Was für ein Tag - vor fast zweitausend Jahren in Jerusalem
Predigt zu Palmsonntag zum Einzug in Jerusalem – Mt 21,1-11
Darf ich dazu einladen, mitzukommen, mitten hinein in den Augenblick, den Matthäus für den Einzug Jesu in Jerusalem schildert?
Was für ein Tag! Was für ein Tag - vor fast zweitausend Jahren in Jerusalem. Es waren sicher viele in Jerusalem, die auf den Beinen waren, um das nahende Paschafest zu feiern (Pascha – sprich „Pas-Cha“). In freudiger Erwartung, Pascha, das Fest der Befreiung aus der Unterdrückung in Ägypten, Pascha, das Fest des Bundes mit Gott, Pascha ein Fest an dem die Sehnsucht auf den verheißenen Messias, die Sehnsucht nach dem nahen Gott und der Geborgenheit in und mit ihm an jeder Straßenecke spürbar wird: Nicht nur die Erinnerung an die Vergangenheit, nein, im Heute endlich die verhasste Fremdherrschaft der Römer abschütteln, die Freiheit erfahren und selbstbestimmt leben. So mag es in den Köpfen der Menge ausgesehen haben… Matthäus spricht davon, dass die „ganze Stadt erbebte“ (Mt 21,10).
Die aufgeladene Stimmung trifft auf das gesteigerte Misstrauen der Römer, die mehr Soldaten in der Stadt zusammengezogen haben: Sollen die Juden doch den Aufstand wagen, wir sind gewappnet, wir passen auf.
Gefährlich. Ein Funke genügt. Die Katastrophe liegt in der Luft.
Und dann: Auf einem Esel – dem uralten Symbol des Friedens und der Demut – zieht Jesus, den sie einen Propheten nennen, in Jerusalem ein (vgl. Mt 21,4-5). Auf einem Esel – und doch ein Triumphzug. Mischen wir uns unter die Menge. Hören wir ihre Begeisterung, schauen wir in ihre glänzenden Augen: Jesus kommt! Er, der Fünftausend sättigte, der Kranke heilte und Tote erweckte, der Worte hat, die alle Angst nehmen, die das Herz vor Freude übergehen lassen. Er kommt zu uns! Die Erlösung ist nahe, das Reich Gottes bricht an! Das Ende aller Ungerechtigkeiten und aller Unterdrückung! Muss man da nicht jubeln, Zweige von den Bäumen schneiden, um mit ihnen zu winken? Die Kleider auf der Straße ausbreiten, um Ehre zu erweisen?
Jetzt scheinen die Fragen hinweggefegt. Jetzt ist Freude und Jubel angesagt. Die ganze Stadt ist in Aufregung.
Schnell, allzu schnell war alles vorüber. Die Freude ist einer riesengroßen Enttäuschung gewichen. Nichts ist geschehen. Die Römer sitzen immer noch fest im Sattel, die Steuereintreiber stehen vor der Tür. Das kann doch nicht sein!
Welch ein bitteres Missverständnis. Konnte die gerade noch jubelnde Menge nicht wissen, wenigstens ahnen, dass ihre Erlösung ganz anders beginnt und das Reich Gottes nicht mit einem großen Knall anbricht? Er, Jesus, hat es immer gesagt: Gottes Herrschaft und Reich kommt anders. Es kommt im Stillen. Es nimmt nicht in den Palästen und Kasernen, nicht auf den Straßen und Plätzen seinen Anfang, sondern in einem aufbrechenden Grab und pflanzt sich in den Herzen der Menschen fort. Es ist Gottes Geheimnis, dass das Reich des Friedens, der Liebe und der Gerechtigkeit auch in Unterdrückung und Knechtschaft, in Elend und Leid zu wachsen beginnt.
Was für ein Tag!
Wie ist es in unseren Tagen? Nachbarn, Bekannte, vielleicht auch Freunde nehmen von dem, was wir heute feiern, kaum Notiz. Nach der Covid-Pandemie sind die Kirchen, die Gottesdienste immer noch nur wenig besucht. Wie viele sind wegen des heutigen Erscheinungsbildes und wegen ungeklärter Fragen in der Kirche enttäuscht? Die Jünger damals und viele andere, sie freuten sich über ihre nahende Erlösung, sie waren buchstäblich aus dem Häuschen, auf den Straßen, um Jesus, um das anbrechende Reich Gottes zu begrüßen. In Abwandlung eines Wortes von Martin Buber kann man für alle Zeiten auch der Kirche, dem neuen Volk Israel sagen: Triumph und Erfolg sind keine Namen Gottes! Man sieht das schreckliche Leid vieler Menschen, wir sehen den Terror und die Unterdrückung der Mächtigen, Kriege, Gewalt, Hass, Zerstörung der Schöpfung, Sterben und Tod… Ja, das Kreuz hat viele Namen und angesichts des Kreuzes bleibt einem das Hosianna im Halse stecken.
Und überhaupt: Jene, die vor zweitausend Jahren beim Einzug in Jerusalem jubelten, brüllten sie am Karfreitag nicht: Ans Kreuz mit ihm!? Und die Freunde Jesu? Sie haben ihn verleugnet und dann verdrückten sie sich. Sind sie Heuchler? Lügner?
Doch urteilen wir nicht zu hart.
Sie konnten sich beim Einzug in Jerusalem freuen – und wir? Wir wissen doch so viel mehr, wir wissen um Ostern, wissen von der Auferstehung Jesu, wissen um unsere Erlösung, wissen um das Reich Gottes mitten unter uns – wo bleibt unser Jubel, wann ist uns die Freude abhanden gekommen? Wir wissen… so sagen wir, aber glauben wir auch? Sind wir bereit Jesus zu folgen?
Wir stehen erst am Beginn der Heiligen Woche! Vor uns stehen der Gründonnerstag, der Karfreitag, der Karsamstag. Wir werden uns an Ostern zusagen: Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaft auferstanden!
Werden wir dann in der Familie, unter Ehepaaren und Freunden den Auferstandenen in unserer Mitte mit Jubel und Freude empfangen? Oder sind die Enttäuschungen des Alltags, die Belastungen und Ängste und auch die Glaubenszweifel größer? Machen wir uns klar: Die Jünger damals hatten ebenso Zweifel. Fragen wir uns: Was erwarte ich von Christus? Oder erwarten wir nichts, weil Hoffnungen zu oft bitter enttäuscht wurden. Missverstehen wir Jesus, wie ihn die Jünger und viele andere missverstanden haben? Haben wir unseren Glauben vom Leben abgekoppelt?
Unsere Fragen und Zweifel müssen wir mit in die vor uns liegende Woche nehmen. Ängste, die uns ganz nah an den zweifelnden Jesus im Garten von Gethsemane führen; die wir mit den Jüngern unter dem Kreuz des Karfreitags teilen, die wir mit den Frauen des Ostermorgens mit an das Grab bringen. Wir können uns diese Zweifel nicht selbst ausräumen, wir können uns unsere Ängste nicht selbst nehmen, aber wir dürfen beten und bitten, hoffen und glauben, dass wir mit ihnen nicht allein gelassen sind. Er, der heute in unserer Mitte Einzug gehalten hat, weiß um das alles und es geht ihm zu Herzen und er bleibt uns nahe. Er allein ist die Antwort. Sprechen wir mit ihm…
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido