Predigt zum Jahresschluss 2022 – Gal 4, 4-7 und Lk 2, 16-21
Der Abschluss eines Jahres ist mit vielen Stimmungen verbunden. Es sind meist ganz verschiedene. Eine Empfindung ist allerdings immer gleich: Das Bewusstsein des Vergehens und der Endlichkeit. Das ist gleicherweise ein ganz menschliches wie auch geistliches Thema. Der Psalm 90 (Gotteslob Nr. 50) spricht aus, was der Beter in seinem Empfinden angesichts dieser Thematik Gott sagen möchte. Hören wir auf die ersten Verse des Psalms:
Herr, du warst unsre Zuflucht * von Geschlecht zu Geschlecht.
Ehe die Berge geboren wurden, die Erde entstand und das Weltall, * bist du, o Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Du lässt die Menschen zurückkehren zum Staub * und sprichst: „Kommt wieder, ihr Menschen!“
Denn tausend Jahre sind für dich wie der Tag, der gestern vergangen ist, * wie eine Wache in der Nacht.
Von Jahr zu Jahr säst du die Menschen aus; * sie gleichen dem sprossenden Gras.
Am Morgen grünt es und blüht, * am Abend wird es geschnitten und welkt.
Denn wir vergehen durch deinen Zorn, * werden vernichtet durch deinen Grimm.
Du hast unsere Sünde vor dich hingestellt, * unsere geheime Schuld in das Licht deines Angesichts.
Denn all unsere Tage gehen hin unter deinem Zorn * wir beenden unsere Jahre wie einen Seufzer.
Unser Leben währt siebzig Jahre, * und wenn es hoch kommt, sind es achtzig.
Das Beste daran ist nur Mühsal und Beschwer, *rasch geht es vorbei, wir fliegen dahin.
Wer kennt die Gewalt deines Zornes * und fürchtet sich vor deinem Grimm?
Voller Vertrauen beginnt der Beter dieses Textes. Dann ist er plötzlich in einer äußerst schwermütigen Klage über die Vergänglichkeit der Natur und die Vergeblichkeit menschlichen Handelns. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, klagt er vor Gott. Und er geht sogar so weit, dass er das negative Erleben als Folge von Gottes Zorn über das Schuldigwerden interpretiert: „...all unsere Tage gehen hin unter deinem Zorn.“ (Vgl Ps 90, 7). Wenn man meint, es sei nun genug der Klage, dann setzt er noch eins drauf: „das Beste am Leben ist nur Mühsal und Beschwer.“ (Vgl. Ps 90, 11).
Damit, liebe Schwestern und Brüder, charakterisiert der Beter dieser Worte die dunkle und elende Seite der Welt sehr treffend. Wenn wir heute mit dem Blick auf die Situation dieser Tage, mit der Klimaproblematik, mit Hass, Terror und Krieg schauen, mit dem Leid unzähliger Menschen und dem Machtstreben ignoranter und menschenverachtender Despoten, dann scheint es fast zwangsläufig richtig, das Fehlverhalten der Menschheit auch im Zusammenhang mit Gottes Gericht zu sehen. Bezogen auf den Psalm wendet sich aber genau hier die Haltung des Beters: Er bittet nicht, wie wir es vielleicht erwarten würden, um Vergebung für das Fehlverhalten oder um Verlängerung der Lebenszeit, sondern er bittet um Klugheit, damit er lernen kann mit seiner Zeit und dem anvertrauten Gut richtig umzugehen und gleichzeitig bittet er um Gottes Nähe und Güte, um seinen Segen. Hören wir hin:
Unsere Tage zu zählen, lehre uns! * Dann gewinnen wir ein weises Herz.
Herr, wende dich uns doch endlich zu! * Hab Mitleid mit deinen Knechten!
Sättige uns am Morgen mit deiner Huld! * Dann wollen wir jubeln und uns freuen all unsere Tage.
Erfreue uns so viele Tage, wie du uns gebeugt hast, * so viele Jahre, wie wir Unglück erlitten.
Zeig deinen Knechten deine Taten * und ihren Kindern deine erhabene Macht!
Es komme über uns die Güte des Herrn, unseres Gottes! / Lass das Werk unsrer Hände gedeihen, * ja, lass gedeihen das Werk unsrer Hände!
Nun, ich teile die Schwermut des Psalmbeters nicht. Ich teile auch nicht die Klage über die Vergeblichkeit allen Tuns. Aber es ist beeindruckend, wie er seiner Endlichkeit ins Auge sieht, ohne sie zu beschönigen. Und ich finde es bemerkenswert, dass er sie im ganz engen Zusammenhang mit seinem Glauben an Gott betrachtet. Genau da steht er nämlich im absoluten Kontrast zum Umgang mit Zeit und Endlichkeit, wie es heutzutage bei vielen unserer Zeitgenossen ist. Auch wir können die Zahl unserer Tage nicht vergrößern trotz allen Fortschritts und Fortschrittsglaubens. Nur sind viele auf einen Trick verfallen, wie man die Begrenztheit der Zeit überwinden könnte: Indem man das Lebenstempo beschleunigt, noch schneller arbeitet, noch mehr kommuniziert, noch mehr konsumiert, noch mehr einkauft. Indem man in immer kürzerer Zeit noch mehr unterbringt, mehr isst, mehr erlebt, mehr kommuniziert, noch mehr mobil ist und größere Entfernungen überwindet, meint man, die begrenzte Zeit subjektiv zu verlängern. Aber das ist ein gewaltiger Irrtum! Damit schafft man nur einen permanenten Irrweg, die menschliche Endlichkeit zu überwinden. Die Folgen kennen wir nur zu gut: Wer so lebt, steht im permanenten Stress, in dauernder Ruhelosigkeit und unter dem Druck nur ja nichts zu versäumen. Das Leben ist aus dem Gleichgewicht. Burnout und Depressionen folgen oft nach...
Ich lerne beim Beter des Psalms, dass ich in meine menschliche Endlichkeit einwilligen muss, wenn ich überhaupt menschlich leben will. Das ist ganz allgemein betrachtet und auch in Glaubensferne absolut richtig. Als Christ allerdings darf ich glaubend auf die Liebe und Nähe dessen hoffen, der allein unendlich ist, auf Gott. Man könnte es auch so sagen: Wer sich auf diesen Gott einlässt, der wird begreifen und klug lernen, dass das Werk der Hände, das in Gott getan wird, von eben diesem Gott aus Liebe im Guten vollendet wird in Dauer und Lebensfülle. In der Nähe und Zuwendung Gottes sieht der Beter die Lösung seiner Probleme. Er spricht es aus: Von Gott her kann er Freude und Gelassenheit erfahren. „Unsere Tage zu zählen, lehre uns“ (Ps 90, 12). Er fordert auf, im Heute zu leben. So kann man mit seinen Grenzen besser zurechtkommen. Das halte ich für eine gute Art, in die Zukunft zu gehen.
Wir dürfen zu Gott sagen: Meine Zeit steht in deinen guten Händen. Lass mich, Herr, dankbar sein für jede Stunde, für jede Minute, für alle Zeit, die ich aus deiner Liebe annehmen und weitergeben darf. So komme über uns die Güte des Herrn, unseres Gottes! Lass das Werk unserer Hände gedeihen, ja, lass gedeihen das Werk unserer Hände! Amen
Ich wünsche uns den Segen Gottes für das Neue Jahr 2023!
Erbitten wir Frieden für alle Menschen und bleiben wir in der Liebe behütet! Ihr P. Guido