„Rein“ in der Verbindung mit Gott
Predigt zum 22. Sonntag im Jahreskreis (B) –
Dtn 4,1-2.6-8; Jak 1,17-18.21b-22.27 und Mk 7,1-8.14-15.21-22
Nach den Wochen mit dem Johannesevangelium sind wir wieder beim Evangelisten Markus. Jesus war aufgefallen. Man reiste ihm nach. Pharisäer und Schriftgelehrte, letztere besonders aus Jerusalem versammelten sich bei Jesus. Was war jetzt wieder los? Woran nahm man Anstoß? Nein, es geht nicht um ein längst vergangenes Geschehen. Was Markus erzählt, geht uns heute genauso an, wie jene damals. Dabei ist die Frage nach der „Hygiene“ – es wird ja gerügt, dass die Jünger sich vor dem Essen nicht die Hände waschen würden – nicht die eigentliche Problematik. Da fragen die Schriftgelehrten und Pharisäer: „Warum halten sich deine Jünger nicht an die Überlieferung der Alten?“ – Das ist eine Grundsatzfrage, die einen klaren Vorwurf enthält: Also lieber Jesus, du und die deinen, ihr beachtet die grundlegenden Dinge der religiösen Vorschriften nicht! Das Stichwort „Reinheit“ zeigt hin auf grundlegende Beziehung zu Gott. Mit ihm in Beziehung sein, kann – das ist die Tradition des jüdischen Gesetzesdenkens – nur, wer sich und sein Leben von allem fernhält, was die Begegnung mit dem absolut Guten und Reinen, dem HEILIGEN – das ist Gott – verhindert. Das wird in der Tradition zeichenhaft in vielen Reinheits-Vorschriften gesehen: Im Buch Levitikus der Bibel in den Kapiteln 17-26 wird die Lebensordnung für Israel als „heiliges und priesterliches Volk“ beschrieben. Wer diese Vorschriften nicht einhält, kann also mit Gott nicht in Verbindung stehen. Das werfen sie Jesus vor und sie hoffen, ihm in diesem zentralen Punkt eine Verfehlung nachzuweisen.
Grundsätzlich hält Jesus aber an diesen Gesetzesvorschriften fest. Nach den Worten des Matthäusevangeliums beispielsweise weist er ausdrücklich auf die Befolgung des göttlichen Gesetzes hin, wenn er sagt: „Amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota und kein Häkchen des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist. Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein“ (Mt 5,18f). Gleichzeitig kritisiert Jesus allerdings, dass in der gängigen religiösen Praxis das Befolgen der kleinsten Einzelvorschrift im Gesetz so wichtig genommen wird, dass dabei der Sinn für die Bedeutung der Gebote insgesamt aus dem Blick gerät. Jesus will den Menschen die tiefere Bedeutung der Gebote und des göttlichen Gesetzes neu bewusst machen. Die Personenmitte, dafür steht das Herz des Menschen, muss unverfälscht und klar für Gott offen sein, weil auch Gott als Liebe sich dem Menschen so zuwendet. Darum geht es im Grunde in der „Reinheitsfrage“. Genau das ist auch jene Kritik, die immer wieder in der Geschichte des Bundesvolkes von verschiedenen Propheten als Gottes Wort ausgesprochen wurde. So steht bei Micha (Mi 6,8): „Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet. Nichts weiter als das: Recht tun, Güte und Treue lieben und in Ehrfurcht den Weg gehen mit deinem Gott.“ Und bei Ezechiel (Ez 36,26-27) heißt es: „Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch. Ich lege meinen Geist in euch und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt.“
Die Befolgung äußerlicher Vorschriften allein bewirken keine Gerechtigkeit und keine Liebe. Der Weg Jesu: Er selbst taucht ein in die schmutzige Wirklichkeit dieser Welt, um die innere Zerrissenheit in uns Menschen und die Unversöhntheit der menschlichen Wirklichkeit wieder in Einklang zu bringen mit dem Willen Gottes. Er macht klar: Es liegt an unserem Handeln, unser Herz – also das Zentrum unseres Seins – selbst so „rein“ zu halten, dass faule Kompromisse oder doppelbödiges Denken und Handeln und all das, was „böse“ sein kann uns nicht in unserer Existenz vergiften oder verschmutzen und so Gott entfremden (vgl. Mk 7,21-23).
Wer in seinem Inneren sich dem Dunkel und der Zerrissenheit öffnet, der verliert den inneren Kompass, der wird „unrein“. Wenn dann nach außen so getan wird, als sei doch alles in Ordnung, dann haben wir genau die Heuchelei vor uns, die Jesus kritisiert und bekämpft. Mit Immanuel Kant kann man sagen: „Alles Gute, das nicht auf moralisch gute Gesinnung aufgepfropft ist, ist nichts als Schein und schimmerndes Elend.“ (Vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft.)
Die im Evangelium angesprochene Auseinandersetzung machen uns sensibel für den Umgang mit den eigenen religiös motivierten Moralansprüchen an andere und auch an uns selbst. Sie führen uns ebenso zu einer tieferen Wahrnehmung der Wirklichkeit, in der wir leben. Es bedarf keiner erfundener Horrorgeschichten, wenn man ahnt und spürt, welche Abgründe sich im Menschenherzen auftun können. Je höher der moralische Anspruch, um so tiefer der Fall bei Verfehlungen. Das ist sicher eine der Lehren aus der jüngeren Vergangenheit der Kirche und mancher Amtsträger mit dem Stichwort „sexueller Missbrauch“. Alles Menschliche hat auch seine dunklen und schmutzigen Seiten. Reinigungsbedarf und Umkehr haben wir alle nötig! Wir sollten ebenso immer bedenken, was das Sprichwort sagt: „Wer mit einem Finger auf andere zeigt, zeigt mit mindesten drei Fingern auf sich selbst zurück.“
Im griechischen Text unseres heutigen Evangeliums finden wir in Vers 4 das Verbum „baptizontai“ – „sich reingewaschen haben“ (Mk 7,4). Dieses Wort lässt mich sofort an die Taufe denken. Mit Blick auf Jesu Mahnung und prophetische Kritik dürfen wir uns neu bewusst machen, dass wir durch die Taufe in Bezug auf Gott „reingewaschen“ wurden. All das, was uns auf uns selbst zurückwirft, die Sündenhaftigkeit und der fehlleitende Egoismus wurden abgewaschen, als Gott uns durch das Sakrament als seine Kinder angenommen hat. Wir wurde „eingetaucht“ in die unendliche Liebe Gottes. Wir wurden neu geschaffen in ihm. Seine Liebe begleitet, umgibt und wappnet uns. So können wir, die wir in der Taufe „Christus angezogen haben“ (Gal 3,27) wie es der Apostel Paulus im Galaterbrief sagt, und mit dem Heiligen Geist durch die Salbung mit Chrisam gestärkt wurden, auch wie Jesus selbst eintauchen in diese unsere Welt mit all ihrem Schmutz und ihrer Vergänglichkeit und in ihr das Neue Leben von Gott nach dem Beispiel Jesu wagen. Wir werden sicher nicht immer mit reinen Händen dastehen. Aber vom Herzen her dürfen wir wissen, dass wir umspült sind von der Liebe des dreifaltigen Gottes. Sie reinigt und bindet uns immer neu an ihn. So und nur so sind wir „rein“ in der Verbindung mit Gott.
Seien Sie gesegnet und behütet!
Ihr P. Guido