"Meine Worte werden nicht vergehen" (Mk 13,31)
Das gab es immer und zu allen Zeiten: Situationen oder Entwicklungen, die ängstigen oder gar Weltuntergangsszenarien provozieren. Da braucht man nicht auf Kriege oder Naturkatastrophen allein zu schauen. Politische Problematiken, Klimaveränderungen, wirtschaftliche Niedergänge oder auch Krisen jeglicher Art, persönlich oder auch allgemein, verstärken die Ängste, dass sich die kleine und die große Welt an einem Scheideweg befindet und dass die Gefahr gegeben ist, die falsche Richtung einzuschlagen oder gar in den Abgrund zu stürzen.
Die Gemeinde des Evangelisten Markus war auch von solchen Sorgen bedrängt. Apokalypsen - Beschreibungen des Weltuntergangs - waren damals nichts Besonderes. Die noch kleine Gemeinschaft der Christen damals erlebte die Gefahr hautnah: Der Tempel von Jerusalem war zerstört. Verfolgungen hatten eingesetzt und die Gemeinde stand vor der Frage, wie es mit ihr weitergehen würde. Ausdruck für die Not der Gemeinde sind die bekannten Bilder von der Erschütterung der kosmischen Kräfte: Nichts mehr ist so, wie es sein sollte! Doch das Evangelium hält dagegen: Trotz einer ganz realen Bedrohung werden Spekulationen über das bevorstehende Weltende ausgebremst. Mag die Angst noch so groß sein, die aktuellen Ereignisse sind nicht das Ende und der Untergang. Niemand kennt Tag und Stunde für dieses Szenario, nur Gott allein. Und wenn es dann kommt, so tröstet Markus mit den Worten des Herrn seine Gemeinde, wird dieses Ende für sie bedeuten, dass Christus selbst sie um sich sammelt und sie vollendet vgl. Mk 13,26-27). Ein Trost, der nicht vertröstet, sondern Hoffnung macht. Zugleich aber muss mit dem Druck umgegangen werden. So wird in den Worten Jesu Verheißung, Trost und Hilfe für die konkrete Situation, wenn er sagt: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen“ (Mk 13,31).
Auf diese Worte des Herrn sind wir Christen damals und heute ebenso verwiesen, wenn es darum geht, Zeiten von Not und Angst zu überstehen und die Hoffnung nicht zu verlieren. Worte aber scheinen fast zu schwach zu sein. Worte scheinen nichts zu bewirken, wenn es etwa darum geht, Gewalt zu verhindern. Wir sehen es in der Gewalt der Kriege seit Jahren schon in der Ukraine, im Nahen Osten, Israel, Palästina, Libanon oder auch im Kongo, im Sudan, im Jemen und an vielen anderen Orten. Die Liste der menschenverachtenden Zerstörung des Lebens ist lang… Auf der anderen Seite haben Worte auch dämonische Kräfte. Es sind das dann oft zerstörerische Worte. Wir kennen sie und wir kennen Menschen, die sie aussprechen. –
Die Lyrikerin Hilde Domin nennt sie in einem Gedicht die „Schwarzen Worte“, die unaufhaltsam ihr Ziel finden.
Unaufhaltsam
Das eigene Wort,
wer holt es zurück,
das lebendige
eben noch ungesprochene
Wort?
Wo das Wort vorbeifliegt,
verdorren die Gräser,
werden die Blätter gelb,
fällt Schnee.
Ein Vogel käme dir wieder.
Nicht dein Wort,
das eben noch gesagte,
in deinem Mund!
Du schickst andere Worte
hinterdrein,
Worte mit bunten, weichen Federn.
Das Wort ist schneller,
das schwarze Wort.
Es kommt immer an,
es hört nicht auf, anzukommen.
Besser ein Messer als ein Wort.
Ein Messer kann stumpf sein.
Ein Messer trifft oft
am Herzen vorbei.
Nicht das Wort.
Am Ende ist das Wort,
immer
am Ende
das Wort.
Hilde Domin
aus: Gesammelte Gedichte, (c) S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 1987, S. 253
Schwarze Worte finden immer ihr Ziel. Selbst wenn man wünschte, es zurückholen zu können: Es ist vergeblich. Entschuldigungen gehen fehl. Jede und jeder hat schon schmerzhaft erlebt, wie Beziehungen durch solche Worte zerstört wurden. In den von Menschen inszenierten Apokalypsen spielen schwarze Worte oft eine übermächtige Rolle. Das Macht-Wort, das oft überlegen scheint, wird dem mühsamen Ringen um das richtige Wort vorgezogen.
Wenn Jesus auf seine Worte verweist, dann gibt er eine andere Richtung vor. Jesus spricht kein „schwarzes“ Wort. Vielmehr ist sein Wort so, dass Kranke gesund werden und neues Leben möglich wird. Er sagt Worte, die die Sünder zum Mahl holen und neue Beziehungen ermöglichen. Er findet Worte, durch die traurige Menschen wieder Hoffnung schöpfen. Er selbst ist das Wort, in dem Gott sich auf uns Menschen hin ausgesprochen hat. „Meine Worte werden nicht vergehen“. Es zeigt sich, dass Gottes heilendes Wort das letzte Wort sein wird und die schwarzen Worte und die Gewalt sich totlaufen werden. Wir sind eingeladen, seinem Wort zu vertrauen.
Vielleicht haben sie schon einmal erfahren, wie ein Wort, ein Gebet, ein bestimmter Text des Evangeliums in dunklen Zeiten getragen hat, wie wir Hilfe erfuhren, wenn die eigenen Worte nichts mehr halfen. „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt!“ (Mt 28,20) sagt der Herr.
Seien Sie in diesem Wort getröstet und behütet! Ihr P. Guido