Predigt zum 1. Sonntag nach Weihnachten – Fest der Hl. Familie
Sir 3,2-6.12-14; Kol 1,12-21 und Lk 2,22-40
Wie war das mit der Familie Jesu? Trotz der Erzählungen des Lukasevangeliums lässt uns das Neue Testament mit dieser Frage allein. Deshalb hat fromme Fantasie immer wieder versucht, diese Lücke auszufüllen und die Frage nach der Herkunft Jesu mit Bildern des Familienlebens zu beantworten. Im Mittelalter entstanden Bilder, die zeigten die sogenannte Sippe Jesu. Angeregt von erbaulichen Schriften und Visionen, erstellten Künstler wie beispielsweise Lucas Cranach der Ältere (1472-1553) im 16. Jahrhundert Gemälde mit einer Fülle von Personen: in der Mitte Elisabet mit dem Knaben Johannes und Maria mit dem Jesuskind, meistens mit der Mutter Anna als Familienoberhaupt und umgeben von einer großen Schar Verwandter. Die „Heilige Familie“: im Mittelalter ein großer Sippenverband. So, wie die Großfamilien des Mittelalters eben aussahen. Erst im zwanzigsten Jahrhundert wurde unser Fest der „Heiligen Familie“ eingeführt, jetzt aber ist das Bild auf drei Personen reduziert: Jesus, Maria und Josef. So, wie viele Kleinfamilien seit Ende des letzten Jahrhunderts eben aussahen und sie verändern sich noch ganz anders.
Wie würden wir das Bild der „heiligen Familie“ malen? Wohl nicht als großen Sippenverband wie im Mittelalter. Auch nicht als idyllische Handwerkerfamilie in Nazareth, wie das vergangene Jahrhundert sie porträtiert hat. Wir würden die „heilige Familie“ wohl als partnerschaftliche Familie malen, mit einer starken, unabhängigen Maria, und vielleicht mit einigen Geschwistern um Jesus herum. Aber bei aller frommen Fantasie, die sich um die Frage nach der Herkunft Jesus rankt, ist die Antwort, die Jesus in den Evangelien selbst gibt, wohl die wichtigste. Jesus beteiligt sich an keiner Versorgung einer Familie: weder durch Ausübung eines geldbringenden Berufs noch durch Heirat, noch durch Kinder. Auf die Frage nach seiner eigenen Herkunft hat er nur eine Antwort: Gott, der Vater im Himmel.
Bei allem, was die Bibel von Jesus erzählt, scheute Jesus weder Arbeit noch war er abweisend gegenüber Frauen oder ungeschickt gegenüber Kindern. Vielmehr hat seine besondere Lebensform ihm einen wachen Blick geschenkt für alle, die aus dem Modell einer heilen Familie herausgefallen waren: die Witwen und Waisen, die als öffentliche Sünderinnen verfemten Frauen, die Aussätzigen, die Fremden. Wichtiger als Familienbande war für Jesus der gemeinsame Glaube an das Reich Gottes. Wichtiger als Familienrücksichten war für Jesus die Frage, wer jetzt gerade seine Hilfe und Nähe brauchte: Männer, Frauen, Kinder, Alte, Junge. Wichtiger als die Herkunft aus derselben Familie war für Jesus die gemeinsame Herkunft aller von Gott.
Vielleicht erscheint uns diese recht familienferne Lebensweise Jesu auf den ersten Blick enttäuschend fremd. Aber die ganz eigene Lebensweise Jesu hat etwas Solidarisches mit allen, die es schwer haben mit ihrer Familie und ihrer Herkunft. Seien wir ehrlich: Es gibt die lebenslange Sehnsucht nach den idealen Eltern, die jeder in sich trägt und die doch nie erfüllt wird. Es gibt hier auf der Erde keine „himmlischen“ Väter, sondern nur ganz irdische Väter und Mütter. Erdverhaftet sind wir selbst ja auch. Mit Jesus an den Vater im Himmel glauben kann uns allen helfen, dass wir nachsichtiger und gnädiger miteinander umgehen: Kinder mit ihren Eltern, Eltern mit ihren Kindern und auch darüber hinaus mit Blick auf unser Zusammenleben überhaupt. Was das alles für das heutige Familienbild bedeutet, wenn wir es aus so der Perspektive Jesu betrachten, ist mehr als spannend und bedarf gründlicher Überlegungen. Vor allem müssen wir uns fragen, ob die heilige Familie in unserer Zeit überhaupt als Modell geeignet ist, angesichts vieler Veränderungen in der Sozialstruktur der Gesellschaft. Ich denke, dieses Fest gibt uns vielmehr ein gutes Modell gelingenden Zusammenlebens unter dem Aspekt der Weitergabe des Glaubens in der Familie und im Umgang miteinander. Schauen wir also darauf, was uns der Text nahebringen will.
Sowenig wir auch über die Kindheit Jesu und das Familienleben von Maria und Josef erfahren, eines erzählt uns das Evangelium. Und das scheint mir enorm wichtig auch in den Veränderungen des Zusammenlebens in unserer Zeit. Das Evangelium erzählt von gläubigen Menschen, denen das Kind Jesus begegnete: Simeon, der alte Mann, dessen Leben aus einer einzigen großen Hoffnung besteht: Er will dem Messias, dem Erlöser begegnen. Die Witwe Hanna, die als Prophetin im Tempel lebt und ihr Leben Gott geweiht hat. Und natürlich Maria und Josef. Obwohl sie arm waren, nahmen sie die Reise von Galiläa auf sich, um das religiöse Gesetz des Moses zu erfüllen und in Jerusalem ein Opfer zu bringen. Für die Genannten war offensichtlich dieses ihr religiöses Tun mit- und füreinander wichtig. Was ich den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, ja uns allen wünsche, ist, dass wir von solchen gläubigen Menschen umgeben sind, die ganz selbstverständlich ihren Glauben leben. Nicht in der Theorie und nicht aus Büchern zuerst lernt man glauben. Sondern genau dort, wo auch menschliches Vertrauen entsteht: in der nächsten Umgebung, in der Familie und in der Beziehung zu anderen. Wenn das nicht wahrgenommen und gelebt wird, dann schwindet mit dem Vertrauen nicht nur der Glaube und die Religion, dann wachsen Ängste und Aggressionen, dann werden wir mehr und mehr auf uns allein zurückgeworfen und wir verlieren mit dem Bezug zu Gott letztlich auch unsere Menschlichkeit. Das bleibt eine offene Frage und Herausforderung für uns alle.
Ich wünsche und erbitte Gottes Segen und bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido