Predigt zum 1. Adventssonntag B – Jes 63,16b-17.19b; 64,3-7; 1 Kor 1,3-9 u. Mk 13,33-37
Besinnlichkeit und Gemütlichkeit stehen nicht auf der Agenda des Evangelisten Markus für die beginnende Zeit des Advents. Da hören wir vielmehr in unserem Textabschnitt von der bevorstehenden und überraschenden Ankunft des Hausherrn, der seinen Knechten zuvor verschiedene Aufgaben während seiner Abwesenheit übertragen hat. Der Türhüter steht in besonderer Weise im Fokus. Schon sind wir in der beginnenden Adventszeit angekommen. „Advent“ kommt vom lateinischen Wort „adventus“ und bedeutet Ankunft. Es geht in dieser Zeit um die Vorbereitung der Ankunft Jesu Christi, die wir an Weihnachten feiern. Das ist uns bewusst. Als Hauptkriterium zur Vorbereitung auf dieses Geschehen nennt das Evangelium die „Wachsamkeit“. Viermal ist die Rede davon „wachsam“ zu sein. „Wachsamkeit“ nun umschreibt die Haltung einer konzentrierten Aufmerksamkeit oder einer gespannten Beobachtungshaltung. Es ist schon so, wie ich es anfangs gesagt habe: Mit Gemütlichkeit und Besinnlichkeit hat das relativ wenig zu tun. Was das Evangelium einfordert, steht also quer zu gemütlichen Abenden bei Kerzenlicht und Glühwein und ebenso quer zu einer zweckentfremdeten konsumorientierten Zeit mit Coca-Cola-Weihnachtsmann und sogenannten Weihnachtsmärkten, die mit der eigentlichen Weihnachtsbotschaft von der Menschwerdung Gottes nichts oder kaum noch etwas zu tun haben.
Vielleicht ist es gut, dass es so ist. Denn unser Glaube ist keine Bedürfnisbefriedigung und ebenso keine bloße Bestätigung unserer eigenen Gefühle. Vielmehr stellt uns die Botschaft Gottes von seinem Kommen und seiner Nähe in unserem Menschsein in Frage. Unsere Gefühle und ebenso unsere Wünsche müssen wir mit Blick auf die Beziehung zu Gott ganz sicher ebenso kritisch hinterfragen, wie wir sie im Blick auf die Beziehung zu jenen Menschen tun müssen, die uns etwas bedeuten und zum Mitmenschen überhaupt. Ja, es braucht gründliche Überlegung, ob wir mit unserem Fühlen, Denken und Handeln unserem Anspruch des Menschseins und wie wir dieses Menschsein vor dem menschgewordenen Gottessohn Jesus Christus leben, bestehen können. Hier wird der eigentliche Charakter der Adventszeit sichtbar! Und da bedarf es tatsächlich der „wachsamen“ Haltung!
In den Sprüchen der frühen Mönchsväter ist überliefert, dass der Mönchsvater Evagrius einen seiner Mönche ermahnt: „Sei ein Türhüter deines Herzens und lass keinen Gedanken ohne Befragung hinein. Befrage einen jeden Gedanken und sprich zu ihm: Bist du einer der unseren oder einer unserer Gegner? Und wenn der Gedanke zum Haus gehört, wird er dich mit Freude erfüllen".
Würden wir allem und jedem einfach so Zugang zu unserem inneren Haus gewähren, dann wären wir bald uns selbst entfremdet, dann wären wir allem und jedem hilflos ausgeliefert. Manchmal kommt mir der Verdacht, dass es längst so geworden ist. – Genau deshalb lädt uns der Evangelist ein, „wachsam“ zu sein. Achte bitte darauf, das klingt im Text des Evangeliums an, dass es gerade jetzt nicht bei Oberflächlichkeit und Gefühlsüberschwang oder auch bei den Weihnachtseinkäufen bleibt. Schau darauf, dass die Zeit vor Weihnachten dir helfen will, dich vorzubereiten auf etwas, das alles verändert. Halte dich offen für den innersten Sinn der Adventszeit.
Dieser „innerste Sinn“ ist die Nachricht, dass Gott kommt, ja, dass er unterwegs ist in unsere Welt. Es geht nicht nur um eine bloße Erinnerung an sein Kommen in Jesus Christus vor gut zweitausend Jahren. Was wir „erinnern“, also in unserem „Inneren lebendig“ halten, reicht in unsere Gegenwart als andauerndes Geschehen, denn wir bedürfen immer wieder der Befreiung und Öffnung unseres Menschseins hin auf den Horizont der Ewigkeit. Gerade weil wir bei all unserem Streben und Suchen, bei allen Erfolgen und Erfahrungen, letztlich immer nach dem Größeren suchen und nicht wirklich zufrieden sind. Weil wir nicht zufrieden sind mit unserer Welt, unserer Arbeit, unseren Beziehungen, unserer Gesellschaft, unserer Politik, mit unserem Leben, sind wir in unserer Grundbefindlichkeit erwartende, adventliche Menschen. Wir sind Menschen dieser Erde. Aber wir sind auch Menschen des Himmels, deren unerfüllte Sehnsucht sich austreckt nach mehr Liebe, nach mehr Geborgenheit und Angenommensein, nach der Heimat jenseits des Horizontes. Diese Sehnsucht können wir nicht wirklich erfüllen. Sie bleibt in Gott. Der Hl. Augustinus schreibt deshalb in seinen Bekenntnissen: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in Dir, o Gott!“ (Confessiones I,1).
Wir müssen also „wachsam“ bleiben. Unser Herz, unsere Mitte muss in Bewegung bleiben, lebendig und voller Sehnsucht. Wir müssen das Vorläufige vom Endgültigen unterscheiden lernen. Dazu hilft die Adventszeit. Wie der Türhüter die Türe offenhalten muss und dennoch nicht jedem und allem Eintritt gewähren darf, so müssen wir unterscheiden zwischen dem, was uns vorschnell abspeist und nur scheinbar zufrieden stellt im Leben.
Geschenke, die wir uns an Weihnachten machen werden, sind wichtig. Aber sie sind letztlich nur Hinweise auf das große Geschenk der Nähe Gottes und seiner Liebe zu uns in Jesus Christus. Gemeinschaft und Gemütlichkeit haben ihren Wert, aber sie sollen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass unser Alltag in einer Welt des Kampfes und vielerorts der Angst die tatkräftige und zupackende Gemeinschaft der Liebe braucht.
Wie können wir also in dieser Zeit zum Wesentlichen vordringen?
Kinder haben den Adventskalender. Da ist meist hinter den Türchen ein Stück Schokolade oder sonst etwas Süßes. Wie wäre es für uns Erwachsene mit einem Adventskalender, dessen Türen uns jeden Tag daran erinnern unser Herz der Liebe Gottes zu öffnen: Da ist hinter einer Türe die Einladung, einmal eine Zeit der Stille zu suchen. Hinter einer anderen Türe die Einladung, einmal ein Gebet zu sprechen. Hinter einer anderen Türe die Bitte, jemand zu besuchen, der meine Nähe braucht. Jemand eine besondere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Ein Spaziergang, eine kleine Zeit, um in der Bibel zu lesen…
Werden wir also „wachsame“ Türhüterinnen und Türhüter in diesen Tagen des Advents: Menschen, die aufmerksam auf das achten, was sie in ihr Herz einlassen und die sorgsam jeden Tag eine Türe zum Himmel öffnen.
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido