Tempelreinigungsaktion...
3. Fastensonntag (B) 1Kor 1,22-25 und Joh 2,13-25
Es fand ein Vortrag und Gespräch über die Kirche als Glaubensgemeinschaft in der Gemeinde statt. Als Referent war ein durch seine publizistische Tätigkeit als Konzilsjournalist und seine begeisternde Predigttätigkeit bekannter Jesuit, P. Mario von Galli (1904-1987), eingeladen. Zu Beginn seines Vortrags erzählte er von einer Begebenheit, die ihm bei seiner Zugfahrt zum Vortragsort widerfahren war: „In meinem Zug-Abteil“, so erzählte er, „waren neben mir und einem weiteren Herrn noch ein junger, gutaussehender Mann und eine, wie soll ich sagen, wirklich hässliche alte Frau. Nun, der junge Mann bemühte sich sehr um diese alte Frau. Es war schon auffallend, wie beflissen er sich um sie kümmerte. Als ich mir nach einiger Zeit auf dem Gang vor dem Zug-Abteil die Beine ein wenig vertrat, kam auch er aus dem Abteil. Ich sprach ihn an: Sagen Sie, was haben Sie mit dieser alten Frau zu tun, dass Sie sich so um sie bemühen? – Fast entrüstet antwortete er mir: Warum sollte ich das nicht tun? Schließlich ist sie meine Mutter!“ Und von Galli fuhr in seiner unnachahmlichen Art fort: „Sehen Sie, das ist ein Bild für die Kirche. Sie ist wie eine hässliche, runzelige alte Frau. Aber sie ist auch unsere Mutter!“ - Man mag einwenden: Die Kirche als unsere Mutter? Ist das nicht eine institutionell antiquierte Begrifflichkeit und ein überholtes Bild? Es ist ein Bild, wie es noch manche andere gibt, mit Blick auf die Glaubensgemeinschaft und Institution. Mir kam diese Anekdote in den Sinn, als ich über die im Evangelium dieses 3. Fastensonntags geschilderte Tempelreinigung nachdachte. Die Kirche, eine hässliche und runzelige alte Frau?
Klar, da ist die gegenwärtige schwierige Situation. Die schlecht aufgearbeiteten Fragen bezüglich sexuellen Missbrauchs, Machtfragen und sicher noch vieles andere. Müsste nicht der Herr selbst einmal für Ordnung sorgen? Viele verlassen die Gemeinschaft der Kirche, weil sie das Vertrauen in sie verloren haben. Ich bezweifle, ob Weglaufen der richtige Weg ist!
Schauen wir auf das Evangelium. Die Analogie vom Tempel in Jerusalem und der Kirche als dem entscheidenden Ort der Gottesbeziehung ergibt sich daraus, dass dieser verortete Raum der Gottesbeziehung kein von Menschen errichtetes Bauwerk ist (vgl. Apg 17,24), sondern aus den Worten Jesu im Evangelium, der vom „Tempel seines Leibes“ spricht (vgl. Joh 2,21). Jesus ist also in seiner Person der neue Tempel, der „Ort und Raum“ der Gegenwart Gottes. Jesus verweist auf das besondere Zeichen, das den Juden, die es als Beweis fordern, und mit ihnen allen Menschen zu allen Zeiten gegeben wird: „Reißt diesen Tempel nieder, in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten“ (Joh 2,19). Der durch die Kreuzigung zerstörte und auferstandene Leib des Herrn ist es, auf den hier verwiesen wird. Der Auferstandene errichtet den Tempel seines Leibes freilich nicht nur als innere, mystische Wirklichkeit. Der Tempelbau des Auferstandenen auf Erden ist seine Kirche, gewiss weniger als bloße Institution als vielmehr die Gemeinschaft der Gläubigen. So schreibt Paulus der Gemeinde in Korinth: „Wisst ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wer den Tempel Gottes zerstört, den wird Gott zerstören. Denn Gottes Tempel ist heilig und der seid ihr“ (1Kor 3,16-17). Damit sind wir wieder bei der Analogie des Geschehens der Tempelreinigung und Zustandes der Kirche. War es zur Zeit Jesu die Entweihung des Tempelraumes durch die Geschäfte und ebenso durch das Fehlverhalten der führenden Institutionen, die in der Kreuzigung Jesu ihren Höhepunkt fand, so ist es mit Blick auf die Kirche das Übel, dass sich immer wieder Christen – auch solche in Leitungsämtern – dem Geist Gottes verschließen. Sie entweihen durch ihr sündhaftes Tun den Raum der Begegnung des Gottesgeistes mit dem Menschen und verhindern so die Nähe des Herrn zu den Menschen. Wohlgemerkt: In dieser Gefahr und Versuchung befinden wir uns alle als Christen, ganz gleich welche Position oder auch Funktion wir im Leib der Kirche innehaben. Wenn Christen dieser Versuchung erliegen, dann verkommen die persönlichen und gemeinsamen Lebens- und Glaubensgeschichten nicht nur zu Markthallen, dann wird der Zugang zum Raum der Gottesbegegnung und damit auch der Zugang zu Gott selbst behindert. Dann wird der Glaube nicht nur in Frage gestellt, er wird nicht richtig gelebt, nicht weitergegeben, das Feuer erlischt, der Leib Jesu wird verdunkelt, das Gebet verstummt. Es ist eine Frage nach dem eigenen Glauben und genau deshalb gehört diese Frage und die Aussage des Evangeliums auch auf der ganz persönlichen Ebene in die Zeit der Vorbereitung auf das Osterfest. Wir müssen uns angesichts der Problematik in unserer Kirche der bloßen Rede und des Urteils über andere zurückhalten. Missstände müssen natürlich beseitigt werden. Zudem aber muss jeder Gläubige sich der Frage stellen, ob er oder sie mit den anderen Christen den Glauben so lebt und gestaltet, dass durch das eigene Zeugnis der Zugang zum Raum und Ort des Glaubens, also zu Jesus offen und einladend ist.
Eines bleibt noch: Was bedeutet es, wenn in der Schlussbemerkung des heutigen Evangeliums gesagt wird, dass sich Jesus ihnen nicht anvertraute (vgl. Joh 2,24)? Vom Zusammenhang her offensichtlich auch jenen nicht, von denen es vorher geheißen hat, dass sie an seinen Namen glaubten, als sie die Zeichen sahen, die er tat (vgl. Joh 2,23). Zeigt das nicht darauf hin, dass „Glaube“ mehr ist als nur ein oberflächliches Wahr- und Annehmen von Zeichen? Glaube braucht Bewährung und Treue, braucht das Durchhalten in der Anfechtung und Versuchung. Er, der ganz von Gott herkommt, kennt den Menschen von innen und außen. Glauben im Sinne von Vertrauen verlangt Entschiedenheit und Festigkeit, verträgt keinen Wankelmut und Halbheit. Jesus weiß, wie schwach wir Menschen sind, wie sehr wir von vielen Einflüssen abhängig sind. Dass er dennoch zu uns steht und uns wie den Jüngern sein Innerstes öffnet, wie es beispielsweise in den Abschiedsreden des Johannesevangeliums geschildert wird (vgl. Joh 14-17), ist ein Erweis seines großen Vertrauens in uns.
Es ist gut, dass Jesus den Tempel als Institution und darüber hinaus jede religiöse Institution sehr kritisch betrachtet. „Ecclesia semper reformanda – die Kirche bedarf immer der Reform“ sagt das 2. Vatikanische Konzil. Die Gemeinschaft der Kirche und damit auch jeder und jede einzelne Gläubige muss sich von Jesus zu sich selbst bringen und in eine neue und geisterfüllte Beziehung zu Gott und zueinander bringen lassen. Wo Kirche solchen Glauben lebt und verkündet, wird sie selbst zum Tempel, zum Ort und Raum der Gegenwart Gottes.
Ihnen und Euch eine gesegnete Zeit und bleibt behütet! P. Guido