
Predigt zum 18. Sonntag im Jahreskreis (B)
Eph 4,17.20-24 und Joh 6,24-35
Am Ende die Rechnung
Einmal wird uns gewiss
die Rechnung präsentiert
für den Sonnenschein
und das Rauschen der Blätter,
die sanften Maiglöckchen
und die dunklen Tannen,
für den Schnee und den Wind,
den Vogelflug und das Gras
und die Schmetterlinge,
für die Luft, die wir geatmet haben,
und den Blick auf die Sterne
und für all die Tage,
die Abende und die Nächte.
Einmal wird es Zeit,
dass wir aufbrechen und bezahlen;
bitte die Rechnung.
Doch wir haben sie
ohne den Wirt gemacht:
Ich habe euch eingeladen,
sagt der und lacht,
so weit die Erde reicht:
Es war mir ein Vergnügen!
Andreas Knapp
(Andreas Knapp „Vom Segen der Zerbrechlichkeit“,
Würzburg, 2018, 3. Aufl., S. 47)
Fünftausend Männer und wer weiß wie viele Frauen und Kinder sind satt geworden von den fünf Gerstenbroten und den zwei Fischen, die Jesus ausgeteilt hat. So hat es uns das Evangelium des letzten Sonntags erzählt (vgl. Joh 6,1-15). Heute kehren wir wieder auf die gegenüberliegende Seite des Sees - nach Kafarnaum - zurück. Und wieder ist Jesus von Menschen umringt. Aber diesmal hat er kein Brot für sie, sondern die Botschaft, die davon spricht, dass Glück und Erfüllung nicht nur von greifbaren Dingen, nicht nur von Speise und Trank und schon gar nicht von Macht und Reichtum abhängen, sondern allein von der Liebe Gottes.
Deshalb ist „das Wort Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (vgl. Joh 1,14).Nach und nach wird es den Jüngern aufgrund seiner Worte und Taten und aufgrund seines ganzen Wesens klar: In diesem Jesus aus Nazareth, dem sie sich angeschlossen haben, begegnet ihnen Gott selbst. In ihm teilt Gott ihr Los und hat das Menschsein mit all seinen Konsequenzen auf sich genommen. Er schreckt vor keiner Not zurück, auch nicht vor dem Scheitern und der Ausweglosigkeit des Todes. Deshalb ist er nicht nur bei den glücklichen und erfolgreichen, sondern vor allem bei den scheiternden und sterbenden Menschen aller Zeiten. Auch in ihren Wüstensituationen sind sie nicht verlassen. „Ich bin für euch da“ (vgl. Ex 4,14),sagt er zu ihnen. Er lässt sie nicht im Tod, wie er seinen Sohn nicht im Tod belassen hat.
Gott bietet den Menschen vielmehr ein Leben an, das neu und ganz anders ist! Ein Leben, das in ihm ist und nur mit ihm erreicht werden kann. Das meinen wir doch, wenn wir von Auferstehung sprechen. Es ist ein Leben von ganz anderer Qualität als das, welches wir kennen und das „siebzig Jahre währt und, wenn es hochkommt, achtzig“,wie es der Psalm 90 sagt. Das Leben Gottes lebt man in der zeitlosen Ewigkeit und nur aus ihm.
Gesundheit und Wohlergehen sind nicht alles. Wahrscheinlich müssen wir das auf die eine oder andere Weise einmal erfahren, um nicht Immer wieder einer verkürzten Sicht vom Menschsein aufzusitzen, aus der heraus wir nicht groß genug von uns und unserer Bestimmung denken können. Das, worauf es da ankommt, entdecken wir aber, wenn wir auf den Menschen Jesu schauen. Denn an ihm wird sichtbar, was wir alle an Hoffnungen und Möglichkeiten in uns tragen. Er ist der Mensch, wie Gott ihn sich von jeher gedacht hat. Und eines drängt sich uns heute auf, so deutlich wie nie zuvor: Die Zukunft der Menschheit ist nur dann gewährleistet, wenn sie eine neue menschliche Ebene erreicht.
Aber zugleich mit der Erkenntnis unserer Größe werden wir auch mit unserer Winzigkeit konfrontiert. Wir erfahren es äußerst schmerzhaft durch die Naturkatastrophen, durch die Bedrohungen der Macht und des Hasses, durch die Unendlichkeit des Kosmos. Das Leben auf der Erde ist angesichts der Unwägbarkeiten noch nicht einmal so viel wie ein Wassertropfen an einem Eimer. Und wir: Eine Spur von Leben unter anderem. Was gilt es da zu tun, um Menschen zu werden, wie Gott sie sich gedacht hat? Johannes lässt es Jesus so sagen: „Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die zum ewigen Leben bleibt“ (Joh 6,27). Verstehen wir das nicht falsch: Natürlich haben wir in rechter Weise zu sorgen und vorzusorgen, unsere Lieben und uns zu schützen, aber es gibt nun mal mehr als Kühlschränke und Internet, mehr als das Bankkonto und die Versicherungspolice. Genau darum, dass es um mehr geht als um das Überleben und Wohlergehen ist damals wie heute wichtig. Deshalb antwortet Jesus auf die Frage, was es denn zu tun gelte, um die Werke Gottes zu vollbringen: „Das ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat“ (Joh 6,29). In ihm finden wir die Ermutigung, um frei durchatmen zu können. Von ihm angenommen, finden wir die Möglichkeit, in Würde zu leben und zu sterben, finden wir uns selbst, finden wir die Speise, die zum ewigen Leben bleibt. Ja, es geht im Evangelium mehr um das Sein und Werden in Gott, als um das Haben-Wollen der Dinge.
Jesus lässt jeden einzelnen Menschen erfahren, dass er unendlich wertvoll ist. Das befreit uns zu einem gelassenen und frohen Leben, mag kommen was will. So wird dieser Jesus zur Nahrung der Menschwerdung. Darum nennt er sich selbst das Lebensbrot. Mit dem Wort: „Ich bin das Brot des Lebens“ (Joh 6,35a)klingt die ganze Tiefe der Liebe Gottes zu seiner Schöpfung an. Gott hat uns Menschen seine Schöpfung einladend anvertraut. Nein, er präsentiert uns keine Rechnung. Am Ende wird Gott uns fragen, ob wir die Freude des Lebens gelebt und weitergegeben haben. Jesus zeigt uns durch sein Leben, dass es nicht genügt, sich an Dingen festzumachen, die nicht sättigen. Unsere Zukunft geht weit über die erfahrbare Welt hinaus. Wer zu Jesus kommt, erhält unvergängliches Leben und gelangt zu seiner endgültigen Gestalt zu seinem wahren Menschsein. Dafür steht er ein, und deshalb hat er gesagt: „Ich bin das Brot des Lebens, wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern und wer an mich glaubt, wird nicht mehr Durst haben“ (Joh 6,35).
Seien Sie gesegnet und behütet in der Liebe des Herrn! Ihr P. Guido