Predigt zum 32. Sonntag im Jahreskreis – C – 2 Thess 2,16-3,5 und Lk 20, 27-38
Immer noch ist das Thema Sterben und Tod tabuisiert in unserer Gesellschaft. Mehr noch die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Regelmäßig veranstaltete Meinungsumfragen zum Thema: „Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?“ werden von Mal zu Mal mit dem Ergebnis höherer Prozentzahlen dahingehend beantwortet, dass mit dem Tod alles aus ist. Man ist eher bereit an die vom Buddhismus kommende Vorstellung einer Wiedergeburt zu glauben als an die christliche Auferstehungshoffnung und das in einem Land, in dem die meisten Menschen noch christlich getauft sind.
Der dem Kommunismus nahestehende Schriftsteller Bertold Brecht (+ 1956) fordert in seinem Gedicht „Gegen die Verführung“ dazu auf, das Leben in vollen Zügen zu genießen, weil nachher nichts mehr komme. Er sagt:
Laßt euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
Der Tag steht in den Türen;
Ihr könnt schon Nachtwind spüren:
Es kommt kein Morgen mehr.
Laßt euch nicht betrügen!
Das Leben wenig ist.
Schlürft es in schnellen Zügen!
Es wird euch nicht genügen
Wenn ihr es lassen müßt!
Laßt euch nicht vertrösten!
Ihr habt nicht zu viel Zeit!
Laßt Moder den Erlösten!
Das Leben ist am größten:
Es steht nicht mehr bereit.
Laßt euch nicht verführen
Zu Fron und Ausgezehr!
Was kann euch Angst noch rühren?
Ihr sterbt mit allen Tieren
Und es kommt nichts nachher.
Im Evangelium haben wir gehört, dass auch die Sadduzäer die Auferstehung leugnen; freilich aus ganz anderen Motiven. Zur Zeit Jesu bilden sie neben den Pharisäern, Zeloten und Essenern die vierte religiöse Partei im Judentum. Sie galten als theologisch konservativ, ließen keine mündliche Überlieferung gelten und aus der Bibel nur die fünf Bücher Mose, den sogenannten Pentateuch. Darin aber ist von einer Auferstehung von den Toten, wie sie meinen, nicht die Rede, und deshalb lehnen sie – so widersprüchlich das klingt, sozusagen aus religiöser Überzeugung, – den Glauben an die Auferstehung entschieden ab.
Im Evangelium heute bekräftigen die Sadduzäer zunächst die Vorschrift des Mose, in der Gesetzesvorschrift der Tora, wonach ein Israelit beim Tod seines Bruders zur Ehe mit seiner Schwägerin verpflichtet sei für den Fall, dass der Verstorbene ohne Nachkommenschaft verblieben ist. Mit einem typisch konstruierten Fall wollen sie Jesus beweisen, wie absurd der Glaube an die Auferstehung doch ist. Hören wir ihre Argumentation noch einmal: „Es lebten einmal sieben Brüder. Der erste nahm sich eine Frau, starb aber kinderlos. Da nahm sie der zweite, danach der dritte, und ebenso die anderen bis zum siebten; sie alle hinterließen keine Kinder, als sie starben. Schließlich starb auch die Frau. Wessen Frau wird sie nun bei der Auferstehung sein? Alle sieben haben sie doch zur Frau gehabt“ (Lk 20,29-33). Mit dieser an den Haaren herbeigezogenen Fallschilderung versuchen sie, den Glauben an die Auferstehung der Toten lächerlich zu machen. Jesus hört ihnen geduldig zu und erklärt dann, dass sie von verkehrten Voraussetzungen ausgehen, wenn sie annehmen, das ewige Leben sei ja nichts anderes als eine Verlängerung des irdischen Lebens über den Tod hinaus. Die Wirklichkeit der göttlichen Welt ist viel größer, sagt Jesus. Diejenigen, „die Gott für würdig hält, an jener Welt und an der Auferstehung der Toten teilzuhaben“ (Lk 20,35), werden in engster Gemeinschaft mit ihm leben. Er nimmt sie in seinen ewigen Lebensraum hinein, gewissermaßen also in sich selbst hinein. Daher lieben Ehepartner einander auf neue, endgültige, ja göttliche Weise, und keiner wird dem anderen etwas voraushaben oder zurückgesetzt sein. In Gott sind sie absolut eins. Darüber hinaus reichen unsere menschlichen Vorstellungen nicht aus, um sagen zu können, wie das Leben nach dem Tod und die Auferstehung beschaffen ist. Wir sind an Raum und Zeit gebunden und können uns nicht vorstellen, was Gott „denen bereitet hat, die ihn lieben“, sagt Paulus im Korintherbrief(vgl. 1 Kor 2,9).
Aber mit großer Klarheit bekennt Jesus, dass die Toten auferstehen. Er führt dann so etwas wie einen Schriftbeweis aus dem zweiten Buch des Pentateuch, dem Buch Exodus, das die Sadduzäer ja ausdrücklich anerkennen. Jesus greift auf die bekannte Szene vom Dornbusch zurück, in der sich Jahwe als Gott „Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs“ zu erkennen gibt (vgl. Ex 3,6). Die Patriarchen aber waren zur Zeit des Mose schon längst gestorben und Gestalten der Geschichte. Bezeichnet sich Jahwe nun als ihr Gott, dann macht er so deutlich, dass die Stammväter bei ihm in seiner Gegenwart leben, also auferstanden sind, denn „er ist doch kein Gott von Toten“. Er ist vielmehr ein Gott von Lebenden,und das gilt für alle, die im Glauben an ihn gestorben sind. Denn für ihn, sagt Jesus ausdrücklich, sind alle lebendig.
Diesen Glauben hat Jesus verkündet. Er selbst ist der eigentliche Beweis für die Auferstehung und das ewige Leben. In seiner Person ist Gott alsGott der Lebenden erschienen. Jesu Wort und seine Taten sind Leben, ganz gleich, ob er Kranke heilt, Dämonen vertreibt, Schuld vergibt oder Tote auferweckt. Wer ihn in sein Leben einlässt, der wird mit Marta, der Schwester des verstorbenen Lazarus, seinem Wort vertrauen, als er ihr sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?“ (Joh 11,25f).
Natürlich ist das bis heute eine Frage des Glaubens, des Glauben-Könnens und des Glauben-Wollens. Wobei Glauben an sich immer auch eine Gabe der Öffnung auf Gott hin und der Gnade ist. Das trostlose Gedicht von Brecht schließt mit dem Vers: „Und es kommt nichts nachher!“ Das Wort Jesu vom Leben in Gott ist durch sein Beispiel des Lebens, des Sterbens und der Auferstehung aber stärker. Auf ihn dürfen wir wie viele vor uns vertrauen. Und die Frage „Glaubst du das?“ ist an jeden von uns gerichtet, gerade jetzt wieder im Monat November, wenn wir an den Gräbern unserer lieben Toten stehen.
Seien Sie im Blick auf das göttliche Leben gesegnet und behütet! Ihr P. Guido
Gedicht in: B. Brecht, Laßt euch nicht verführen – Brecht und die Musik, Kindler, München 1985.