Predigt zum 19. Sonntag im Jahreskreis (A) – 1 Kön 19, 9a.11-13a u. Mt 14, 22-33
Die Sprache der Bibel vergleicht unser menschliches Leben oft mit einem Weg. Ein Weg, bei dem wir manchmal keinen festen Boden mehr unter den Füßen spüren – wie bei einer Fahrt über das Wasser. Das Boot steht für die von uns geschaffenen Sicherheiten, denen wir uns anvertrauen. Sie können uns tragen, und sie tun es in der Regel auch.
Es kann aber auch – wie es Matthäus erzählt – stürmisch werden. Gefahren türmen sich auf. Das Chaos greift nach uns und will uns hinunterziehen. Dann zeigt sich, wie brüchig unsere selbstgemachten Sicherheiten sein können. Angst überkommt uns. Wir haben das in den letzten Monaten in der Covid19-Pandämie erlebt und stecken noch mittendrin in dieser verwirrenden Bedrohung. Und es gibt noch vieles, das uns ängstigt…
Von Jesus erzählt das Evangelium anderes. Er kommt vom Gebet auf dem Berg. Nachdem er im Mitleid mit den Menschen die Kranken geheilt und ihnen bis hin zur wunderbaren Sättigung der Vielen mit dem Wenigen, das zur Verfügung stand – fünf Brote und zwei Fische – geholfen hat, zog er sich zurück in die Zweisamkeit mit dem himmlischen Vater. Auch er, der dauernd im Bewusstsein der Gegenwart des Vaters lebt, braucht Zeiten, in denen er sich völlig in die Verbundenheit mit dem Vater hineinbegibt. Vom Berg kommt er mit der erneuerten Gewissheit, dass der Vater bei ihm ist und ihn trägt. Das Zeichen, das Bild dafür: Er geht über das Wasser. Das Chaos greift nicht nach ihm. Der Vater trägt ihn. So kommt er auf die Jünger zu. Noch einmal gesagt: Er, der Gottes- und Menschensohn, wird ganz von der innigen Verbundenheit mit Gott getragen. Er ist ganz auf Gott hin durchlässig geworden in dieser Verbindung. Kein Wunder, dass er so den Jüngern fremd erscheint. Sie meinen er sei ein Gespenst und sie schreien vor Angst. „Habt Vertrauen“, ruft er ihnen zu, „fürchtet euch nicht, ich bin es!“ (vgl. Mt 14, 27)
Petrus hält es daraufhin nicht mehr im Boot, in diesem menschlich selbstgebauten Gefährt. Er, der stellvertretend für die Jüngerschar – die Kirche – steht, ahnt die Kraft des Glaubens in Jesus. Er steigt aber nicht einfach aus. Er bittet Jesus darum, auf dem Wasser zu ihm kommen zu dürfen. Und Jesus sagt: Komm! Nur dieses eine Wort. Petrus soll selbst seine Erfahrung mit der tragenden Kraft des Glaubens machen. Und er macht sie. Sein Glaube trägt ihn. Er trägt ihn, solange er auf den Herrn schaut, der ihn ruft. In dem Augenblick, in dem er den Blickkontakt verliert, weil er ihn das aufgewühlte Wasser ablenkt und er den heftigen Wind spürt, in genau diesem Moment beginnt er auch schon unterzugehen. „Herr, rette mich!“, so schreit er in Todesangst. Und die ausgestreckte Hand Jesu ergreift ihn und zieht ihn zu sich empor. Im Boot angekommen, legt sich der Wind. Das Chaos endet… Und die Jünger sehen und begreifen, was Glauben bedeutet. „Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn“ (Mt 14, 33).
Unser Leben ist wie eine Reise. Davon sprechen wir im Bild vom Lebensweg. Es gibt Zeiten, da ist alles ruhig und verläuft rund. Es kann aber auch unruhig werden um uns und ebenso in uns. Da werden wir uns der Brüchigkeit des Bodens bewusst. Eine Lebenskrise, Krankheiten, der Verlust der Arbeit, ein lieber Mensch stirbt… Es ist, als ob wir den Boden unter den Füßen verlieren. Das Gefühl, dass nichts mehr trägt und alles chaotisch an uns reißt, droht einem zu überwältigen. Das kann kritisch werden bis hin zur Verzweiflung. Manchmal aber hilft eine kritische Lebenssituation auch, endlich zu verstehen, dass unser Glaube eine konkrete Hilfe sein will. Dann sieht man, dass ‚Glauben‘ heißt: sich nicht allein den selbstgeschaffenen Lebensgrundlagen anzuvertrauen, sondern dem guten Willen Gottes, der uns, wie es der Prophet Jesaja zu seinem Volk sagt, in seine Hand gezeichnet hat (vgl. Jes 49, 16), auch wenn das in solchen Situationen manchmal schwierig scheint. Christlich glauben heißt, dass wir uns vom Herrn sagen lassen: Fürchtet euch nicht; ich bin es! Ich bin tragend bei euch, ich, der vom Vater kommt, um mit ihm in seiner Kraft immer bei den Menschen zu sein.
Als Christen lassen wir uns das von dem sagen, der selbst in schweres Wasser geraten ist und aus dem Untergang heraus noch nach seinem Gott gerufen hat. Und wir glauben, dass der Vater ihn aus dem Chaos des Todes herausgeholt hat. Das ist die Grundlage der Hoffnung.
Im Grunde ist das, was uns Matthäus in seinem Evangelium mitteilt, eine Ostererzählung, eine Ostergeschichte für unseren Alltag. Sie führt uns vor Augen, wie entscheidend es für unser Leben ist, aus der Beziehung zu Gott zu leben. Wir brauchen die Verbindung zum Herrn, zu Jesus und zum Vater im persönlichen Gespräch, im Gebet. Wir brauchen Momente des Rückzugs in die Zweisamkeit mit Gott, damit unser Glaube lebendig sein kann und im Heiligen Geist wächst und trägt. Wir brauchen Zeiten der Erinnerung an den Tod und die Auferstehung Jesu im Gottesdienst. Wir brauchen all das so sehr wie unsere leibliche Nahrung, weil sonst der Glaube schwindet und wir geistlich sterben. Wenn wir diese Verbindungen abbrechen lassen, wenn wir den Blick auf Jesus verlieren, droht uns das Chaos zu überwältigen und wir gehen unter wie Petrus. Es macht betroffen und traurig, dass vielen Mitchristen auch aus unserer Gemeinde ihre Beziehung zu Gott und zu Jesus gleichgültig geworden ist, so, dass sie ihr Christsein leichtsinnig vernachlässigen oder sogar aufgeben. Klar: Unser Glaube verhindert nicht die Mühsal so mancher Wegstrecke. Er verhindert auch nicht, dass wir in Bedrängnis und Angst geraten. Aber gerade das heutige Evangelium sagt uns, auf wen wir schauen sollen und von wem die tragende Kraft des Glaubens zu uns kommt. Wir müssen begreifen lernen: Wenn wir uns nur auf die selbstgemachten Sicherheiten, auf unsere selbstgebauten Boote verlassen, dann wirbelt uns der Gegenwind durcheinander und die Wellen schlagen über uns zusammen. Starren wir auf die bedrohlichen Wasser, so ziehen sie uns hinunter in den geistlichen Tod. Blicken wir aber auf den, der jedem von uns zuruft: Komm!, dann zieht er uns trotz unseres oftmaligen Kleinglaubens und Zweifels an sich und an sein Herz, und wir erfahren, was es heißt, getragen zu sein. Und wir dürfen wissen: Noch aus dem Untergang des Todes wird er uns herausreißen und die lebensbedrohlichen Mächte werden ihre Kraft verlieren. Denn er, der Gottes- und Menschensohn, er, Jesus Christus, ist die rettende und tragende Hand Gottes für uns.
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido