Die Türen zu Gott sind weit geöffnet, dem der liebt.
Predigt zum 31. Sonntag im Jahreskreis – B – Dtn 6,2-6; Hebr 7,23-28 u. Mk 12,28b-34
Das wäre es doch: Einen Generalschlüssel für die Ewigkeit. Einen Code, der alle Zugänge öffnet. Das wäre schon eine großartige Sache ein solcher Universalschlüssel! Sich nicht durch einen ganzen Wust unterschiedlicher Schlüssel von Tür zu Tür voran arbeiten zu müssen, sondern mit einem einzigen Schlüssel gewissermaßen im Handumdrehen zum Ziel zu kommen. Dabei hat man, wenn man im Besitz eines solchen Schlüssels ist, auch eine hohe Verantwortung. Kaum eine Versicherung deckt das Risiko ab, wenn man ihn verlieren würde und dann die komplette Schließanlage ausgewechselt werden muss! Und erst der Code, das Passwort! Da könnte ja jeder und jede auf alles zugreifen!
Dieser Schriftgelehrte, der da Jesus nach dem zentralen Gebot des Lebens für einen gläubigen und suchenden Menschen fragt – kein Wunder, gab es doch in der von den jüdischen Glaubenslehrern aufgestellten Weisung insgesamt 613 Gebote und Verbote –, muss erkennen, dass es tatsächlich einen solchen Universalschlüssel gibt. Er muss ebenso begreifen, dass er ihn auch schon längst in seinem Besitz hat, diesen Code, mit dem sich der ganze Wille Gottes erschließen lässt. Sicher ein wenig verdutzt wiederholt er, was Jesus ihm sagt, und begreift dann sicher mit tiefer Einsicht das Gehörte.
Für Gott ist ein jeder so wichtig, dass er ihm Zugang zu ihm gewährt: Gott zu lieben, das bedeutet schlicht anzuerkennen, dass er da ist, ihn zu achten, in der Würde und anzunehmen, wie jene, die man selbst liebhat, und das dann ebenso auf die Mitmenschen – und jeder und jede ist Mit-Mensch und damit auch „Nächster“ – zu übertragen und ebenso zu halten. Ja, der Universal-Schlüssel oder das allgemein gültige Passwort liegt in der Fähigkeit zu lieben.
Keiner wagte mehr, Jesus eine Frage zu stellen (vgl. Mk 10,34b). Eigentlich ist da auch nicht mehr zu sagen. Oder?
Tatsächlich, wenn jede und jeder, auch von uns, diesen Schlüssel hat, welche Verantwortung haben wir dann? Da liegt es an uns, ihn auch zu benutzen. Als ganzer Mensch, mit Kopf und Herz, mit ganzer Kraft, Gott zu lieben, und den Mitmenschen zu lieben und anzunehmen, wie sich selbst, das ist – wie wir aus Erfahrung wissen – keineswegs nur eine ganz allgemeine Anweisung zu einem gläubigen Leben! Das Problem liegt wie so oft im Detail. Allgemein von der Liebe zu reden, von der Gottesliebe, der Nächstenliebe und sogar von der Selbstliebe, das hat man schnell getan. Aber den richtigen „Dreh“ zu finden, wenn ich beispielsweise das Gefühl habe, Gott und seinen Willen nicht zu verstehen, oder wenn ich mich von ihm missverstanden wähne, oder wenn mir der Mitmensch allzu sehr auf die Nerven geht, mich bedrängt oder missachtet, wenn es in mir selbst rumort und ich mich eigentlich ob meiner Prägungen und meiner Geschichte eigentlich nicht mag –, dann scheint die Aufforderung zur konkreten Liebe oft eine Überforderung zu sein.
Wie wäre es, einmal aus einer anderen Perspektive auf all das zu schauen?
Wenn das, was die Bibel – ich meine das Alte wie auch das Neue Testament – als Geschichte Gottes mit den Menschen erzählt, tatsächlich seine Richtigkeit hat, also auf eine ganz eigene Art der Wahrheit entspricht, dann hat Gott doch diesen Schlüssel zuerst benutzt, um unsere Herzen aufzuschließen…
Er hat seine Liebe, also sich selbst, aufgeschlossen in den unzähligen Begebenheiten, welche die Geschichten des Bundesvolkes Israel, der Propheten und der Gebete der Psalmen erzählen, bis hin zu Jesus, bis hin zu dessen Worten der Freiheit und der Frohen Botschaft, bis hin zum Kreuz und dem weggenommenen Stein vor dem leeren Grab!
Wenn ich das ernst nehme, wird so mehr als deutlich, wie dieser Schlüssel, dieses Passwort der Liebe benutzt werden will und muss. Wer in der Hinwendung zum anderen, zum Mitmenschen und ebenso zu den Dingen der Welt, an der Türe seines Herzens sucht, der wird begreifen, dass ihm dieser Code, dieser Universalschlüssel, längst in die Hand gegeben ist, damit er ihn benutze. Das eigene Herz muss man öffnen! Wenn man allerdings die Türe des eigenen Herzens verschlossen halten möchte, bleibt alles verschlossen.
Von Jesus selbst stammt die Gebrauchsanleitung für die rechte Zugangsmöglichkeit, die der heilige Augustinus einmal so formulierte: „Liebe, und tue, was du willst!“ Als allgemeine Gebrauchsanleitung könnte man auch sagen: Wenn du von anderen angenommen und zumindest geachtet oder gar geliebt sein möchtest, dann liebe sie vorweg! Wenn du den Weg zu Gott finden möchtest, dann bereite anderen den Weg zu ihm; wenn du die Nähe und Gegenwart Gottes spüren und erfahren willst, dann schenke selbst den Mitmenschen deine Nähe und habe ein offenes Herz für sie.
Wenn du dann trotzdem Ablehnung erfahren solltest, dann kannst du sicher sein, in deiner Liebe dem anderen gezeigt zu haben: Die Türen zu Gott sind weit geöffnet, dem der liebt.
Vom Hl. Bernhard von Clairvaux (1090-1153) stammt das Wort:
„Du musst nicht über die Meere reisen, musst keine Wolken durchstoßen und nicht die Alpen überqueren. Der Weg, der Dir gezeigt wird, ist nicht weit. Du musst Deinem Gott nur bis zu Dir selbst entgegengehen. Denn das Wort ist Dir nahe: Es ist in Deinem Mund und in Deinem Herzen.“
Ich wünsche Ihnen Gottes Segen und bleiben Sie behütet!
Ihr P. Guido