einer schwarzen Katze Angst haben? Diese Frage fand ich einmal in einem etwas besonderen Rätselbuch. Tatsächlich gibt es auf diese Frage zwei mögliche Antworten. Die erste lautet: Wenn man abergläubisch ist. Die zweite: Wenn man eine Maus ist.
Warum ich das erzähle? Nun, dem Evangelium dieses Sonntags könnte man eine vergleichbare Frage voranstellen: Wann sollte man vor dem dort angekündigten Weltgericht Angst haben? Die Antwort hat sicher nichts mit Aberglauben und ebenso wenig mit Mäusen zu tun. Verzeihen sie mir, diesen lockeren Beginn. Aber ich weiß, dass manche Christen entweder mit dem im Evangelium angesprochenen „Weltgericht“ nichts anfangen können oder einfach Angst haben vor dem, was sie selbst mit dem Begriff „Gericht“ verbinden.
Im apostolischen Glaubensbekenntnis sprechen wir allerdings von Christus, „der kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten“. Also gehört das Gericht am Ende zu unserem Glaubensgut. Im Alltagsglauben vieler Christen aber kommt das „jüngste Gericht“ dennoch nicht vor. Da schreibt Matthäus nun – im Evangelium dieses Sonntags hören wir es –, dass am Ende einer auf uns zukommt – auf jeden und jede – einer, der uns durch und durch kennt, einer vor dem man keine Masken mehr tragen braucht, weil er sie sowieso durchschaut, weil er uns kennt, wie wir sind. Er wird uns nach unserem Leben fragen. Dabei haben viele Gott als Richter abgesetzt. Sie sind der Auffassung, sie selbst wissen genau, wer gut und wer böse ist. Man unterscheidet Schafe und Böcke. Und wir malen schwarz oder weiß und suchen die Schuld in der Regel bei den anderen. Unser Gewissen ist rein…
Übrigens: Warum sollte man denn das Gericht ins Jenseits verschieben?
Macht es Jesus nicht anders? Nach Matthäus ist das so: Jesus kommt aus der Ewigkeit, die wir „Jenseits“ nennen und hält uns den Spiegel hier und jetzt im „Diesseits“ vor. Er spricht im Hier und Jetzt von denen in Not, den Flüchtlingen, den Vertriebenen, den Kranken, den Gefangenen und den Hungernden unserer Welt. Aus dem Johannesevangelium wissen wir, dass schon „gerichtet“ ist, wer dem „Christus“ nachfolgt. Das Gericht erledigt sich in der Nachfolge. So steht es dort geschrieben (vgl. Joh 3,18).
Matthäus aber bringt in seiner Erzählung eine andere Perspektive zur Geltung: Nicht am Ende, sondern im Jetzt und im Heute begegnest Du Deinem Richter! Das ist doch konkreter! Und dann? Natürlich hoffen wir alle, dass der Tod nicht einfach ein Weg ins Nichts ist. Natürlich wollen wir alle ein Leben der Ewigkeit und der Fülle jenseits des irdischen Horizontes, auch wenn uns dafür die Worte fehlen, diese Hoffnung in ihrer Vollendung zu beschreiben. Und da steht an der Schwelle in die Welt Gottes, die Christus selbst ist, ER selbst. Dich und mich fragt er und selbstverständlich auch die Gemeinschaft der Kirche, nach unserer Wahrnehmung der Mitwelt und Mitmenschen, nach der einzig geschuldeten Liebe und dem Leben füreinander. Er gibt uns sogar eine Art Werkzeugkiste in die Hand und in ihr das Handwerkszeug: Die Werke der Barmherzigkeit. Sie sind heute genannt.
Nochmal: Er fragt uns nicht irgendwann am Ende, sondern schon HEUTE.
Müssen wir Angst haben vor dieser Begegnung, die im Hier und Heute stattfindet und uns dennoch einholen wird an der Schwelle zur Vollendung des Lebens?
Müssen wir also Angst haben?
Auch wenn wir es vielleicht nicht wahrhaben wollen, dass es diesen Augenblick geben wird, oder wir nicht, oder nicht mehr mit Gott rechnen, weil wir ihn und an ihn nicht recht glauben wollen oder können. Ich bin überzeugt davon, dass der Augenblick der Begegnung mit ihm erschütternd sein wird und absolut wahrhaftig. Dir und mir wird beschämend und erhellend klar werden, wie all das war, was im Hier und Jetzt getan oder nicht getan wird. Es kann sein, dass dieser Moment der Ewigkeit uns zu Tränen rührt und der Schmerz über Versäumtes und Falsches brennt wie Feuer. – Papst Benedikt hat das in seiner Enzyklika „Spe Salvi“ als wirklich treffendes Bild für das „Fegefeuer“ aufgeschrieben (vgl. Spe Salvi, 41f). – Verstecken können wir uns nicht. Ausreden sind vergeblich. Der Spiegel ist die absolute Wahrheit und wir in ihr, in der Wahrheit. Warum das so ist, fragen wir. Nun, weil Christus selbst im Du steckt, im nervenden und mit uns konfrontierten Mitmenschen, im Anderen. „Wo haben wir dich gesehen und sind dir begegnet?“ so fragen sie alle (Mt 25,37-40.44-45) und sind überrascht: Sein Name ist „Ich bin da“ – im Fernen und im Nahen, in der pflegebedürftigen Oma nebenan, im Kriegsflüchtling, im missbrauchten Kind, im dementen Ehemann, in der geschlagenen Frau, im Gefangenen, den man wohl auch mit Recht weggesperrt hat, im Kaffeebauern in Afrika oder Südamerika, den man um den gerechten Lohn bringt, in der Kollegin am Arbeitsplatz, die mühselig versucht, als Alleinerziehende das Leben zu bewältigen. Diese Aufzählung ließe sich noch lange fortschreiben und wir kommen nicht zu Ende, denn ER ist da auch in all jenen, denen man ihre Not gar nicht ansieht, drüben in der Parterrewohnung im Nachbarhaus oder am Ende der Welt…
Das Gericht findet also JETZT und zeitgleich am ENDE statt. Matthäus möchte seiner Gemeinde und damit auch uns deutlich machen, dass wir tatsächlich in Gottes Ewigkeit leben und deshalb unser Leben im Angesicht Gottes zu gestalten haben, besser noch mit IHM, dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn Jesus Christus. Von ihm und uns schreibt Huub Oosterhuis (1933-2023):
Nicht Schicksal wird beschieden sein,
die deinen Weg begehen;
nur du wirst ihnen Atem sein
und lässt dein Land sie sehen.
Die Wüsten sind von Tau getränkt,
Gerechtigkeit erfahren,
die schon verworfen waren.
(Huub Oosterhuis im Schott-Messbuch, Lesejahr A, Christkönigssonntag)
Nein, Angst müssen wir nicht haben. Jetzt so zu leben, dass wir mit IHM und aus seinem Leben – seinem Atem – unseren Weg gestalten, das steht immer an. Dann werden wir das Land der Verheißung auch erreichen.
Seien Sie gesegnet in der Liebe Gottes und allzeit behütet! Ihr P. Guido