Wer aussätzig war wurde behandelt wie ein lebender Toter
Predigt zum 6. Sonntag im Jahreskreis – B –
Lev 13,1-2.43ac.44ab.45-46; 1 Kor 10,31-11,2 u. Mk 1,40-45
Schauen wir noch einmal zurück auf die Texte des Evangeliums der letzten drei Sonntage bevor wir auf das Evangelium dieses Sonntags betrachten. Wir erinnern uns: Das öffentliche Auftreten Jesu beginnt nach Markus mit der Ansage des Gottesreiches und der Berufung der ersten Jünger (vgl. Mk 1,14-20). Jesu Lehre ist eine Rede mit Vollmacht und sie wird bekräftigt durch das Wort der Dämonenaustreibung (vgl. Mk 1,21-28). Das Reich Gottes zeigt sich durch die heilende Berührung der Kranken und das wirkmächtige Wort gegen das Unheil, das Dämonische. Jesus selbst erfährt in der Betroffenheit durch das Elend der Menschen Bestärkung durch die innige Berührung mit dem Vater im Gebet (vgl. Mk 1,29-39).
Im Zusammenhang betrachtet zeigt sich, dass der Evangelist Markus die Handlungsstruktur seines Evangeliums in dramaturgischer Form gestaltet hat (Lit. Fachbegriff: „Plot“). Wie es die heute vorliegende Textstelle nahelegt, muss nun eine weitere Stufe der Steigerung folgen. Genau das geschieht auch. Das Fundament der aufgezeigten Stufen ist die Botschaft des anbrechenden Reiches Gottes. Die Botschaft trägt in sich den Willen Gottes, dass der Mensch in und aus der Beziehung zu Gott Leben habe, Leben, unverstellt und frei, Leben, heil und erlöst. Leben, befreit von all dem, was das Leben so schwer macht und niederdrückt und den Menschen wie gebeugt durch diese Welt gehen lässt. Der erste Johannesbrief zeigt Gottes Absicht so auf: „Die Liebe Gottes wurde unter uns dadurch offenbart, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben“ (1 Joh 4,9). Diese Absicht Gottes entspricht den Erfahrungen und tiefsten Wünschen vieler in dieser Welt, die sich wie vom Leben abgeschnitten vorkommen; denen es an Kraft zum aufrechten Gang fehlt; die die Sorgen, die kleinen wie die großen, immer wieder von neuem in die Knie zwingen, die weder ein noch aus wissen, weil sie kein Weiterkommen mehr erkennen können und immerzu nur auf der Stelle treten. All jenen, den Kranken, den Geschundenen, den mit Schuld Beladenen, den Zweifelnden und den Skeptischen, selbst jenen, die an ihm, Gott, und an diesem Leben, insbesondere an dem eigenen, irre werden, verheißt Jesus die „Fülle des Lebens“ (vgl. Joh 10,10). Die Absicht Gottes gipfelt darin, dass Gott dem Menschen sogar das Leben in der Ewigkeit seiner Nähe schenken will und auch in Jesus schenkt. Der Tod wird überwunden.
Gott will das Leben. Voll dieser Überzeugung tritt der Aussätzige an Jesus heran, fällt vor ihm nieder und ruft: „Wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde“ (Mk 1,40). Jesus will es. Er streckt seine Hand aus, bekundet Gottes Absicht und „im gleichen Augenblick verschwand der Aussatz“. Das ist dabei nicht einfach eine Krankenheilung wie andere. Der Aussatz steht wegen seines entstellenden Charakters und seiner hohen Ansteckungsgefahr für das, was den Menschen aus der Beziehung zu Gott und den Mitmenschen herausreißt. Wer aussätzig war wurde behandelt wie ein lebender Toter. „Unrein“ das bedeutet absoluten Ausschluss aus der menschlichen Gemeinschaft. Einen Aussätzigen vom Aussatz zu befreien, galt als ebenso schwer, wie einen Toten zum Leben zu erwecken. Die Heilung des Aussätzigen holt diesen Menschen wieder ins Leben zurück. Vorbei sind die Zeiten, in denen er sich verstecken und den Kontakt mit anderen Menschen meiden und jedem, der ihm entgegenkam, zurufen musste: „Unrein! Unrein!“ (vgl. Lev 13,45). Vorbei sind die nicht enden wollenden Tage und Stunden, in denen er ausgestoßen und verbannt war, ohne sozialen Halt und in der schrecklichen Gewissheit der absoluten Isolation. Neu das Bewusstsein, dass er nicht allein ist, sich anderen Menschen und selbst seinem Gott zugehörig wissen darf.
Die Heilung des Aussätzigen hat noch eine weitere Dimension: Gott hat in seinem Bund mit dem auserwählten Volk Israel dieses Volk als besonderes Zeichen seiner Nähe zur Welt und allen Menschen machen wollen. Ein „ungeteiltes und reines Herz“ sollte sein auserwähltes Volk ihm gegenüber haben. „Unrein“ dieser Begriff, der auch für den vom Aussatz befallenen Menschen gilt, steht für zerrissen, zerbrochen, geteilt. Als Jesus den geheilten Aussätzigen auffordert, sich dem Gesetz zu unterwerfen – sich dem Priester zu zeigen und das Reinigungsopfer darzubringen – wird an den Bund Gottes erinnert.
Der Evangelist sagt also in der Dramaturgie seines Evangeliums, dass es bei der Absicht Gottes auch um die „Reinigung und Umkehr“ des Gottesvolkes geht. Das betrifft Israel und auch das neue Gottesvolk die Kirche. Der Blick richtet sich auf den, der bereit ist, als Zeichen der Liebe Gottes bis in den Tod am Kreuz zu gehen, denn er nimmt so alles Zerrissene und Unreine auf sich.
Es ist nicht erstaunlich, dass der geheilte Aussätzige sich der Anweisung Jesu widersetzt und jedem, der ihm auf der Straße begegnet, freudig von dem erzählt, was ihm widerfahren ist. Dass sich die Geschichte wie ein Lauffeuer überall verbreitet und andere Menschen dazu bringt, sich selbst auf den Weg zu Jesus zu begeben, um ebenso von der Absicht Gottes erreicht zu werden, damit auch sie Leben haben, ist nur konsequent.
Wenn wir nun danach fragen, was das alles für uns heute bedeutet, und wohin uns der „Plot“ des Markus führen will, so bleiben die Erkenntnis aus dem bisherigen Geschehen und die Spannung auf den weiteren Weg Jesu. Wir werden also ermuntert, den Weg Jesu wie die Jünger mitzugehen, um Schritt für Schritt die Absicht Gottes besser zu erkennen und zu verstehen. Wir werden angestoßen, unsere Sehnsucht nach Leben und Heil zu Jesus hinzutragen, wie jene Leute, die von überallher zu ihm kamen; und auch wir dürfen wie der geheilte Aussätzige bei jeder Gelegenheit vom Leben erzählen (Mk 1,45), das wir in der Nähe Jesu erfahren, denn er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben (vgl. Joh 14,6).
Seien Sie so gesegnet und bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido