Predigt zum 12. Sonntag im Jahreskreis – A – Jer 20, 10-13 und Mt 10, 26-35
Es sind Worte, die unter die Haut gehen, die der Prophet Jeremia hier spricht.Wer je einmal für seine tiefste Überzeugung geradesteht und für seine Geradheit Nachteile in Kauf hat nehmen müssen, wird den Propheten im Umfeld der heutigen Lesung gut verstehen können.
Er tritt vor uns hin als ein in die Pflicht seiner Sendung genommener Prophet (vgl. Jer 19,1-3). Jeremia erlebt die Korruption im Volk und bei den Mächtigen hautnah mit, die schließlich zum Untergang des Südreiches Juda mit seiner Hauptstadt Jerusalem (im Jahr 586 v. Chr.) führen wird. Wegen seiner Mahn- und Drohreden, die das Schlimmste verhindern wollen, wird er im Tempel gefangengenommen und geschlagen. Er sagt dem Oberaufseher harte Worte (vgl. Jer 20,1-6). Anschließend besinnt er sich. Seine missliche Lage wird ihm klar, auch Zweifel steigen auf. Dennoch: Gott hat ihn erfasst: „Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören“, betet er, bevor die heutige Lesung einsetzt, „du hast mich gepackt und überwältigt“ (Jer 20,7).Selbst wenn er müde werden will, überkommt ihn sein Auftrag immer neu. Selbst wenn sogar seine „nächsten Bekannten“ sich von ihm abwenden: Er hält an seiner Sendung fest, und Gott lässt ihn in aller Angefochtenheit standhaft bleiben.
In seinem Buch „Winter in Wien“ hat der Schriftsteller Reinhold Schneider geschrieben, dass es um den Zweifel außerhalb der Kirche nichts Besonderes sei; dass er jedoch in der Kirche Platz und Heimat haben solle, scheint ihm etwas Großes. Jeremia jedenfalls trägt seine ganz persönliche Anfechtung, aber auch die persönliche Erfahrung der Treue Jahwes in den öffentlichen Raum des Tempel-Kultes in Jerusalem. Er selbst gehört ja der offiziellen Priesterschaft an. Dennoch verdrängt er nichts, sondern füllt die vorgeformten, im Tempel bereitgehaltenen Klage-, aber auch Danktexte mit seiner ganz persönlichen Klage und seinem ganz persönlichen Dank. Die Berechtigung dazu gewinnt er aus der Überzeugung, dass Gott auch im Leid nicht verschwiegen zu werden braucht, wenn man nur fürchtend und zugleich liebend von ihm spricht (vgl. Tagesgebet des heutigen Sonntags). Er weiß sich in dieser Überzeugung von der Gemeinde der Gläubigen mitgetragen, die ihm ihre Klage- und Loblieder zur Verfügung stellt, so dass er seine Klage einschwingen und einstimmen lassen kann in den Lobpreis aller: „Singt dem Herrn, rühmt den Herrn; denn er rettet das Leben des Armen aus der Hand der Übeltäter“ (Jer 20,13).
Nur, wie gehen wir damitum? Der Prophet hofft offensichtlich, dass seine Verfolger unterliegen werden. Aber auch wenn er betet: „Ich werde deine Rache an ihnen erleben“, so geht es ihm nicht um persönliche Rache. Es geht vielmehr um die Rettung des Guten und des Menschen, der für die Sache Gottes einsteht, und den damit – als Kehrseite – verbundenen Untergang des Bösen, der Übeltäter, der Sünder, die das vereiteln wollen. Dabei wird jedoch deren Umkehr geradezu beschworen: das eben will die prophetische Mahnrede ja erreichen. Und es wäre falsch, könnten wir uns vor lauter Rücksichtnahme nicht mehr darüber freuen, dass Gott „das Leben des Armen aus der Hand der Übeltäter“rettet. Nein, das ist keine Sieges-Mentalität und auch keine Schadenfreude. Der Sieg der guten Sache ist vielmehr der Sieg des guten Gottes. Und darüber dürfen wir uns, wie der Prophet es getan hat, von Herzen freuen.
Die Situation des Propheten Jeremia war keine einmalige, sondern sie kommt im Grunde immer wieder vor, bis zu uns heute hin. Ganz gleich zu welcher Zeit es geschieht: Wer mahnt und zurechtweist, hat es schwer. Er wird als unbequem empfunden und gilt als notorischer „Nörgler“. Man setzt den heutigen „Propheten“ zwar im Allgemeinen nicht mehr mit physischer Gewalt zu, aber oft genug wird versucht, sie mundtot zu machen oder in die Wüste zu schicken. Dabei muss man wissen, dass die prophetische Kritik, die in den Schriften der Bibel überliefert wird, nicht nur den Königen und Mächtigen im Volk galt, sondern eben auch religiöse Kritik für alle gewesen ist. So mahnt Jeremia in seiner berühmten „Tempelrede“ im siebenten Kapitel des Jeremiabuches: „Vertraut nicht auf die trügerischen Worte: Der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn ist hier! Denn nur wenn ihr euer Verhalten und euer Tun von Grund auf bessert, wenn ihr gerecht entscheidet im Rechtsstreit, wenn ihr die Fremden, die Waisen und Witwen nicht unterdrückt, unschuldiges Blut an diesem Ort nicht vergießt und nicht anderen Göttern nachlauft zu eurem eigenen Schaden, dann will ich bei euch wohnen hier an diesem Ort, in dem Land, das ich euren Vätern gegeben habe für ewige Zeiten“ (Jer 7,4-7).
Solche kompromisslose Verkündigung erfordert Standfestigkeit, denn man wird sie nicht gerne hören wollen. Deshalb ist es wichtig, im Blick auf das Geschick des Propheten Ausdauer zu gewinnen. Und zwar Ausdauer, die auf dem Glauben an Gottes Treue gründet, eigenes Eintreten für Recht und Gerechtigkeit niemals feige ausschließt und so zugleich zum ermutigenden Zeugnis für andere werden kann.
Im heutigen Evangelium reiht sich Jesus in die Schar der Propheten ein und überbietet diese noch: „Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet im Licht“, fordert er auf, fordert er uns auf, „und was man euch ins Ohr flüstert, das verkündet von den Dächern“ (Mt 10,27).
Und alle Menschenfurcht führt er ad absurdum: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet euch vor dem, der Seele und Leib in der Hölle verderben kann“ (Mt 10,28). Das klingt bedrohlich, aber so will es die „Prophetische Rede“ nun mal. Doch wird da keiner falschen Gottesfurcht, keiner Angst vor Gott das Wort geredet, sondern mit dem Stilmittel des Gegensatzes betont, wem allein wir verantwortlich sind und wem nicht. Und da ist ja auch das ermutigende Wort Jesu: „Verkauft man nicht zwei Spatzen für ein paar Pfennig? Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters. Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt. Fürchtet euch also nicht! Ihr seid mehr wert als viele Spatzen“ (Mt 10, 29-31).
Die Linie Jeremia - Jesus läuft in unsere Gegenwart hinein weiter. Es ist heute unser prophetischer Auftrag: „Für das Wort Gottes einzutreten, ob man es hören will oder nicht, zurechtzuweisen, zu ermahnen in unermüdlicher und geduldiger Belehrung“(vgl. 2 Tim 4,2).
Ihnen Gottes Segen und bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido