Kraft aus der Wüste ?
1.Fastensonntag (B) Gen 9,8-15 und Mk 1,12-15
Im Ablauf der Geschichte Jesu, so wie der Evangelist Markus sie sieht und aufgeschrieben hat, halten wir inne und schauen zurück. Nach der Taufe Jesu am Jordan (Mk 1,9-11) steht Jesus an der Schwelle zu seinem Weg. Um diese Schwelle geht es. Sie markiert die Grenze, die das verborgene Leben Jesu und seinen Weg in die Öffentlichkeit voneinander trennt. Kurz und knapp sind die Worte des Evangelisten. Aber im Blick auf Jesus und seinen Auftrag leuchtet hier die ganze Glaubensgeschichte des Gottesvolkes Israel auf.
Der Geist treibt Jesus in die Wüste (vgl. Mk 1,12).
Die Wüste, das ist nicht nur ein lebensfeindlicher Ort, es ist der Raum, in dem auf vierzigjähriger Wanderung, die aus der Unterdrückung Ägyptens befreite Menschenschar zum Gottesvolk geformt wurde. Die Wüste ist der Ort und Raum, in dem im Hin und Her von Hören und Gehorchen falsche Haltungen, Wünsche und Vorstellungen sterben mussten, um Bund und Gemeinschaft mit dem zu gestalten, der sich auf diesem Weg als befreiende Kraft und Du einer innigen Beziehung erwiesen hat: Mensch und Gott gehen eine Verbindung ein als Zeichen für alle Menschen. In Jesus ist diese Verbindung ganz und unerhört neu. „Du bist mein geliebter Sohn…“ (Mk 1,11b), so hatte es die Stimme vom Himmel am Jordan gesagt.
„Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt“ (Mk 1,13a). Versuchung… Das bezieht sich nicht auf Kleinkram. Bei der Versuchung Jesu geht es um das freie Ja oder Nein zu dem, wofür Gott einen jeden bestimmt hat, also darum, ob Gott in unserem Leben die Hauptrolle spielt oder nur eine Nebenrolle. Das ist auch die entscheidende Versuchung Israels. Immer wieder kommt es im Volk auf seinem Weg durch die Wüste zum unverhohlenen Bedauern, sich auf den Gott des Auszugs überhaupt eingelassen zu haben. Besser Sklave an den Fleischtöpfen Ägyptens sein als in der Wüste zugrunde gehen (Ex 16,3). Das Volk ist versucht, seinen Glauben aufzugeben und dem Gott seiner Freiheit die Gefolgschaft aufzukündigen.
Daran denkt auch der Evangelist Markus, wenn er schreibt, dass Jesus in der Wüste versucht worden ist. Das sagt er als Botschaft auch an alle, die sein Evangelium lesen oder hören, damals und heute. Gott legt Wert auf die freie Zustimmung des Menschen. Eben dieses Ringen um Zustimmung nennt Markus Versuchung. Dabei steht entsprechend der Vorstellung der Zeit Satan für die Mächte, die Jesus von der Entscheidung für Gott abzuhalten trachten. Und das hat mit der Botschaft zu tun, die ihm aufgetragen ist: Gottes Nähe, sein Reich zu verkünden. Der Satan „versucht“, Jesus den Boden für seine Sendung unter den Füßen wegzuziehen. Es geht nicht um diese oder jene Verfehlung, es geht ums Ganze, es geht um die Frage, ob Gott zu vertrauen ist oder nicht. Gewinnt einer wirklich das Leben, wenn er es an Gott verliert oder ist es nicht doch besser, das Leben für sich selbst festzuhalten und ohne Gott seinen Weg zu gehen? Wir kennen diese Frage.
Der Ort der Versuchung, also wiederum die Wüste, mag das Gesagte verdeutlichen. In der „Wüste“ gibt es keine Konsumgüter, die einen von der eigenen Entscheidung abhielten. In der Wüste gibt es auch keine Lehrer, keine religiösen Autoritäten und keine öffentliche Meinung, die einem die eigene Entscheidung abnähmen. Da ist jeder ganz mit sich allein, und die Versuchung liegt nahe, alle hohen und hehren Ziele aufzugeben und sich dem allgemeinen Trend der Welt anzuschließen. Markus gestaltet deshalb die Versuchung Jesu nicht wie Matthäus (Mt 4,1-11) und Lukas (Lk 4,1-13) in drei Schritten aus: Steine zu Brot zu machen, sich hinabzustürzen von der Tempelzinne und alle Reiche der Welt zu besitzen. Es kommt ihm auf die Grundentscheidung an, auf die Entscheidung für oder gegen Gott. Wenn Jesus daran festhält, Gottes Sohn zu sein, dann wird er auch an der Botschaft festhalten.
Genau hier kommen wir ins Spiel und deshalb ist dieses Evangelium auch am 1. Fastensonntag sozusagen als Leitlinie für die Fastenzeit vorgesehen. In der Taufe sind wir hineingenommen worden in Christus, sind wir Töchter und Söhne, Kinder Gottes geworden. Uns ist heute in der Nachfolge Jesu die Botschaft vom Gottesreich anvertraut. Gott anzugehören im Leben wie im Tod ist - wie bei Jesus - Geschenk und Auftrag zugleich. Da kann es schon zur Versuchung werden, sich darauf lieber nicht einzulassen. Da ist es Versuchung, nicht mehr zu glauben. Dabei muss es sich nicht gleich um einen dramatischen Glaubensverlust handeln. Viel größer ist die Gefahr, dass der Glaube mehr und mehr an Lebendigkeit einbüßt, dass die Hoffnung schwächer wird und die Liebe sparsamer. Es ist ein fataler und oft schleichender Prozess der Verdunstung. Deshalb sprechen wir mit der Vater-unser-Bitte „Führe uns nicht in Versuchung!“ im Grunde aus: Unser Vater im Himmel, gib, dass wir den Glauben nicht verlieren; lass nicht zu, dass uns die Hoffnung abhandenkommt; bewahre uns davor, dass wir harte Herzen haben, die nicht mehr lieben.
Die Versuchung, nicht mehr zu glauben, hat die Gestalt, seine Ideale zurückzunehmen und sich einzurichten in der Welt, wie sie nun mal ist; nicht mehr dem Gerechtigkeit und Frieden schaffenden Kommen Gottes in unsere Geschichte zu glauben. In der Konsequenz kann diese Rücknahme des Vertrauens in Gottes Möglichkeiten bedeuten, dass wir Gott auch das Leben im Tode nicht mehr zutrauen und nur noch das Leben vor dem Tode suchen.
Öffnen wir uns deshalb Jesu Wort von Gott. Denn es besagt, dass sein Vater dabei ist, sich gegen alle Mächte durchzusetzen, die das Leben behindern. Das ist das Paradies. Deshalb lebt Jesus in der Wüste mit den wilden Tieren und die Engel dienen ihm (vgl. Mk 1,13b).
Sagen wir Gott: Vater im Himmel, ich glaube dir, hilf meinem Unglauben (vgl. Mk 9,24); steh mir bei gegen die Versuchung, nicht mehr zu glauben; schenk meinem schwachen Glauben auf dem Weg nach Ostern neue Zuversicht, gib meiner zögerlichen Hoffnung den weiten Horizont deines Sieges über den Tod, erfülle meine vom Kleinglauben bedrohte Liebe mit der Kraft deiner Hingabe.
Ihnen eine gesegnete Fastenzeit und bleiben Sie behütet! Ihr P. Guido