Weihetag der Lateranbasilika – 09. November –
Ez 47,1-2.8-9.12; 1 Kor 3,9c-11.16-17 u. Joh 2,13-22
Es ist charakteristisch für den Monat November, dass wir ins Grübeln kommen und dunkleren Dingen nachhängen. Das hat die Jahreszeit so an sich. Der Winter steht vor der Türe mit seinen langen Abenden und Nächten. Die Natur verabschiedet sich in den Winterschlaf, auch wenn der Klimawandel dabei Veränderungen bringen mag. Der November mit Allerheiligen und Allerseelen und mit seinen Totengedenktagen, das Ende des Kirchenjahres, all das provoziert das Nachdenken über die Zeit, über den Raum des Lebens und auch über Sterben und Tod. Schlicht: Es braucht Räume, die zum einen Geborgenheit vermitteln und gleichzeitig die Türe zur Zukunft öffnen. Es ist im Grunde das, was wir in diesem Heiligen Jahr der Hoffnung sehen und feiern: Kirche hat und ist Pforte, die zum Heil führen soll.
Das Fest, das wir an diesem Sonntag feiern, stellt uns mit seinem Inhalt und auch seinen Texten den Glaubensraum der Kirche vor Augen. Die älteste Papstkirche in Rom, die den Titel „Haupt und Mutter aller Kirchen“ trägt, die Lateranbasilika, sie lässt uns an ihrem Weihetag sehen, wie gerade in unserer Zeit mit all der Kritik an der Institution Kirche, diese als Glaubens- und Lebensraum Fundament sein kann und muss für den Weg zu Gott.
Ja, wir müssen Kirche als Raum des Lebens neu begreifen. Dieser Raum ist keineswegs eine Art Sonderraum vielmehr braucht er uns selbst als belebende Wirklichkeit. Lebendige Steine in diesem Bau sollen wir sein. Kirche ist nicht einfach eine Institution oder eine Verwaltungseinheit. Kirche darf kein Museum sein und auch keine Markthalle, wie uns das Evangelium vor Augen hält, kein Raum der Vertröstung auf das Leben nach dem Tod, kein weltlicher Ersatzraum für Geschäfte. Heiliger Raum und Raum des Heilens – so sollten wir das Symbol, den Kirchenraum und auch uns selbst als Tempel des Heiligen Geistes sehen. Da ist das Evangelium des heutigen Sonntags eine Herausforderung. Kirche muss ein „Anders-Raum“ ein „Grenzraum“ des Lebens in unserer Welt sein: Ein Ort, wo Himmel und Erde einander berühren. Heiliger Raum und Raum des Heilens…
Schon 1968 hat der Harvard-Theologe Harvey Cox (*1929) in seinem Buch „Stirb nicht im Warteraum der Zukunft“ (Stuttgart, 1968) kritisiert, dass der Mensch, sich in seinem Leben wie in einem Warteraum der Zukunft eingerichtet hat und nicht mehr weiß, dass dieser Warteraum vorläufig ist. Der Mensch so beklagt es Harvey Cox, verliert jegliche Zukunft in der Beschränkung auf das Hier und Jetzt allein. Und so gehören für viele Menschen das ganze Leben, das Sterben und auch der Tod hinein nur in diesen Warteraum. Das aber nimmt dem Menschen die Zukunft komplett weg, die irdische und auch die himmlische. Der Mensch wird zurückgeworfen auf sich selbst und seine Endlichkeit in diesem Warteraum der Zukunft. Der Mensch verliert, so auf sich allein zurückgeworfen, die Transzendenz, die Möglichkeit über sich hinauszuwachsen. Denn es bleibt nur dieser Raum als einziger zum Leben und Sterben übrig. Und so stirbt in diesem Raum der Mensch und die Zukunft und mit ihr die Sehnsucht und die Hoffnung des Menschen. Damit verliert der Mensch entscheidende Kriterien seines Menschseins an sich. Denn es gehört zum Wesen des Menschen, dass er den Augenblick im Hier und Jetzt annimmt und gleichzeitig überwindet – ja, wir sind Wesen der Transzendenz. Der Raum des Lebens ist nicht nur ein Warteraum der Zukunft, der in sich geschlossen ist. Wir brauchen in diesem Raum als Türe und Pforte die Hoffnung, damit wir die Endlichkeit überwinden können. Unser Kontinuum, das ist die Zeit, ist ein Weg, der in der Ewigkeit beginnt und in sie einmündet. Wenn ich das als Christ vom Glauben an Gott her sehe, heißt das: Das Leben beginnt in Gott und will in ihn hineinführen. So verstehen wir den Lauf der Geschichte. Gott ist da in der Geschichte und hebt uns gleichzeitig über sie hinaus. Und genau dafür muss der Raum der Kirche stehen, als Lebensraum. Kirche und mit ihr Gemeinde Jesu Christi muss so Lebens-Raum der Hoffnung sein und werden.
Eine kleine Legende kann das verdeutlichen:
Es war einmal eine alte Frau, der hatte der liebe Gott versprochen, sie an einem bestimmten Tag zu besuchen. Darauf war sie nun nicht wenig stolz. An jenem Tag scheuerte und putzte sie, buk und tischte auf. Und dann begann sie, auf den lieben Gott zu warten. Da klopfte es an die Tür. Draußen stand ein armer Bettler, und die Frau sagte: „Nein, geh deiner Wege! Ich warte gerade auf den lieben Gott und kann dir nicht helfen.“ Als der Bettler gegangen war, kam bald darauf ein alter Mann und bat die Frau um Hilfe. „Ich warte heute auf den lieben Gott und kann mich nicht um dich kümmern“, sagte sie zu ihm. Nach einer Weile klopfte es von neuem, und da stand schon wieder ein zerlumpter und hungriger Bettler vor der Tür. „Ach, lass mich doch in Ruhe! Ich warte auf den lieben Gott.“ So wies sie ihn ab, und der Bettler musste weiterwandern. Die Zeit verging, Stunde um Stunde. Es wurde schon Abend, und noch immer war der liebe Gott nicht zu sehen. Die Alte wurde immer bekümmerter. Wo mochte er nur geblieben sein? Zu guter Letzt musste sie traurig zu Bett gehen. Im Traum erschien ihr der liebe Gott und sprach zu ihr: „Dreimal habe ich dich aufgesucht, und dreimal hast du mich abgewiesen! Was nützt dir all das Schaffen und Wirken, wenn du allein bist?“
Wach und der Zukunft zugewandt und getragen von der Hoffnung dürfen wir miteinander unser Leben annehmen und gestalten. Mag sein, und das ist bestimmt so, dass es auch Zeiten und Räume des Wartens gibt. Doch sie müssen in sich die Dynamik und Kraft der Hoffnung tragen. Es ist immer Gott, der uns in unseren Mitmenschen, in den Mitgeschöpfen und in der ganzen Schöpfung im Hier und Jetzt begegnet, mit uns gehen will und in die Zukunft der ewigen Gemeinschaft. Das alles, weil er, wie er es vor allem in Jesus Christus zeigt, ein Gott der Lebenden ist und nicht der Toten. Es ist die Hoffnung, dass wir in ihm die Fülle des Lebens finden werden, die uns aus dem Jetzt des Alltags die Zukunft annehmen und gestalten lässt. Das ist die Perspektive der Kirche als Dienerin und Raum der Hoffnung.
Seien Sie so gesegnet und behütet!
Ihr P. Guido















