14. Sonntag im Jahreskreis – C – Gal 6,14-18 und Lk 10,1-9 (Kurzfassung)
Die Jünger sind mit Jesus unterwegs: Das Gesicht fest gegen Jerusalem gerichtet (Lk 9,51). Dort in Jerusalem wartet das Kreuz, wartet Tod und Auferstehung. Und wir mit ihnen, denn auch wir sind wie die Jünger zur Zeugenschaft für den Weg Jesu berufen. Wir sind „hinter ihm her“, sind in der Nachfolge des Herrn, sind „Christianoi“, wie es später in Antiochia hieß, sind Christen – wir gehören durch die Taufe zu ihm. Lukas setzt die Übermittlung der „Weg-Worte“ Jesu fort.
„Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden“ (Lk 10,2). Wenn wir nur bei diesem Satz hängenbleiben, wenn wir lamentieren wollten über zu wenige „geistliche Berufe“ auch und gerade in der augenblicklichen Situation der Kirche, dann sei uns in Erinnerung gerufen, dass dieser Satz nicht heute, sondern um das Jahr neunzig unserer Zeitrechnung, also rund sechzig Jahre nach Tod und Auferstehung Jesu aufgeschrieben wurde. Es geht also nicht vordergründig um ein heutiges Nachwuchsproblem eines Berufstandes der Kirche. Es geht um uns, ganz gleich wo und wie wir als Christen zu leben versuchen.
Genau damit haben wir zu tun bei dem heutigen Textabschnitt des Lukasevangeliums. Es scheint zunächst verwirrend, was Lukas da aufgeschrieben hat, denn er bringt historisch Späteres und Früheres zusammen, vermischt es sogar. Er fügt die bei Matthäus und Markus anders verortete Aussendung der Jünger (vgl. Mt 9,37 – 10,14 u. Mk 6,7-12) an der Stelle ein, wo Jesus sich gerade auf den Weg nach Jerusalem gemacht hat. Warum? Nun Lukas schreibt aus der Sicht des Missionsauftrages der frühen Christengemeinden, der von Jesus auf die Jünger-Gemeinschaft und dann auf die Gemeinden übergegangen ist. Es sind diese Gemeinden, die im Auftrag Jesu Missionare aussenden, wobei die genannte Zahl 72 die Sendung zu allen damals bekannten Völkerschaften meint (vgl. die Aufzählung der Nachkommen Noachs in Gen 10). Dass der Evangelist die Sendung Jesu und den Auftrag an die Gemeinden so zusammenbringt, macht vor allem eines deutlich: Bevor die Jünger – oder die späteren Christen – zu den Menschen gehen, müssen sie ganz persönlich als seine Jünger, Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem begleiten. Nur so werden sie Zeugen seines Todes und seiner Auferstehung und nur so können sie den Menschen aus eigener Erfahrung sagen: „Das Reich Gottes ist euch nahe!“ In solch inniger Verbindung mit dem Weg Jesu kann auch verstanden werden, was mit dem „Reich Gottes“, das in Jesus angebrochen ist, gemeint ist. In der Herrschaft Gottes ist Jesus die absolute Mitte: Er verkündet durch sein Wort und sein Beispiel den Gott, der uns – so hat es Frère Roger Schütz von Taizé einmal gesagt – „mit unbeschreiblicher Liebe liebt“. Gottes Herrschaft ist nichts anderes als die absolute Gegenwart der Liebe. Menschliche Herrschaft strebt im Gegensatz dazu nach Macht und Machterhalt. Das aber ist nicht die Sache Jesu!
Aber überall da, wo Menschen sich am Beispiel Jesu orientieren, wo Christen als Zeugen Jesu einander dienen, wie er gedient hat, wo sie wie er das Böse vertreiben – Dämonen austreiben – und Kranke heilen, wo sie bereit sind, der Welt zu sagen und vorzuleben, worin der Friede Gottes besteht, da findet diese Botschaft Anhänger und Jesus neue Freunde. Freilich kann es auch sein, dass man mit dieser Sendung „wie ein Schaf unter die Wölfe gerät“ das heißt auf Feindseligkeit oder Ablehnung und Gleichgültigkeit stößt. Dafür steht das Kreuz Jesu, das, wie Paulus es im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth geschrieben hat, „den einen ein empörendes Ärgernis, anderen eine Torheit ist, für die Berufenen aber… Gottes Kraft und Gottes Weisheit“ (1Kor 1,23f). Wer bereit ist, mit Jesus auf dem Weg nach Jerusalem zu gehen und bei ihm zu bleiben, trägt aus der eigenen Erfahrung und im Geist Jesu das Reich Gottes in sich. Nicht Erfolg, Leistung oder Gesundheit zählen da, sondern allein das Vorbild Jesu: In dem Maße nämlich, wie die Zeugenschaft der Jünger zur eigenen Identität wird, indem sie suchen, wie er zu dienen und auf Macht zu verzichten, also die Liebe Gottes zu leben, werden sie den Menschen sagen können: „Das Reich Gottes ist euch nahe!“ Das alles hält Lukas aus seiner eigenen Missionserfahrung fest, war er doch mit Paulus und anderen, wie wir aus der ebenso von ihm verfassten Apostelgeschichte wissen, unterwegs, um die frohe Botschaft des Evangeliums weiterzusagen.
Die Empfehlung „keinen Geldbeutel, keine Vorratstasche und keine Schuhe“ mit auf den Weg zu nehmen (Lk 10,4), müssen wir anschauen, um sie auf uns heute übertragen zu können. Hier geht es nicht vordergründig um bloßen materiellen Verzicht. Das Vorbild ist wieder Jesus: In ihm verzichtet Gott aus Liebe auf seinen göttlichen Status und jegliche Macht und wählt den untersten, den geschöpflichen Weg, um dem Menschen seine Nähe zu schenken. Paulus hat das wunderbar im Hymnus des Philipperbriefes aufgeschrieben (vgl. Phil 2,5-11). So muss sich ein Christ aufmachen, mit nichts anderem als sich selbst und seiner Gottesbeziehung. Genau darum geht es und unzählige vor uns haben es als Glaubenszeugen vorgelebt, jeder und jede aus der Armut seines eigenen Lebens: Wer Gott aus seiner Erfahrung zu anderen Menschen bringen will, der sollte sich dabei auch ganz auf Gott verlassen. Er oder sie kann diesen Gott, der in Jesus so arm geworden ist, anderen nicht anders bringen, als er oder sie sich in seiner ganzen Armut selbst bringt und nur sich selbst. Wir können das Vertrauen in Gott nur dann überzeugend weitersagen, wenn wir selbst radikal – also von der Wurzel her – aus diesem Gottvertrauen zu leben suchen. Man kann anderen den Frieden nur dann bringen, wenn man ihn in sich selbst trägt. Sonst wird die Verkündigung schnell zum leeren Geschwätz (vgl. 1Kor 13,1). Für die anderen sind wir nur, was wir auch vor Gott sind. Und dann kann es geschehen, dass sie auf einmal hinhören, wenn wir ihnen sagen: „Das Reich Gottes ist euch nahe!“ Eines ist noch wichtig: Am Anfang unserer Schriftstelle hieß es, dass der Herr „sie zu zweit“ vor sich her sandte dorthin in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte (Lk 10,1). Wer von uns wüsste nicht, dass man allein rasch müde wird und dazu neigt, schnell aufzugeben. Einen Weggefährten zu haben, das schafft Unterstützung und Bestärkung und lehrt auch, dass es der Herr ist, dem wir den Weg bereiten – nicht uns selbst verkünden wir. Als Zeugen seines Weges dürfen wir es getrost ihm überlassen, „der Weg, die Wahrheit und das Leben zu sein“ (Joh 14,6). Er allein ist es, in dem das Reich Gottes nahe ist.
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido