Predigt zum Hochfest Allerheiligen – C – Offb 7,2-4.9-14; 1 Joh 3,1-3 und Mt 5,1-12a
„Die Heiligen in den Kapellen
wollen begrabenwerden, ganz nackt,
in Särgen aus Kistenholz
und wo niemand sie findet:
in einem Weizenfeld
oder bei einem Apfelbaum,
dem sie blühen helfen
als ein Krumen Erde ...“
Das ist der Beginn des Gedichtes „Die Heiligen" von Hilde Domin (aus: Ausgewählte Gedichte, Fischer TB-Verlag 1987). Die Heiligen wollen begraben werden. Können wir die Heiligen getrost begraben? Manchmal sagen wir das zu anderen: Lass dich doch begraben! Und wir sagen damit, dass sie verschwunden sein sollen aus unserem Leben. Wir denken, dass es ohne sie besser wäre, dass wir ihnen keine Chance einräumen. Es trifft doch zu: Heiligkeit scheint wenig erstrebenswert für uns aufgeklärte Zeitgenossen. Doch halt! Das Gedicht sagt es ja anders: Die Heiligen, sie selbst, wollen begraben werden. Warum wohl?
Im Gedicht heißt es weiter:
„Doch sie sind müde
auf den Podesten zu stehen
und uns anzuhören.
Sie sind wund vom Willen zu helfen,
wund, Rammbock vor dem Beter zu sein,
der erschrickt,
wenn das Gebet ihm gewährt wird,
weil Annehmen
soviel schwerer ist als Bitten
und weil jeder die Gabe nur sieht,
die auf dem erwarteten Teller gereicht wird.“
Müde, uns anzuhören? Unvorstellbar. Wenn die Heiligen doch schon bei Gott sind, müssen sie sich nicht verfügbar halten für unsere Bitten, für Wünsche bei allen möglichen Wehwehchen? Sie haben doch da zu sein, wenn wir sie brauchen – meinen wir! Heiliger Antonius: Hab meinen Schlüsselbund verloren. Heiliger Blasius, mir ist was im Halse stecken geblieben. Heiliger Florian, verschon mein Haus, zünd andre an. Heiliger Christophorus, behüt‘ mich, wenn ich mit 180 über die Autobahn rase und rechts überhole… Sie sind müde geworden, sich das anzuhören. Weil wir nur die Gabe sehen, die auf dem erwarteten Teller gereicht wird, wie es die Dichterin formuliert! Ist doch so: Wir haben genaue Vorstellungen von dem, was wir bekommen müssten, von dem, was wir verdient haben. Was uns zusteht, das wissen wir oft ganz genau. Und dann planen wir Leben und Karriere, das Fortkommen bis ins letzte, ins kleinste Detail. Doch wehe, wenn geschieht, was nicht vorgesehen ist: die Krankheit, der Tod, das Ende einer Beziehung, der Verlust der Arbeitsstelle, der wirtschaftliche Ruin – dann brechen Welten für uns zusammen, da erwarten wir Unmögliches, ein Wunder.
Und im Übrigen: Wir wollen jederzeit alles und immer sofort! Erdbeeren im Winter, Honigprinten im Sommer, Bankgeschäfte um Mitternacht, dank Onlinebanking kein Problem, shoppen rund um die Uhr. Jederzeit, alles und immer sofort.
Ja! Die Heiligen sind müde, uns anzuhören. Die Heiligen sind uns müde und unseres ständigen Kreisens um uns selbst, und das, von dem wir meinen, es zum Leben nötig zu haben.
„Sie sehen“, so heißt es weiter im Gedicht,
„uns wieder und wieder
aneinander vorbeigehen
die Minute versäumend.
Wir halten die Augen gesenkt.
Wir hören den Ruf,
aber wir heben sie nicht.
Es macht müde zu sehen
wie wir uns umdrehen
und weinen.
Immer wieder
uns umdrehen und weinen.“
Heilige sind Menschen, die sich nicht ständig um sich selbst gedreht haben. Weil sich bei ihnen alles um Gott dreht. Deshalb waren und sind sie ganz da für eine heillos verdrehte Welt, für Menschen, denen Brot und Liebe fehlt, für eine Schöpfung, die vom Tod bedroht ist. Hilde Domin öffnet uns in ihrem Gedicht die Augen dafür, was Heiligkeit eigentlich ist und sein will. So heißt es weiter:
„Sie möchten Brennholz
in einem Herdfeuer sein
und die Milch der Kinder wärmen
wie der silberne Stamm einer Ulme!
Sie sind müde, aber sie bleiben,
der Kinder wegen.
Sie behalten den goldenen Reif auf dem Kopf,
den goldenen Reif,
der wichtiger ist als die Milch.
Denn wir essen Brot,
aber wir leben vom Glanz!“
Allerheiligen, dieses Fest, die Texte dieses Tages, dieses Gedicht und der Blick auf die Menschen, die wir Heilige nennen, öffnen uns die Augen für das Menschsein, das Gott uns wünscht und auch von uns erwartet. Es ist mehr als ein Traum vom vollkommenen Menschen, der uns da vor Augen gestellt wird. Wenn wir tatsächlich die Heiligen, wie anfangs gesagt, begraben, weil wir heutzutage Heiligkeit für wenig erstrebenswert halten, dann müssen wir wissen, dass eine Welt ohne Heilige eine kalte und trostlose Welt ist, heillos und krank. Lassen wir uns also die Augen und auch die Herzen öffnen.
Seien Sie in der Liebe Gottes gesegnet und behütet!
Ihr P. Guido















