Predigt zum 6. Ostersonntag – C – Offb 21,10-14.22-23 und Joh 14,23-29
Das Johannesevangelium lässt auf beinahe jeder Seite erkennen, dass es eine tiefere Einsicht gibt. Es ist die Sichtweise des Auferstandenen Herrn selbst, an die uns der Hl. Geist, den der Vater in seinem Namen sendet, ein Leben lang erinnern will. So ist gerade auch das heutige Evangelium geistliche Unterweisung, und es braucht, man gestatte mir diesen Verweis auf eine alte monastische Übung, das meditative „Wiederkäuen“ (lat. „ruminatio“) seiner Aussagen, die tiefe Versenkung in den Text. Das vermag eine Predigt eigentlich nicht. Ich will dennoch versuchen, einen grundlegenden Gedanken - wiederum von Ostern, vom auferstandenen Herrn her - ein wenig zu erschließen, um so zum eigenen Meditieren anzuregen.
Im apostolischen Glaubensbekenntnis beten wir, Jesus Christus ist „hinabgestiegen in das Reich des Todes“ und „am dritten Tage auferstanden von den Toten“. Dieses Bekenntnis ist für unseren Glauben zentral. Und das so sehr, dass wir sagen können: Wer aus ganzem Herzen glaubt, dass er mit Jesus von den Toten auferstehen wird, wer im Grunde durch die Teilhabe in der Taufe sogar schon auferstanden ist, ist hineingenommen in das göttliche Leben. Deshalb ist es bedrückend, wenn Christen sagen, dass sie mit dem Glauben an die Auferstehung Schwierigkeiten haben. Vielleicht liegt es daran, dass sie ihren Osterglauben doch viel zu sehr im Äußerlichen und Oberflächlichen ihres Lebens lassen, ihn nicht in ihr Innerstes hineinholen. -
Die ganzeTrost- und Freudenbotschaft des Evangeliums tritt nämlich erst dann zu Tage, wenn wir das österliche Bekenntnis in uns hineinbewegen und ergänzen und nicht nur fragen: „auferstanden woher?“- Antwort: „von den Toten“, sondern auch: „auferstanden wohin?“. Denn Ostern ist kein Fest der Rückschau, sondern das Fest des Ausblicks und des Aufbruchs. „Auferstanden von den Toten“, ja, aber „wohin?“. Die Antwort glauben wir zu kennen. Wir formulieren sie, wiederum mit dem apostolischen Glaubensbekenntnis gesprochen: „…aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters.“ Aber das ist nicht die ganze Antwort. Der Kernsatz des heutigen Evangeliums gehört nämlich dazu, und der lautet: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen“ (Joh 14,23). Der Theologe Eugen Biser hat es einmal so formuliert: „Ostern ist der Übergang von der Lebens- zur Wirkungsgeschichte Jesu. Seine vorzüglichste Wirkung aber besteht in seiner Einwohnung im Herzen der Glaubenden.“ (E. Biser zitiert nach D. Bauer, Erfüllte Zeit, Mödling-Wien, 1996, S.169.) Gegen Ende des heutigen Evangeliums ist davon noch einmal die Rede, wenn Jesus ankündigt: „Ich gehe fort und komme wieder zu euch zurück“ (Joh 14,28a). Es wäre irrig, hier zu denken „von dort“ - nämlich von der „Rechten Gottes“ – „wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“, wie es im Glaubensbekenntnis heißt, sondern an sein Kommen in die Herzen der Seinen. Deshalb auch tröstet er sie mit den Worten: „Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht“ (Joh 14,27b).
„Wir werden kommen und Wohnung bei ihm nehmen“ (Joh 14,23b).Hier wird die frühere Aussage Jesu „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen“(Joh 14,2) noch einmal aufgenommen und in umgekehrter Richtung weitergeführt: Das Wohnen Jesu in den Herzen der Seinen bedeutet zugleich mit dem Kommen Jesu das Kommen des Vaters. Das besondere Wort vom „Wohnung nehmen“ zielt darauf ab, dass Gott nun endgültig bei den Seinen ist und bleiben wird. Also nicht nur wir als Erlöste werden in wohlvorbereiteten Wohnungen, drüben in der Vollendung nach dem Tod, wohnen. Sondern: Gott will in uns wohnen, hier schon und jetzt. Das ist ein wichtiger Schritt im tieferen Verstehen der Botschaft Jesu überhaupt! Im letzten Buch des Neuen Testamentes, der Offenbarung des Johannes, sagt der Auferstandene: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hört und die Tür öffnet, werde ich bei ihm einkehren und das Mahl mit ihm halten“ (Offb 1,20). Der menschenfreundliche Gott, der uns mit seiner Liebe umfängt, weiß um unsere Sehnsucht nach letzter Geborgenheit. Deshalb spricht der Jesus des Johannesevangeliums vom „Wohnen“, als dem Inbegriff der Beheimatung im eigenen und im Herzen Gottes und gibt uns so einen Vorgeschmack unserer Vollendung, jetzt schon. Die Taufe und der Glaube haben alles bereitet, damit jeder Christ sagen kann:
Er, der am Kreuz für mich gestorben ist, er führt nun als Auferstandener sein Leben in mir und mit ihm der Vater und der Hl. Geist. Und er möchte, dass ich es genauso wahrnehme und mit IHM lebe. Es liegt an mir, wieviel Raum ich ihm in meinem Herzen gebe.
Jesus, auferstanden, nicht nur „woher?“, sondern „wohin?“. Ich sage es noch einmal: Ziel des Auferstandenen, ja Gottes überhaupt ist es, in unseren Herzen zu wohnen und mit uns zu sein. Wenn wir das wirklich glauben und IHM Raum in uns und in unserem Leben geben, dann werden wir spüren, wie er uns verwandelt. Denn diese beglückende Erfahrung treibt den „Geist der Schwere“ (Biser) aus, der das Glaubensleben so oft verstört und lähmt, den Ungeist, der uns einredet, es käme darauf an, wer weiß was tun oder leisten zu müssen, um gegenüber einem rechnenden und rechtenden Gott bestehen zu können; vielmehr würde die schöpferische, weit- und angstüberwindende Kraft des Glaubens beglückend freigesetzt. Es ist wunderbar und verwandelt das ganze Leben, wenn wir sagen dürfen: Gott wohnt in mir und ich darf in ihm sein, jetzt schon und einmal für immer! Deshalb spricht Paulus davon, dass wir „Tempel Gottes sind und der Heilige Geist in uns wohnt“ (1Kor 3,16). Wer mag nicht im Blick auf einen geliebten Menschen all das aus Liebe und Überzeugung tun, was diese Innigkeit stärkt, oder lassen, was sie zu stören vermag. Was also hindert uns, im Blick auf Gott, der die Liebe selbst ist, IHM in unserem Herzen den Raum zu schenken, der uns das Leben der Auferstehung mehr und mehr erschließt? Deshalb hat der große Theologe Karl Rahner in prophetischer Vorausschau gesagt, dass der Christ von morgen ein Mystiker sein müsse, also jemand, der wie Jesus aus der innersten Verbindung mit Gott selbst lebt, oder er werde nicht mehr sein.
Seien wir so in Gott geborgen und behütet! Ihr P. Guido