Predigt zum 13. Sonntag im Jahreskreis – A – Röm 6, 3-4.8-11 und Mt 10, 37-42
Ein kleiner Dialog, ein kleines Gespräch war es. Aber es ist mir nachdrücklich in Erinnerung geblieben.
Es war bei einem meiner Krankenhausbesuche. Wie üblich ging ich von Zimmer zu Zimmer, von Bett zu Bett. In einem der Krankenzimmer war Besuch bei Oma, das Enkelkind. Den Kleinen plagte angesichts der Krankheit von Oma nicht nur eine Frage. Man konnte spüren, wie er überlegte. Und dann kam die Frage: „Du Oma, warum sind die Menschen krank, warum bist du krank?“ – Die Oma griff zu dem Körbchen, das auf dem Schränkchen neben dem Bett stand. Dort lagen Äpfel drin. Sie hielt dem Kleinen den Apfel hin: „Siehst du den Apfel? Ja! Gefällt er dir, so prall und lecker, grün und mit roten Backen?“ „Ja Oma!“ „Weißt du mein Lieber, so toll und lecker ist dieser Apfel nur geworden, weil Sonne und Regen und milde und kalte Luft ihn haben reifen lassen. Mit uns Menschen ist es genau so. Da gibt es Sonnenzeiten und Regenzeiten, Sommerluft und Kälte, Gesundheit und Krankheit. Das gehört auch zu uns Menschen. Das alles hilft uns, dass wir reifer werden… und“, so sagte sie nach einer kleinen Pause, „der liebe Gott hilft uns dabei.“
Unser Kreuz sollen wir tragen, Leiden, Verfolgung, sogar Tod auf uns nehmen. Sogar die Liebe zu unseren nächsten Verwandten soll an die zweite Stelle rücken. Ist das nicht das Gegenteil von allem, was wir uns wünschen? Zunächst einmal scheint es wichtig, das Wort Jesu von der Kreuzesnachfolge richtig einzuordnen. Denn dieses Wort meint weniger die alltägliche Belastungssituation durch Sorgen, durch Krisen, ja noch nicht einmal durch Krankheit oder sogar den Tod. Jesus hat das Wort vom „Aufnehmen des Kreuzes“ – konkret wurde bei der Kreuzigung ja vom Verurteilten der Querbalken des Kreuzes zur Hinrichtungsstelle geschleppt – ganz bewusst im Blick auf den Weg seiner Nachfolge gebraucht. Im Grunde muss man dieses Wort als eine Art Warnung verstehen. Denn wer bereit ist, Jesus auf seinem Weg nachzufolgen, soll es in voller Freiheit tun und muss sich daher genau überlegen, was er oder sie da tut. Genau in diesem Zusammenhang sind auch die Worte vom Hintanstellen der Familienbeziehungen zu sehen (Mt 10,37).
Da kann man leicht die Idee bekommen, dass solche Forderungen über die menschliche Kraft gehen, ja fast unmenschlich sind. Schließlich ist es doch ganz natürlich, dass Menschen Leiden und Schmerzen vermeiden wollen, dass sie nach Liebe, Geborgenheit, Sicherheit streben.
Wir kommen an diesen sperrigen und unbequemen Jesusworten nicht vorbei. Sie nehmen einen zentralen Platz in den Evangelien ein.
Die Grundlage all dieser Nachfolgeworte wird sichtbar, wenn man auf die Kernbotschaft Jesu schaut: Er verkündet das Reich der Nähe Gottes, das Himmelreich in den Worten des Matthäus, oder in den Worten der anderen Evangelisten, das Reich Gottes. Wer diese Botschaft ernst nimmt, der muss wissen, dass es für Jesus um die vollkommene Hingabe an diese Aufgabe der Verkündigung des Gottesreiches geht.
Jesus führt uns vor Augen, dass wir die Realität des Leidens in dieser Welt nicht übersehen können und dass es nicht möglich ist, es immer zu vermeiden. Im Zusammenhang mit seinem Auftrag der Verkündigung des Gottesreiches ist die ganze menschliche Existenz mit Freude und Leid, mit Schmerz und Tod hineingenommen in die Nachfolge des Herrn immer im Blick auf die Nähe Gottes und sein Mitgehen im Leben und Sterben, wie es Jesus uns vorgelebt hat.
Natürlich sollen wir gegen Schmerz und Leid alles tun, was möglich ist. Aber was, wenn nichts mehr möglich ist? Da wendet sich der Blick, das Hoffen verändert sich. Das Dabeibleiben, mit Aushalten, Annehmen, Mitgehen… gerade, weil Gott, das ist Jesu Zeugnis, ebenso dabeibleibt, mit aushält und annimmt. So kann das eigene Leid, das im Glauben angenommen und getragen wird, für den einzelnen zu seinem Berufungsweg in der Nachfolge Jesu werden. Viele Menschen, die wir Heilige nennen, haben das für sich erkannt und gelebt.
Noch deutlicher gesagt: Indem wir unser Schicksal glaubend annehmen und darin unseren Weg der Verkündigung der Nähe Gottes sehen, eröffnen sich Wege, Leiden zu überwinden, ja sogar neue Kraft zu schöpfen, die sogar wieder anderen Menschen zugutekommen kann.
Einen Schlüssel dazu bietet uns der Satz, der dem Wort vom Kreuztragen folgt:
„Wer das Leben findet, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es finden“ (Mt 10,39).
Hier macht Jesus nach den Worten des Matthäus deutlich, dass menschliches Leben nicht nur um sich selbst kreisen soll, im ständigen Bestreben, Wissen, Besitz, Ansehen und Anerkennung aufzuhäufen, sondern dass es grundsätzlich auf Gott bezogen ist, der die Quelle allen Lebens ist und zu dem es wieder zurückkehrt. Jesus macht uns klar, dass wir, wenn wir ihm folgen wollen, nicht bei uns bleiben dürfen, sondern wahres, lebendiges, erfülltes Leben nur mit Blick auf Gott erfahren können. Damit wird auch deutlich, dass alle Liebe unter den Menschen auch in der Familie, in der Ehe, im Freundeskreis an die Liebe Gottes angebunden sein muss, da sie sonst nur bei sich selbst verharren würde und schließlich in der Gefahr stünde, sich in Egoismus zu verlieren. Der Theologe Hans Küng sagte einmal: „Gott bewahrt uns nicht vor allem Leid, wohl aber in allem Leid.“
Gottes Antwort in Jesus auf die Leiderfahrung der Menschen ist sein „auf sich nehmen des Leidens“ und das Hindurchgehen und Mittragen durch den Tod hin zur Fülle des Lebens in Gott. Die Oma in der kleinen Geschichte am Anfang unserer Überlegungen hat recht. Das Leid, das Leben, der ganze Mensch wird aus dem Glauben an Gottes Nähe verwandelt, wird reifen und vollendet.
Der Theologe Karl Barth sagte es einmal so: „Durch das Leid hindurch, nicht am Leid vorbei geht der Weg zur Freude.“
Seien Sie gesegnet im Kreuz des Herrn und bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido