Predigt zum 1. Fastensonntag – C – Röm 10,8-13 und Lk 4,1-13
Zweifelsohne hat sich unsere Welt und Weltwahrnehmung seit dem 24. Februar 2022 verändert. Schon seit zwei Jahren erfahren wir durch die Covid19-Pandemie Verunsicherung und Ängste in einem Ausmaß, das wir uns früher kaum vorstellen konnten. Was aber seit dem Kriegsbeginn durch Putin und seine Oligarchenclique in der Ukraine geschieht, übersteigt noch einmal alles. War und ist alles um das Corona-Virus noch auf einen fast unsichtbaren und dennoch lebensbedrohlichen Feind ausgerichtet, so ist das, was die Menschen in der Ukraine erleben müssen, verursacht durch Menschen; und die Ukrainer und auch wir sehen diese ebenso als lebensbedrohliche Feinde. Sie sind es ja auch. Aber genau darin besteht für uns als Menschen in der Nachfolge Christi ein Problem oder sagen wir es anders, eine Versuchung: Die Versuchung, zu verurteilen und zu hassen und damit erlittenes Unrecht mit gleicher Münze dem Verursacher zurückzuzahlen. Denken wir an die Evangelien der letzten Sonntage. Die Worte Jesu aus der lukanischen Feldrede oder aus den Parallelstellen der matthäischen Bergpredigt haben uns vor Augen geführt, dass Jesus mit Blick auf das Reich und die Herrschaft Gottes, die in ihm begonnen haben, neue Formen des Zusammenlebens der Menschen initiiert und etabliert hat. Das Stichwort lautet: Feindesliebe. Natürlich haben wir das moralische Recht und auch die Pflicht, uns gegen Ungerechtigkeit und Willkür zur Wehr zu setzen. Aber mit Jesus müssen wir zwischen dem Sünder und der Sünde, zwischen dem Täter und der Tat unterscheiden. Nur im Geist Jesu finden wir Wege, diese Unterscheidung für uns auch anzunehmen und in unserem Leben umzusetzen. Bei all dem kann es uns hilfreich sein, zu sehen, wie Jesus selbst mit menschlicher Versuchung umgegangen ist, besonders mit der Versuchung der Macht.
Die Erzählung von den Versuchungen Jesu finden wir nur bei Matthäus und Lukas, wobei letzterer die Szene auf der „Zinne des Tempelsin Jerusalem“ an den Schluss stellt. Das hat damit zu tun, dass bei jeder guten Erzählung der Höhepunkt am Schluss liegt und Jerusalem für Lukas Höhepunktcharakter hat. Denn dorthin ist Jesus bei Lukas über zehn Kapitel hinweg (vgl. Lk 9,51-19,27) unterwegs. Dort vollendet sich sein Geschick, denn „dort“ sagt Jesus, „wird sich alles erfüllen, was bei den Propheten über den Menschensohn steht: Er wird den Heiden ausgeliefert, wird verspottet, misshandelt und angespuckt werden, und man wird ihn geißeln und töten. Aber am dritten Tag wird er auferstehen“ (Lk 18,31-33).
Wir würden die Versuchungs-Geschichte nun gründlich missverstehen, wenn wir sie für einen Tatsachenbericht hielten. Was da so anschaulich erzählt wird, bedeutet vielmehr: Jesus ist, weil er ganz Mensch war, Versuchungen ausgesetzt gewesen, wie wir es alle auch sind. Und dieses sein „Versucht-sein“ wird hier literarisch verdichtet und vorden Anfang seines öffentlichen Wirkens gestellt, um ihn von vornherein als Mensch und den geliebten Sohn Gottes zu erweisen, der in allen menschlichen Anfechtungen dem Vater die Treue gehalten hat, ganz anders als Israel, das im Alten Testament ebenfalls „Sohn“ genannt wird (vgl. Hos 11,1 und Mt 2,15) und sich während der vierzig Jahre seiner Wüstenwanderung immer wieder gegen die „Weisungen“ Gottes aufgelehnt hat. Wenn Lukas von Jesus sagt: „Darauf führte ihn der Geist vierzig Tage lang in der Wüste umher“ (Lk 4,2),spielt er genau darauf an. Die Wüste hat in der Bibel ein doppeltes Gesicht: sie steht für Bedrohung der Existenz, für Dürre und Verletzlichkeit, aber für den, der sie besteht, ist sie ebenso Ort der Gotteserfahrung und Gottesnähe. In der Erzählung von den Versuchungen Jesu in der Wüste haben wir so etwas wie einen „Schlüsseltext“ vor uns, ein erzähltes Glaubensbekenntnis. Sie stellt ein Bild dar, das die junge Kirche – verkörpert durch die Evangelisten – von Jesus gezeichnet hat, um seinen Anspruch und seine Bedeutung besser verstehen zu können.
Die Christengemeinde weiß, dass Jesus über außergewöhnliche und wunderbare Gaben verfügt hat, die er in den Dienst der Bedrängten, Kranken, Notleidenden stellte. Davon erzählen die Evangelien vielfältig. Sie ist aber auch überzeugt davon, dass er diese Gaben nie für sich selbst ausgenutzt hat. Er hat nicht für sich, sondern ganz für Gott gelebt. „Seine Speise war es, den Willen dessen zu tun,der ihn gesandt hat“, wie es Johannes sagt (vgl. Joh 4,34).
Der Teufel, erzählerisches Mittel und Person gewordene Versuchung, behauptet nun, dass ihmalle „Macht und Herrlichkeit“überlassen seien, damit er sie gebe, wem er wolle. „Macht und Herrlichkeit“ stehen doch nur Gott zu, meinen wir. Aber tatsächlich gehören „Macht und Herrlichkeit“ – richtig verstanden –seit Jesus nicht mehr zu den Namen Gottes. Deshalb kann es, im Bild gesprochen, heißen, dass Gott sie einem Lakaien überlassen kann, sogar seinem Widersacher, eben dem Versucher; Jesus aber, von Gottes Geist erfüllt, kommt in Armut als einer, der dient und gerade so auf den Gott verweist, der in seiner wehrlosen Liebe zum Retter wird. Dieser Gott gibt sich zu erkennen in dem hilflosen Krippenkind wie „in dem Lamm, das man zum Schlachten führt und das seinen Mund nicht auftut“ (vgl. Jes 53,7 und Apg 8,32). Aber die ohnmächtige Liebe Gottes ist stärker als alles und besiegt sogar den Tod. Jerusalem ist die Endstation des Weges Jesu. Kreuz und Tod erwarten ihn: in den Augen vieler, zunächst auch seiner Jünger, scheitert er dort. Hätte Gott seinen Sohn nicht schützen müssen, wenn er - bildhaft gesprochen – „von oben auf dem Tempel“herunterspringen würde, was hier ja heißen soll, ihn vor dem Schandtod am Kreuz zu bewahren? Denn herauszuhören aus diesem „stürz dich von hier hinab“ist doch der Hohn der führenden Männer unter dem Kreuz, die spottend sagen: „Andere hat er gerettet, nun soll er sich selbst retten, wenn er der Christus Gottes ist, der Erwählte“(vgl. Lk 23,35f).Jesus aber bleibt am Kreuz und stirbt am Kreuz. Er wählt den Weg der wehrlosen Liebe Gottes.
„Macht, Durchsetzung der eigenen Interessen, Gewalt“… darauf verzichtet Gott und Jesus lehrt uns, gegen den Hass zu lieben. Gott stehe uns bei in der Versuchung!
Beten wir für- und miteinander um Frieden! Seien sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido