Wie einem Vogel die Hand hinhalten
Predigt zum 21. Sonntag im Jahreskreis - C – Jes 66,18-21 und Lk 13,22-30
Der Dichter Franz Kafka (1883-1923) hat einige Erzählungen geschrieben, die verstörend, ja sogar alptraumhaft wirken (Franz Kafka „Die Erzählungen und andere ausgewählte Prosa“). Eine seiner bedrückenden Geschichten trägt den Titel „Vor dem Gesetz“. Ein Mann kommt vor das „Gesetz“, das wie ein großes und geheimnisvolles Haus dargestellt wird. Vor der Türe steht ein Türhüter; der verweigert den Eintritt nicht, schildert aber fürchterliche Prüfungen, die hinter der Türe warten. Nun, der Mann schafft es nicht, total verängstigt, durch die Türe zu gehen; er bleibt außen vor, ist aber der festen Meinung, es sei der Türhüter, der ihm den Weg versperrt. Kurz vor seinem Tod fasst er sich ein Herz und fragt den Türhüter: „Alle streben doch nach dem Gesetz, sag mir wieso es sein kann, dass in den vielen Jahren niemand außer mir Einlass verlangt hat?“ Der Türhüter antwortet darauf: „Hier konnte niemand Einlass erhalten, denn diese Türe war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ab.“
Auch Jesus spricht von einer Türe, der Tür zum Reich Gottes. Sie wird als eng beschrieben. Wir haben die bange Frage der Jünger gehört, ob denn tatsächlich nur wenige den Weg durch sie finden würden. Sicher haben die Jünger erwartet, dass Jesus sie beruhigt. Sie täuschen sich. Wie können wir die Reaktion Jesu verstehen?
Dass die Völker von Osten und Westen und von Norden und Süden herbeiströmen und sich zu JHWH, dem Gott des jüdischen Volkes bekehren, ist alte biblische Verheißung. Dann wird das messianische Zeitalter, das Reich Gottes anbrechen. Die Erwählung Israels als Volk Gottes ist so darauf ausgerichtet, die ganze Erde zum Glauben an diesen Gott zu führen, so, dass Welt und Geschichte gut ausgehen und alle gerettet werden (vgl. die Lesung des Tages nach Jes 66,18-21).
Jesus fühlt sich dieser Hoffnung verpflichtet und ruft Israel zur Erneuerung auf. Das Volk soll sich an das erinnern, was ihm zugesagt und ihm aufgetragen ist: die Güte Gottes allen zu zeigen, sichtbar zu machen, dass ein Leben nach Gottes Geboten gelingt und menschliches Zusammenleben, das den Namen verdient, möglich wird. Aus dieser Einsicht leben dann auch die Jünger um Jesus und ebenso die junge Christengemeinde, für die Lukas sein Evangelium niederschreibt. Sie hoffen, die große jüdische Gemeinde möge die Zeichen der Zeit erkennen: dass Gott jetzt nämlich selbst eine neue Chance gewährt, dass er bereit ist, seine Verheißungen wahr zu machen - wenn ihm nur die Wege bereitet werden.
Doch Jesus selbst – und erst recht wohl die kleine Schar der Nachfolger nach seinem Tod und seiner Auferstehung – hat damit zu kämpfen, dass die Erneuerung des ganzen Volkes Gottes nicht vorankommt. In den mittleren Kapiteln des Lukasevangeliums wechseln in immer rascherer Folge ermutigende und tröstende Worte an die kleine Herde und mahnende, ja geradezu drohende Sätze an die vielen für die die Pharisäer stehen. Direkt vor der Stelle, die wir heute als Evangelium gehört haben, finden sich Gleichnisse, die das Reich Gottes mit dem Senfkorn und dem Sauerteig vergleichen – beide Male ein Bild dafür, dass aus kleinen unscheinbaren Anfängen Großes entstehen wird – Hoffnungsbilder für die kleine Herde (vgl. Lk 12,32) derer also, die auf Gott vertrauen.
Nun, Jesus beruhigt die Jünger nicht und tröstet sie ebenso wenig. Das Bild von der engen, ja verschlossenen Tür ist vielmehr ein Bild vom Drinnen- und Draußensein, vom Dazugehören und vom Ausgegrenzt-Sein. Jene, die meinen, sie hätten ein verbrieftes Recht, ins Haus zu kommen, stehen draußen und rufen „Herr, mach uns doch auf!“ Aber auch ihre Beteuerung, „wir haben doch mit dir gegessen und getrunken, und du hast auf unseren Straßen gelehrt“, wird schroff zurückgewiesen. Mit dem Satz: „Weg von mir, ihr habt Unrecht getan“, wird auf einen Psalm angespielt, in dem ein tief Verstörter und vom Seufzen Erschöpfter bei Gott Schutz sucht vor seinen Feinden. Weil Gott ihn erhört, müssen die Feinde weichen und gehen plötzlich zugrunde (vgl. Ps 6,11).
Einmal mehr stellt sich Jesus hier in die Tradition der Propheten, die wieder und wieder Barmherzigkeit für die Bedrängten und Gerechtigkeit für die Armen einfordern. Gerade Jesu eigene Hinwendung zu den Kleinen und Gebeugten, von der Lukas so engagiert zu erzählen weiß, bezeugt diese prophetische Botschaft. So geht es in der heutigen Evangelienstelle nicht etwa um die Frage, wer dazugehören darf, sondern tiefergehend wieder einmal um die Frage, die Lukas gekonnt auch in seine Gemeinde – also auf uns ebenso – spiegelt: Auf welcher Seite stehst du denn? Jene, die sich ihres Heiles und Gottes Wohlgefallens allzu sicher sind, tun schnell unrecht, wenn sie sich über die erheben, die straucheln und suchen und hadern und kämpfen.
Es ist die Überheblichkeit der aus „Gewohnheit und ohne Tiefgang Glaubenden“, die Jesus hier kritisiert. Nur wer sich ehrlich freut, dass die Gäste aus allen Himmelsrichtungen, also von überallher kommen, nur wer nicht auf sein vermeintliches Vorzugsrecht pocht, eingelassen zu werden, wird im Reich Gottes zu Tisch sitzen. Aus dem Kreis der Freunde Gottes grenzt man sich dann selbst aus, wenn man glaubt, allein zu wissen, worauf es ankommt. Sicher werden diejenigen, die etwas verändern wollen, von ihrer Botschaft und von der Richtung, in die sie Gottes Sache voranbringen möchten, überzeugt sein. Aber vor Gott darf niemand so hochmütig sein, Heil und Segen und Rechthaben für die eigene Gruppe allein zu beanspruchen. Auch dann nicht, wenn die vielen und ihre Führer starr und unbelehrbar bleiben. Jesu Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig (vgl. Lk 13,18-21) zeigen auch hier einen lebendigeren Weg: Säen und wachsen lassen, den einfachen Dienst des „Teig-Knetens“ tun und auf die Kraft des winzigen Samens vertrauen. Es geht um die Gelassenheit, die Gott das Wirken und Vollenden überlässt und gleichwohl bereit ist, das eigene zu tun. „Herr, sind es nur wenige, die gerettet werden?“ – Es geht um die Entschlossenheit, durch die vielleicht enge Türe zu gehen, ohne falsche Vorstellungen und Ängste, sondern im vollen Gottvertrauen und in der Gelassenheit der verheißenen Gnade. Dann werden wir staunen, was das Reich Gottes und seine Liebe für alle bereithält. Vielleicht müssen wir es machen wie die jüdisch stämmige Dichterin Hilde Domin (1909-2006), die mit wunderbarer Poesie hofft (Hilde Domin: Gesammelte Gedichte, Frankfurt 1987)
Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido
Die Tagestexte zum 21. Sonntag im Jahreskreis:
https://www.erzabtei-beuron.de/schott/schott_anz/index.html?datum=2022-08-21