Über die Weisheit im Weinberg
Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis (A) Jes 55, 6-9 und Mt 20, 1-16
Es ist die Zeit der Weinlese. Es ist Erntezeit. Eine Zeit der Freude über die zu erntenden Früchte. Eine Zeit, in der selbst jene, die bei der Traubenlese den Rücken krümmen müssen und denen in der Hitze des Tages der Schweiß in die Augen rinnt, einander voll Jubel zurufen, wie gut es doch Gott meint, dass wieder so reichlich geerntet werden kann. In Psalm 129 wird von Segenswünschen erzählt, die bei der Lese Vorübergehende den Erntearbeitern zurufen (vgl. Ps 129,7-8).
Nichts davon schwingt in dem Gleichnis mit, das Jesus – so hat es Matthäus aufgeschrieben – den Menschen erzählt. Offensichtlich beschreibt das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg die Wirklichkeit einer harten Arbeitswelt zurzeit Jesu. (Vgl. Gerhard Lohfink „Die vierzig Gleichnisse Jesu“ Freiburg 2020, S. 115-122). Wir hören von Tagelöhnern, vermutlich ehemalige Bauern, die ihr Land verloren haben. Wir hören davon, dass sie morgens und tagsüber auf dem Marktplatz angeworben und am Abend bezahlt werden. Ein Denar wird ihnen zugesagt, ein Lohn, der damals ausreichte, damit man sich am nächsten Tag mit der Familie gerade so ernähren konnte. Wer keinen Job bekam, der musste am nächsten Tag mit seiner Familie hungern. Wir sehen die Realität einer freudlosen Arbeitswelt, die in vielen Ländern bis heute andauert. Der Kampf ums tägliche Brot, das ist eine harte Wirklichkeit in Gesellschaftsformen, die von Verteilungskämpfen bestimmt sind. Sollte man die nicht verstehen können, die sich in der Geschichte Jesu am Ende beschweren, weil der Arbeitgeber ihnen, die den ganzen Tag geschuftet haben, nicht mehr, sondern eben so viel als Lohn zahlt – einen Denar –, wie jenen, die nur eine Stunde gearbeitet haben? Das ist doch nicht gerecht! So sagen wir mit ihnen. Eine Ökonomie, eine Wirtschaftsform, die von Verteilungskämpfen beherrscht wird? Was ist die Alternative?
Jesus löst in seinen Zuhörern bewusst so etwas wie einen Schock aus. Wieder wirft er die erwarteten weltlichen Maßstäbe weg. „Mit dem Himmelreich, mit der Herrschaft Gottes ist es wie…“, so hieß es am Anfang des Gleichnisses. „Bist Du böse, weil ich gut bin“ (Mt 20,16), so fragt der Gutsherr den Beschwerdeführer der Erntearbeiter. Das griechische Wort „agathos“, das in seiner Grundbedeutung „gut“ bedeutet, kann ebenso mit „brauchbar“ oder „sachgerecht“ und sogar „vernünftig“ übersetzt werden. „Vernünftig“ im Sinn Jesu ist das, was der Gottesherrschaft entspricht. Und das heißt: Auch wenn im Reich Gottes vom Morgen bis zum Abend gearbeitet werden muss, denn es ist kein „Schlaraffenland“, so erhält dennoch jeder das, was er benötigt. Niemand braucht in Sorge zu sein und in solcher Sorge um den nächsten Tag zu leben. Nicht der Kampf ums Überleben bestimmt den Umgang miteinander, sondern die Gemeinschaft, die sich um die Sache Gottes müht. Also keine Verteilungskämpfe, kein Ringen um die beste Position! Die Mitte dieses Reiches, des „Himmelreiches“ ist die Liebe und Sorge Gottes für alle! Das klingt gut. Aber ist das nicht zu schwammig und zu allgemein? Auf so eine Alternative, so unbestimmt und nebulös, kann man doch nicht setzen. Angesichts dieses Gleichnisses nur von der großen Güte Gottes zu reden, wäre – verzeihen sie mir die Worte – nicht mehr als frommes Geschwätz! Es ist viel greifbarer: Was Jesus sagt, ist an ihn und sein Lebenszeugnis gebunden. Wegen „frommem Geschwätz“ ist er nicht ans Kreuz geschlagen worden. Die Menschen haben gespürt, dass in Jesus, in seinen Worten, in seinem Handeln – dem Heilen und Vergeben, den Wundern und seiner Liebe –, dass in der Gemeinschaft, die sich da um ihn gebildet hat, dass im Leben der Jünger und Jüngerinnen aus dem Bewusstsein der Nähe Gottes, aus dem immer wieder neu aufeinander zugehen, aus der Vergebung und der echten Sorge füreinander, etwas Neues, unglaublich Neues entstand: Gottes Reich! DA haben auch die zu Spätkommenden, die Sünder, die Schwachen und Versager einen Platz, weil sie Kinder Gottes sind. Kein Wunder, dass die Herrschenden sich bedroht fühlten und fühlen und bis heute Christen verfolgt werden!
Das Gleichnis macht deutlich, dass eine solche Zukunft in Gott konkret möglich ist, und das gegen eine Gesellschaftsform, die nicht aus der Solidarität, sondern aus dem Durchsetzungskampf der Egoismen um die besten Plätze und den Verteilungskämpfen um den größten Besitz ihr Existenzrecht ableitet. Mitten in einer so zerrissenen Welt ist das Reich Gottes in Jesus angebrochen. Jesus hält den Menschen seines Volkes und auch uns heute einen Spiegel vor und er fragt uns, worauf wir unser Leben bauen. Das kann Ängste wecken. Es kann aber auch die Türe zur Zukunft öffnen, Hoffnung und Freude schenken. Das ist die Alternative!
Jesu Botschaft ist eine wirkmächtige Botschaft, das heißt: Sie setzt Wirklichkeit. Und ich, und du, jeder und jede von uns ist eingeladen, durch unser eigenes Leben Teil dieser Botschaft, Teil des Gottesreiches zu werden, indem wir nach seinem Maßstab das vom Evangelium leben, was wir verstanden haben. Und das auch nicht in der Theorie, sondern konkret: Dazu muss man nicht in eine Ordensgemeinschaft eintreten – obwohl das sicher auch eine Möglichkeit ist. Das beginnt in der Freundschaft zwischen Menschen, in der Partnerschaft, in der Familie und darüber hinaus. Das beginnt im leisen Gebet, im Gottesdienst der Gemeinde und im eigenen Bewusstsein, aus dem Evangelium und mit ihm den Alltag zu gestalten. Ich kann mich fragen, wie ich Jünger, Jüngerin Jesu sein kann, wie ich mich zum Kreis seiner Freunde gesellen kann, um etwas von der Freude und der Gelassenheit der Ernte im Reich Gottes zu erfahren. Ich kann mich fragen, ob ich nicht in meinem Leben Gott zu einer Sache gemacht habe, die ich nur nach Lust und Laune aus dem Schrank oder irgendeiner Kiste hole. Es beginnt damit, dass ich mich ganz persönlich und auch in der Familie frage, ob ich das, was ich mein Eigen nenne an materiellem und anderem Gut, wirklich zum Leben benötige, oder ob ich etwas davon so einsetze sollte, damit bei anderen die Not gelindert wird! Man könnte beispielsweise so rechnen: „Ein Euro für mich – ein Euro für einen Armen“. Die Haushaltsführung wird plötzlich ganz anders… Und auch das das Denken… Natürlich soll es uns gut gehen! Aber?
Ich hoffe, ich habe Sie etwas unruhig gemacht. Vielleicht fragen Sie Jesus einmal direkt: „Herr, was möchtest Du, dass ich tue, damit Gottes Reich bei uns wachsen kann?“
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido