Und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen
Predigt zum 10. Sonntag im Jahreskreis
B – 2 Kor 4,13 - 5,1 und Mk 3,20-35
Schwestern und Brüder im Glauben!
Wir sind es gewohnt, im Gottesdienst so angesprochen zu werden... oder man sagt „liebe Mitchristen“, oder ganz allgemein „liebe Zuhörer und Zuhörerinnen!“ - „Schwestern und Brüder im Glauben an den Herrn!“ - auch wenn manche das für eine Floskel halten mögen - bei dieser Anrede müssten wir eigentlich aufhorchen. Warum? Da wird gesagt, dass wir zur Familie Jesu gehören, „Schwestern und Brüder" Jesu, Kinder Gottes sind. Das wurden wir durch die Taufe.
Das heutige Evangelium lässt mich darüber nachdenken. Da ist die Rede von Verwandtschaftsverhältnissen. Die Herkunftsfamilie Jesu wird genannt, seine Angehörigen. Markus erzählt ungezwungen davon. Man muss nicht darüber spekulieren, ob Jesus „Brüder und Schwestern“ gehabt hat. Die Sprache des Evangeliums – griechisch –, genauer der Gebrauch der Sprache ist zu wenig spezifisch, als dass man das genau festlegen könnte, was mit „Brüder und Schwestern“ gemeint ist. Die Fachleute sind sich da einig. Nun, Markus erzählt im Zusammenhang der eben gehörten Stelle aus dem Evangelium von einigen Heilungen durch Jesus (vgl. Mk 2,1-12; 3,1-6). Das hat sich herumgesprochen und viel Staub aufgewirbelt. Immer mehr Menschen suchen die Nähe Jesu und erhoffen sich ebenfalls Heilung. Der Andrang ist so groß, dass er und die Jünger noch nicht einmal mehr zum Essen kommen, wie Markus ebenfalls erzählt (vgl. Mk 3,20).
Die entstandene Unruhe führt dazu, dass die Schriftgelehrten, die Pharisäer, die Leute mit Einfluss, sich durch das Geschehen mit und um Jesus gestört fühlen. Sie „outen" sich als Gegner Jesu... „Er ist besessen..." - und jetzt tauchen da plötzlich die leiblichen „Angehörigen" Jesu auf. Sie schließen sich diesem Urteil an: „Er ist von Sinnen..." - „Er ist verrückt...", „Man muss ihn zur Ruhe bringen..." Das irritiert, verwirrt uns. Da sind einerseits die Menschen, die von Jesus Heil und Heilung erwarten und da sind andererseits die Gegner, sogar welche aus seiner Familie, die ihn aus dem Verkehr ziehen wollen.
Nun also: Der Evangelist Markus erzählt wie so oft eine Glaubensgeschichte und mit einem kleinen Hinweis lädt er ein, mit Blick auf den eigenen Glauben Position zu beziehen.
Den Hinweis des Markus übersieht man leicht. Schauen wir hin: Vor dem Haus stehen die Gegner und Verwandten und im Haus ist Jesus mit den anderen. Die Gegner fürchten Jesus aus religiösen und politischen Gründen; seine Verwandten wollen Jesus nicht zugestehen, so zu sein wie er ist, also anders zu sein, als es die Familiennorm vorgibt. Alle haben sich ein Bild von Jesus gemacht, das ihrem Eigeninteresse entgegensteht. Es mag verwundern, wie hart Jesus mit den familiären Vorgaben umgeht. Die kritische Distanz selbst zu seiner Mutter schockiert. Aber, und das ist die eigentliche Aussage: Wer verantwortet und selbstbestimmt glauben will, muss seinen eigenen Bezug zu Gott finden! Wer also Christ sein will, wer mit Jesus geht, der muss sich klar werden, sich selbst und seine Entwicklung, sein eigenes Werden von Jesus und damit - wie Jesus selbst - von Gott her zu denken. Dadurch geschieht Veränderung, Verwandlung. Man findet einen selbstbestimmten, eigenen Standpunkt. Es ist Gottes Geist, der hier sichtbar wird. Er schafft das Reich Gottes, eine neue Beziehungswirklichkeit. Also gilt es, von Gott her zu denken und zu fühlen und zu sein, und dann von ihm her auch die Mitmenschen und die Mitwelt in den Blick zu nehmen. Der Glaube verwandelt den Menschen, gibt ihm ein anderes und neues Bewusstsein. Ein Bewusstsein aus Gott! Es ist ein neues zur Welt kommen, eine neues Geborenwerden aus dem Geist Gottes!
Jesus bezieht sein eigenes Selbstbewusstsein nicht aus der Zustimmung seiner Mutter oder dem Beifall der Verwandtschaft und schon gar nicht aus den Reaktionen seiner Gegner. Für ihn zählt allein die Gemeinschaft in und aus Gott, die Einigkeit in der Liebe und im guten Willen Gottes. Deshalb sagt er: „Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder, Schwester und Mutter" (Mk 3,35). Es ist Gottes Wille, dass seine Liebe, seine Barmherzigkeit, seine Gerechtigkeit, sein Reich komme! Daraus lebt Jesus. Ja, er sagt ausdrücklich, wir lesen es im Johannesevangelium: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, und sein Werk zu vollenden“ (Joh 6,34). Für diese Beziehung, für diese Gemeinschaft steht das Haus, die Wohnung. So sagt Jesus auch bei Johannes: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen“ (Joh 14,23).
Hier dürfen wir auf Maria, die Mutter Jesu, schauen. Sie kann uns mit ihrem Glaubenszeugnis helfen, weiterzukommen. Sie, die Jesus geboren hat aus dem Geist und Willen Gottes, muss eine über ihre leibliche Mutterschaft reichende neue Beziehung im Glauben zu ihrem Sohn Jesus aufbauen. Im Mitgehen seines Weges von der Verkündigung der Geburt bis hin unter das Kreuz und in die Gebetsgemeinschaft mit den Jüngern erweist sie sich - so möchte ich es sagen - als Mutter der Kirche, als Bild jener neuen Gemeinschaft, die der Herr von Gott her formt und im Heiligen Geist aufbaut. Drinnen im Haus und so tatsächlich in der Gemeinschaft mit Gott sind also jene, die sich und ihr Herz ganz der Nähe Gottes in Jesus öffnen, sich von ihm lehren und leiten lassen und an den eigenen Schwächen arbeiten, um so dem Willen Gottes, dem Reich seiner Liebe näher zu kommen.
Markus, der Evangelist fragt seine Gemeinde und uns - und es ist eigentlich die Frage Jesu -: Wo stehst du? Bist du im Haus? Oder vor dem Haus? Bist du Bruder und Schwester und Mutter in der Suche nach Gottes Liebe und seinem Willen?
Seien Sie im Herrn gesegnet und behütet! Ihr P. Guido