Selbst in der katholischen Kirche gibt es vielfache Kritik an der Institution des Papsttums


Predigt zum 21. Sonntag im Jahreskreis – A – Jes 22, 19-23 und Mt 16, 13-20
Das Wort „Du bist Petrus - der Fels - und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“ (Mt 16,18), finden wir nur im Matthäus- Evangelium. Markus und Lukas kennen es nicht, obwohl auch sie die Szene bei Cäsarea Philippi bieten (vgl. Mk 8,27- 30 und Lk 9,18-21). Und so ist es auch im Laufe der Kirchengeschichte nicht unwidersprochen geblieben und samt dem, was im Zusammenhang damit noch gesagt wird, zum Stein des Anstoßes geworden: die „Schlüsselgewalt“ des Petrus, insbesondere die seiner Nachfolger, und die damit verbundene Vollmacht, auf Erden zu binden und zu lösen, was dann auch im Himmel gebunden und gelöst sein soll (Mt 16,19). Diese Worte, die sinngemäß auf Jesaja zurückgehen (vgl. die heutige Lesung Jes 22,19-23), haben immer wieder eine wichtige Rolle gespielt bei der Begründung päpstlicher Machtansprüche und wurden, ja werden bis heute oft genug mindestens missverständlich interpretiert.
Die Exegeten sind sich nun fast ausnahmslos einig darin, dass Jesus den Petrus nicht so angesprochen hat, wie wir es bei Matthäus lesen, sondern dass die nachösterliche Gemeinde aus ihrem Glaubensverständnis heraus die Bildworte vom Felsen, von den Schlüsselnund vom Binden und Lösen Jesus in den Mund gelegt hat.
Wir wissen auch, dass andere christlichen Kirchen und Gemeinschaften nicht nur keinen Papst haben, sondern auch die Institution des Papsttums weithin ablehnen, ein Umstand, der tatsächlich ein großes Hindernis auf dem Weg zur Einheit im Glauben ist. Selbst in der katholischen Kirche gibt es vielfache Kritik an der Institution des Papsttums und mit ihrer verbundenen Struktur der „Kurie“, der päpstlichen Verwaltung.
Die Frage ist berechtigt, welche Bedeutung denn das Petrusamt in der Kirche hat. Der neutestamentliche Befund zeigt eindeutig: Petrus gilt zweifellos als der Erste unter den von Jesus berufenen Zwölf. Er bekommt einen neuen Namen. Aus Simon wird Petrus, d.h. „Felsenmann“; das ist auch sonst in den Evangelien überliefert (vgl. etwa Mk 3,16). Er wird aber nicht deshalb zum „Fels“, weil er einen felsenfesten Charakter besäße; den hat er nämlich nicht, wie wir wissen: Er hat Jesus öffentlich verleugnet, indem er sagte: „Ich kenne diesen Menschen nicht“ (Mt 26,72.74).
Gerade vor diesem Hintergrund ist nun aufmerksam zu hören, was wir bei Lukas - und nur bei ihm - finden und was ziemlich selten zur Sprache kommt. Jesus sagt zu Petrus im Zusammenhang mit der Frage nach dem Dienst, den er selbst wahrnimmt, und dem Dienen untereinander: „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder. Darauf sagte Petrus zu ihm: Herr, ich bin bereit, mit dir sogar ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Jesus erwiderte: Ich sage dir, Petrus, ehe heute der Hahn kräht, wirst du dreimal leugnen, mich zu kennen“ (Lk 22,32-34).
Die Bezeichnung Fels gilt also weiß Gott nicht seiner Person, sondern seinem Auftrag. Das nun wird kaum einer bezweifeln: Auch in unserer Zeit braucht die Kirche einen Petrus, um die Schwestern und Brüder im Glauben zu stärken. Aber der Papst ist weder Herr des Glaubens noch Herr der Kirche. Feudale und triumphalistische Strukturen sind ihrem tatsächlichen Wesen ganz fremd. Das Bild von der Kirche als einer Pyramide, in der der Papst die Spitze darstellt, ist falsch, ist es immer schon gewesen und entspricht nicht dem neutestamentlichen Befund. Vielmehr hat die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden die Aufgabe, das Evangelium treu zu bewahren und unverfälscht weiterzugeben. Sie soll die Menschen um Christus sammeln. Die Armen sind ihr anvertraut und nicht zu vergessen ist das Lob Gottes. So ist sie Dienerin und Wegbereiterin des Glaubens. Ihr Urbild ist die Gottesmutter Maria, die wir deshalb die Mutter der Kirche nennen. In der Kirche Jesu Christi als einer Gemeinschaft von Glaubenden ist keiner mehr und keiner weniger, keiner höher und keiner niedriger. Jeder hat die von Gott verliehene Geistesgabe zum Helfen, Trösten, Ermahnen, Lehren und Leiten. Es ist nicht so, dass einer alles kann. Wir sind also, um es einmal zugespitzt zu formulieren, keine Papstkirche, sondern Kirche Jesu Christi. Jeder und jede Gläubige hat in ihr seine bestimmte Aufgabe. Der Papst übt das Petrusamt aus. Das schließt Kritik an der Amtsführung ganz gewiss nicht aus, sondern fordert sie gegebenenfalls sogar. Jesus selbst hat Petrus kritisiert und ihn „Satan“ genannt, als er ihn vom Weg des Kreuzes abbringen wollte (vgl. Mt 16,23). Paulus ist Petrus offen entgegengetreten, als dieser aus Angst und Feigheit die Tischgemeinschaft mit Christen ablehnte, die nicht von Haus aus Juden waren. Petrus hatte sich nämlich wieder an jüdischen Speisegesetzen orientiert, die durch Jesus längst überholt waren (vgl. Gal 2,11f). Unaufrichtig gar nennt ihn Paulus in diesem Zusammenhang (vgl. Gal 2,13). Und im Mittelalter haben Heilige wie Bernhard von Clairvaux und Katharina von Siena und andere den Papst wegen seines Strebens nach Macht und Ruhm heftig kritisiert. Diese und manche andere Kritik kommt nicht aus Kritiksucht oder Häme, sondern aus dem Glauben und aus der Liebe zur Kirche.
Was also erwarten wir heute von Petrus? Er soll uns helfen, Kirche zu werden, wie Jesus sie gewollt hat. Er soll vorangehen und nicht bremsen. Er soll nicht Angst, sondern Hoffnung verbreiten. Er soll uns zum Heil und der Kirche zum Segen sein. Ein Johannes XXIII. hat das vor ein paar Jahrzehnten überzeugend vermocht. Da geriet sogar die so oft als böse verschriene Welt ins Staunen. Und wenn ich auf die Päpste schaue, die ich in meinen Lebensjahren erlebt habe, sehe ich ihr Bemühen dem biblischen Anspruch des Amtes gerecht zu werden. Ich sehe auch manches, dem sie weniger gerecht wurden, weil sie sich vielleicht übernommen haben. Ich sehe einen Paul VI., der das 2. Vatikanische Konzil zum Abschluss brachte und als erster Papst in der Neuzeit Reisen in die Welt unternahm, um das Evangelium zu den Menschen zu tragen. Ich sehe Johannes Paul I., der in der kurzen Zeit seines Wirkens mit seinem Lächeln und seiner Menschlichkeit die Herzen öffnen konnte. Ich sehe den großen Johannes Paul II., ohne den die reale Ideologie des Staats-Kommunismus nicht überwunden worden wäre. Ich sehe einen Benedikt XVI., dessen reiche Theologie noch lange nicht ganz erschlossen ist. Und ich sehe einen Franziskus, den das Amt nicht verbiegt und der in seiner direkten Art uns sicher noch manches zu sagen hat. Und ich sehe bei ihnen allen, die menschliche Schwäche, die, wie auch bei uns, nur durch die Gnade Gottes geheilt werden kann. Nur so wurden und werden sie und auch wir zu Menschen des Heiles, zu Heiligen.
Ihnen und uns allen gilt der Auftrag des Herrn: „Stärke deine Geschwister im Glauben!“
Seien Sie in der Liebe des Herrn gesegnet und behütet! Ihr P. Guido