Wo bist du im Leid und Elend des Todes so vieler?
Predigt zum 5. Fastensonntag – A – Ez 37,12b-14 und Joh 11,3-7.17.20-27.33b-45 (Kurzfass.)
An die Glaubensgeschichte von der Heilung des Blindgeborenen, die wir am vergangenen Sonntag im Evangelium hörten, knüpft der heutige Text nach Johannes an. Konnte man dort erfahren, dass der Glaube an Jesus im richtigen Sehen das neue Leben des Glaubens von Gott bringt, so setzt Johannes heute noch einmal eine Erkenntnisebene tiefer an.
Wenn man die Gesprächsebenen des heutigen Textes betrachtet, dann erstaunt es zunächst, wie sehr sie sich zu unterscheiden scheinen. Jesus, der mit Lazarus und den beiden Schwestern eng befreundet ist, wirkt irgendwie distanziert. Nachdem er die Nachricht von der Krankheit seines Freundes erhält, bleibt er zunächst noch dort, wo er gerade ist. Man hat fast den Eindruck, als würde Jesus die Verzweiflung und Angst der beiden Frauen gar nicht ernst nehmen. Dabei könnte doch seine eigene Betroffenheit über die Krankheit und auch das Sterben seines Freundes die Brücke sein zwischen den Tränen der Schwestern und seiner eigenen Trauer. So denken wir. Augenscheinlich geht das aber nicht zusammen. Wir hören es aus dem Gespräch zwischen Jesus und Marta heraus: „Wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben“. - „Ich bin die Auferstehung und das Leben!“ - Ich weiß, dass er auferstehen wird, am jüngsten Tag, später am Ende...“ – „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.“ - „Glaubst du das?“ Ich habe den Dialog etwas gerafft und damit verdichtet. So wird deutlich, was der Evangelist beabsichtigt: Johannes will in dem, was er da erzählt, von Jesus her seiner Gemeinde und damit auch uns wieder einmal vor Augen führen: Ihr müsst neu auf Jesus schauen!Jesus bringt nicht nur das Neue Leben, er ist es selbst. Was zuvor im fünften Kapitel des Evangeliums nach Johannes thematisiert wurde, wird hier konkret. Dort sagt Jesus: „Was nämlich der Vater tut, das tut in gleicher Weise der Sohn“ (Joh 5,19) und weiter: „Denn wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, wen er will“ (Joh 5,21).
„Wärst du hier gewesen, dann wäre unser Bruder nicht gestorben“, so beginnt der Dialog und wir sehen ihn in unserem Lebenszusammenhang: „Warum warst du nicht da? Wo warst du, Gott, als mein Ehepartner, mein Sohn, die Tochter tödlich verunglückte, als der geliebte Mensch so sehr an Krebs gelitten hat und schließlich starb? Wo bist du im Leid und Elend des Todes so vieler?“ Das ist der menschlich verständliche Vorwurf und die Klage vieler Menschen durch alle Zeiten. Und die Reaktion Jesu darauf? Ich möchte es mit Johannes so ausdrücken: Vertraut darauf, dass dem, der mich glaubt, Leben geschenkt ist, weil ich nicht nur Leben gebe, sondern das Leben der Welt und der Menschen bin! – Das scheint zu theoretisch, zu sehr konstruiert. Dem antwortet das Handeln Jesu, das Johannes jetzt dramatisch im Text aufzeigt: Jesus ist innerlich erregt. Er weint gar. „Kommt wir gehen zum Grab.“ Die menschliche Reaktion der Marta: „Was soll das? Lazarus ist tot, er ist schon in die Verwesung übergegangen...“ Das bedeutet: Tot ist tot. Wer tot ist, ist dem Menschsein fremd geworden, er ist nur noch vergängliche Materie... Er ist nicht mehr! Denken wir nicht auch so?
Aber Jesus stellt diese Vorstellung auf den Kopf, weil er eins ist mit dem Vater. Er ist eins mit Gott. Gott, das ist der Kern der Botschaft, ist dem Menschen nicht fremd. Für ihn gibt es niemand, der nicht ist. Gott sieht immer das Leid und die Not des Menschen. So hat er es dem Mose am Gottesberg gesagt (vgl. Ex 3,7f). Auch wenn es keine heile Welt ist, in der wir leben und in der gestorben wird und auch wir sterben werden. Es ist trotzdem eine geheiligte und von der Liebe Gottes geheilte Welt, weil er in Jesus Mensch und damit Teil dieser Welt geworden ist. Es ist seine Welt, die so immer, auch in der letzten Ohnmacht des Todes, mit Gott verbunden bleibt. Nichts und niemand fällt heraus aus dieser unendlichen Liebesbeziehung Gottes. Nichts und niemand wird letztlich Gott-los, weil Gott sich selbst absolut mit dem Menschsein in Jesus verbunden hat.
Und weil Jesus mit Gott eins ist, betet er. Das Gebet ist sein engstes Band mit dem Vater. Und indem er betet, ist er eins mit Gott. Sein Gebet dankt dem Vater dafür, dass der Vater der Gott des Lebens ist und dass es deshalb auch im Sterben und im Tod, nicht um gott-lose oder um heil-lose Situationen des Menschen geht. Der Mensch ist aufgefangen in Gott - im Leben und im Sterben. Nicht für „später“ gilt die Verheißung des Lebens, sondern er ist im Leben ins Leben gerufen und im Leben gehalten: „Lazarus komm heraus!“ Der Verstorbene kommt heraus. Begrenzte irdische Zeit und zeitlose Ewigkeit fallen ineinander. In der Totenerweckung des Lazarus ist es die menschlich wahrnehmbare Ebene, dass der Verstorbene wieder auf den Irdischen Weg zurückkehrt. Das ist das für unseren kleinen menschlichen Verstand greifbare und letztlich doch unbegreifliche Zeichen! Es ist nicht der Glaube, nicht das Gebet, die dieses Zeichen bewirken. Vielmehr bekennt der Glaube und das Gebet das Wunder und das heißt: Wenn du Mensch in Gott bist, hast du Mensch das Leben in Fülle! Das Leben ist ewig in Gott – zeitlos. Das ist in Jesus vollendet. Sein Tod und seine Auferstehung stehen für dieses Wollen und Handeln Gottes. Das Gebet Jesu ist dafür tiefster Ausdruck: „Vater, ich danke dir. Ich weiß, dass du uns erhörst und keinen verloren gehen lässt, selbst wenn wir das Leben in dieser Welt verlieren.“
Wer so glaubt, muss und kann in und mit Jesus den Ängsten und Kräften des Todes widerstehen, weil sie in ihm überwunden sind. Deshalb sind wir aufgefordert, immer näher zu Jesus zu kommen in unserem Leben, damit sein Leben von Gott her schon jetzt all seine Kraft in uns entfalten kann. Dann können wir im Namen Jesu – im Heiligen Geist – beten, besser noch, dann betet Jesus in uns: „Vater ich danke dir!“ Und der Vater schenkt, was er ist: Leben und Liebe.
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido
Die Tagestexte zum 5. Fastensonntag