Predigt zum 22. Sonntag im Jahreskreis (B)
Jak 1,17-18.21b-22.27 und Mk 7,1-8.14-15.21-22
In der Ordnung dieses Lesejahres kehren wir nach den vergangenen Sonntagen mit dem Evangelisten Johannes wieder zum Evangelisten Markus zurück. Gerade erfuhren wir, Pharisäer und Schriftgelehrte – Letztere seien sogar aus Jerusalem gekommen – hätten sich bei Jesus aufgehalten. Die wollen sich wohl vor Ort ein Bild von seinem Reden und Tun machen. Mit dieser Vermutung liegen wir richtig, denn der Umgang Jesu, insbesondere seine Mahlgemeinschaften mit Zöllnern, Sündern und Dirnen, erregt bei ihnen Anstoß: man redet von ihm als von einem Fresser und Säufer (vgl. Lk 1,34). - Und jetzt missachten er und auch seine Jünger auch noch die Reinheitsgebote des mosaischen Gesetzes!
Aber ist das wirklich so? Zu schnell heißt es manchmal, die Weisungen der Thora, des jüdischen Gesetzes, hätten seit Jesus keine Chance mehr. Was die Reinheitsgebote angeht, wird gerne darauf verwiesen, dass Jesus alle Speisen für rein erklärt habe (vgl. Mk 7,19). „Rein und Unrein“, das sind die Stichworte. Was aber bezeichnen diese Worte? Vielleicht können wir uns so behelfen: „Rein“ meint gesetzestreu und „Unrein“ bezeichnet ein Verhalten gegen die Weisungen, gegen das Gesetz Gottes. (Natürlich stecken in ihnen auch überlieferte hygienische Regeln.) Das dürfen wir aus dem Wort Jesu schließen: „Was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein.“ Im Wort Jesu sind allerdings hier nicht die hygienischen Unreinheiten durch menschliche Ausscheidungen gemeint, sondern das, was aus der ganzheitlichen Mitte des Menschen kommt, also aus seiner Personenmitte. So oder so ähnlich lese ich in unserem Zusammenhang dreimal (vgl. Mk 7,15.20.22). Und dabei fallen mir jene Psalmen ein, welche die Grundhaltungen nennen, die für den Eintritt in den Tempel also zur Begegnung mit Gott Voraussetzung sein sollten: „Wer darf hinaufziehen zum Berg des Herrn, wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Der reine Hände hat und ein lauteres Herz, der nicht betrügt und keinen Meineid schwört“ (Ps 24,3a). – „Der mit seiner Zunge nicht verleumdet; der seinem Freund nichts Böses antut und seinen Nächsten nicht schmäht ... der sein Versprechen nicht ändert ... der sein Geld nicht auf Wucher ausleiht und nicht zum Nachteil des Schuldlosen Bestechung annimmt“ (Ps 15,3-5). Jesu Lasterkatalog im heutigen Markus-Text stimmt damit überein und nennt Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft als das, was von innen kommt und so den Menschen unrein und sündig macht und von Gott wegführt.
Leider wissen wir über die theologischen Diskussionen zur Zeit Jesu nicht genug. In der Frage um „Rein und Unrein“ lässt sich jedoch erkennen, worauf Jesus reagiert hat. Offensichtlich gab es eine Verschiebung der Vorschriften und Regeln weg von der inneren Haltung hin zu einem bloß äußeren Tun. Also: Wasch dir vor dem Essen die Hände! Was das in Bezug auf Gott bedeutet, kann Dir egal sein! So aber verliert das Gebot seinen Sinn!
Vor diesem Hintergrund wird der Standpunkt Jesu verständlich. Er stellt sich nicht gegen Gottes Gesetz, wenn er darauf pocht, dass es entscheidend ist, sein Herz reinzuhalten, also in einer unmittelbaren und unverfälschten Gottesbeziehung zu stehen, als sich auf äußerliche Vorschriften zu beschränken, auch wenn das rituelle und kultische Gebote sein können.
Übrigens kennen wir Vergleichbares auch heute. Da gab und gibt es in Bezug auf den Empfang der Hl. Kommunion auch eine Regel. Man soll vor dem Empfang der Hl. Kommunion wenigstens eine Stunde nichts anderes zu sich nehmen außer Wasser oder notwendige Arznei. (Kranke sind natürlich von diesem Nüchternheitsgebot ausgenommen. Vgl. can. 919 § 1 CIC). Das gilt auch heute. Früher war das Nüchternheitsgebot zeitlich erheblich länger ausgedehnt und wurde auch strenger in der Auslegung gehandhabt. Klar! Der Sinn ist: Es geht um den würdigen Kommunionempfang, um den würdigen Empfang des Leibes Christi. Dazu dient diese Regel als Erinnerungsstütze. Paulus übrigens schärft schon im Brief an die Korinther ein: „Wer also unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn. Jeder soll sich selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen und aus dem Kelch trinken. Denn wer davon isst und trinkt, ohne den Leib zu unterscheiden, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt“ (1 Kor 11,27-29). Dieses Wort des Apostels hat lange dazu geführt, dass man vor dem Kommunionempfang erst die Beichte verlangte. Mancherorts ist es heute noch so. Nochmal und zum besseren Verständnis: Sinnstiftend für solche oder ähnliche Regeln ist ihr Hinweis- und Schutzcharakter für wichtige Inhalte des Glaubens. Und das ist schon in Ordnung. Das bedeutet aber auch, dass der Sinn solcher Regeln offenkundig und verständlich sein muss. Und noch eines ist wichtig für solche Regeln: Gottes wegen darf die Schuldigkeit dem Menschen gegenüber niemals zu kurz kommen. Deshalb heißt es im kirchlichen Gesetzbuch, dem Canon Juris Canonica im allerletzten Satz, dass „das Heil der Seelen in der Kirche immer das oberste Gesetz sein muss“ (vgl. can. 1752 CIC). Hier ist auch der Ansatzpunkt, an dem wir in der Kirche und im Kontext des Glaubens über Fragen sprechen müssen, die sich an den Stichworten „Wiederheirat Geschiedener“, „Zölibat“, „Sexualmoral“, „Macht“, „Ämter und Dienste in der Kirche“ und an anderen Fragen festmachen lassen.
Weil wir heutzutage im Glauben auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen sind, muss unser Glaube einfach sein und eindeutig am Evangelium ausgerichtet, also nahe bei Jesus. Fragen wir deshalb immer wieder: Was würde Jesus heute verkünden und tun? Die Orientierung an ihm ist unverzichtbar. Die Tradition der kirchlichen Überlieferung ist dann auch wichtig. Aber sie darf niemals dem Evangelium und damit Jesus entgegenstehen, damit es nicht auch an unsere Adresse oder an die der Kirche heißt: Ihr habt Gottes Gebot preisgegeben und haltet euch an die Überlieferung der Menschen. Was der Apostel Jakobus sagt, trifft es auf den Punkt: „Nehmt euch das Wort zu Herzen, das in euch eingepflanzt worden ist und das die Macht hat, euch zu retten. Hört das Wort nicht nur an, sondern handelt danach; sonst betrügt ihr euch selbst“ (Jak 1,21b-22).
Seien Sie offen im Gespräch des Glaubens und gesegnet und behütet! Ihr P. Guido