Predigt zum 19. Sonntag im Jahreskreis – A – 1 Kön 19, 9a.11-13a u. Mt 14, 22-33
Ehrlich, wie würden Sie antworten, wenn man nach Ihrem Verständnis des eben gehörten Evangeliums fragte? Ist das nicht ziemlich unglaubwürdig – wie soll denn das möglich sein? Petrus will es ja auch ausprobieren und geht gleich unter, zumindest fast. Ich denke, die Frage ist berechtigt, was der Evangelist und natürlich Jesus überhaupt mit dieser Erzählung bewirken wollten. Ging es überhaupt um das, was wir Wunder nennen?
Darf ich dazu einladen, hineinzugehen in die Geschichte? Also, wir sitzen mit den Jüngern im Boot. Zuvor waren wir wie immer auf unserem gemeinsamen Weg mit Jesus zusammen gewesen. Wir haben staunend miterlebt, wie er mit seinem Segenswort dafür sorgte, dass die fünf Brote und zwei Fische ausreichten, um viele Menschen – fünftausend Männer und ebenso die Frauen und Kinder – satt zu machen und tatsächlich wurden alle satt und es blieben zwölf Körbe voll Brotstücke übrig (Mt 14,13-21). Jesus hat uns dann vorausgeschickt. Er selbst ging auf einen Berg, um zu beten. Und wir, mittlerweile ein gutes Stück vom Land entfernt auf dem See. Abmühen mit dem Rudern war angesagt, denn es war Gegenwind.
Gegenwind. Ja, natürlich… Wie heißt es doch in dem Lied, das vor etlichen Jahren entstand: „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit…“ (Text und Melodie v. Martin Gotthard Schneider, 1960). Was ging in den Jüngern vor sich? Sie sind miteinander auf dem Weg. Im Morgengrauen. Es war die „vierte Nachtwache“. Der Weg ist unklar, da ist es neblig. Zwielicht, Gegenwind, unruhig. Die Situation der Jünger, die Situation der Gemeinde, die Wirklichkeit der Kirche auf ihrem Weg durch die Zeiten steht vor Augen.
Und dann: Es wird etwas sichtbar. Eine Art Licht. Ihre Ängste wachsen. Ein Gespenst? Ein Irrlicht? Sie erkennen nicht. Angst macht sich breit.
Und dann werden sie angesprochen: „Habt Vertrauen, ich bin es, fürchtet euch nicht!“ (Mt 14,27).
Das will an die Ostergeschichten erinnern. Auch da erkennen die Jünger zuerst nicht. „Ich bin es!“ sagt der Herr. Da haben wir so etwas wie einen Faden in der Hand, der uns zu Deutung führen kann. Das Stichwort heißt: Begegnung mit dem Herrn – Begegnung mit dem, der auf dem unruhigen und oft angstbesetzten Weg der Jünger, der Kirche, unserer Gemeinde zu uns kommt. Auch heute.
Nun, Petrus will es genau wissen – gerade Petrus – „Wenn du es bist…“ und Jesus sagt zu ihm: „Komm!“ – Und er steigt aus dem Boot, mitten auf dem See… Wie haben die anderen reagiert? Die einen wohl überrascht, die anderen erstarrt vor Angst. Da sind auch welche, die Petrus festhalten, hindern wollen. Petrus macht einige Schritte auf Jesus zu, doch als er den Blick abwendet von ihm, bemerkt, was er getan hat, da verlässt ihn der Mut, er droht unterzugehen. Jesus hört seinen Schrei: „Rette mich!“ und streckt sofort seine Hand nach ihm aus. „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ (Mt 14,31). Und dann ist Jesus mit im Boot, der Wind legt sich, der Weg ist klar. Es bleibt das Bekenntnis: „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn!“
Was ist nun tatsächlich das wunderbare in dieser Glaubensgeschichte?
Das Wunder ist nicht, dass Jesus über den See geht. Das Wunder ist, dass er, dass Jesus den Jüngern, der Kirche, immer nahe ist auch in widrigen Umständen, dass er rettet aus dem Kleinglauben, dass sie begreifen dürfen, mit ihm gibt es immer einen Weg… und er ruft uns zum Zeugnis! Das ist die eindringliche Botschaft Jesu, die der Evangelist allen in der Nachfolge Jesu weitergeben will: Der Weg auf den Herrn hin, in den Nebel und das Licht des neuen Morgens, kann nur im Vertrauen darauf geschehen, dass der ER uns nahe ist, dass der Auferstandene uns sogar an eigentlich unmöglichen Orten und selbst im größten Chaos begegnet. Da ist zwar das Boot der Kirche – aber es ist im Grunde völlig egal, ob es eine Nussschale oder ein Ozeandampfer ist. Entscheidend ist bei allem Zweifel und allen Ängsten, die es auch gibt, dass der Herr uns ruft: „Komm! Komm, mit mir zu den Menschen, zu denen, die mit euch leben und wohnen, zu denen, die am Rand sind, zu denen, die krank und schwach sind. Komm! Auch wenn du nicht weißt wie es gehen kann. Komm! Ich halte dich, ich reiße dich heraus, wenn du den Halt verlierst aber mich anrufst! Komm! Und zeige ihnen mit deiner Nähe meine Liebe!“ In seinem apostolischen Schreiben „Von der Freude des Evangeliums“ (Evangelii Gaudium, Vatikan 2013) sagt Papst Franziskus mit Blick auf das notwendige Engagement der Kirche: „Mir ist eine ‚verbeulte‘ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist“ (Evangelii gaudium Nr. 49). Die Aufforderung des Herrn an Petrus ist dazu ein Ansporn. Der Wagemut des Petrus täte auch uns heute gut im Hinhören und Dranbleiben am Ruf des Herrn. Der Ruf Jesu: „Komm!“, heißt ja nicht: „Mach dein Ding!“ Vielmehr ist es eine Einladung, bei ihm zu sein und mit ihm zu gehen auch über das Wasser. Und deshalb ist Glaube, ist Gemeinschaft des Glaubens notwendigerweise immer Beziehung, Beziehung zum Herrn und zueinander. Dabei geht es nie nur um den Einzelnen, nie nur um einen einzelnen Kirchort oder Gemeindeteil, nie nur um die Vereinzelung, sondern um den Weg, der zusammenführen will zum Herrn und mit ihm.
Es ist sein Wille, dass alle satt werden, dass allen die Angst genommen wird und er allen hilft, wenn sie ihn brauchen. Und er will das mit uns vollbringen.
Angesichts der heutigen Situation von schwindendem Glauben, von allzu viel Verwirrung und Chaos, ruft Jesus auch uns zu, dass wir zu ihm kommen sollen. Er ruft uns als einzelne zu einer neuen Gemeinschaft. Er ruft uns heraus, ihm neu zu vertrauen und mit ihm zu wirken in der Kraft des Heiligen Geistes.
Übrigens: Kirche heißt auf griechisch: ECCLESIA – Herausgerufen.
Wir sind die Herausgerufenen.
Seien Sie in der Liebe Gottes gesegnet und bleiben sie behütet! Ihr P. Guido
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