
Predigt zum 25. Sonntag im Jahreskreis – A – Jes 55, 6-9 u. Mt 20, 1-16
Wie funktioniert Gerechtigkeit? Etwa wie ein Rechenbeispiel? Leistung bedeutet Gegenleistung, Gerechte Entlohnung bedeutet dann, dass die Gegenleistung der Leistung entsprechend sein muss. Das ist auch in Ordnung! Und es wäre eine große Sache, wenn es in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich so funktionieren würde. Wir fragen also: Was steht den Arbeitern der ersten Stunde zu? Und: Was jenen der letzten Stunde? Nach unserer menschlichen Rechnung müssten wir wie der Fragende im Evangelium sagen: Auf jeden Fall gebührt dem Ersten mehr als dem Letzten. Und das halten wir dann für gerecht.
Nun haben wir schon im Evangelium des vergangenen Sonntags erfahren, dass der Maßstab Gottes ein anderer ist: Da war die Frage nach der Vergebung. „Siebenmal?“ fragt Petrus. „Siebenundsiebzigmal“ die Antwort Jesu…
Kehren wir zurück zur Anfangsproblematik: Geht es Jesus überhaupt um die Frage nach „Gerechtigkeit“ oder gerechter Entlohnung?
Zu Beginn des Evangeliums heute hieß es: „Jesus erzählte seinen Jüngern das folgende Gleichnis: Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer …“ (Mt 20,1). Gott und sein Reich ist das Thema. Jesus sucht Arbeiter für seinen Weinberg. Für ihn zählt, dass jeder sich einbringt mit ganzer Kraft für dieses Reich. Gott will gut sein. Zu jedem. Der Tageslohn, der „eine Denar“, das ist die Ewigkeit, der Himmel, ist die Gemeinschaft mit Gott, das Himmelreich.
Die Schriftstellerin Tania Blixen (Karen Christence von Blixen-Finecke 1885-1962) erzählt in ihrem kleinen Roman „Babettes Fest“ von einer religiösen Gemeinschaft in Norwegen, die ein überaus strenges Bild von Gott verinnerlicht hat. Eine junge Französin, die im Dorf der Gemeinschaft landet, sorgt nun mit ihren Kochkünsten dafür, dass ein gemeinsames großzügiges und opulentes Mahl die strengen Gläubigen verändert. Im Mittelpunkt des Mahls steht die Rede eines Generals. Seine Worte öffnen den Blick auf den Glauben an die unbegrenzte Gnade Gottes.
Ich möchte einige Sätze aus dieser Rede zitieren:
„Der Mensch, meine Freunde“, sagte General Löwenhjelm, „ist schwach und töricht. Uns allen ward kundgetan, dass wir Gnade finden sollen in der Schöpfung. Aber in unserer menschlichen Torheit und Kurzsichtigkeit bilden wir uns ein, die göttliche Gnade sei etwas Begrenztes, und das macht uns zittern …“ Nie im Leben hatte der General verkündet, dass ihn etwas zittern mache; er war ehrlich erstaunt und sogar schockiert, als er sich mit eigener Stimme diese Feststellung treffen hörte. „Wir zittern bevor wir unsere Wahl im Leben treffen, und wenn wir sie getroffen haben, zittern wir aufs Neue, aus Furcht, dass wir falsch gewählt haben. Aber es kommt der Augenblick, da wir sehend werden und erkennen lernen, dass Gottes Gnade unbegrenzt ist. Gottes Gnade, meine Freunde, will nichts weiter von uns, als dass wir vertrauensvoll ihrer harren und sie in Dankbarkeit hinnehmen. Die Gnade, ihr Brüder, stellt keine Bedingungen und sondert keinen von uns aus der Reihe heraus; die Gnade nimmt uns alle an die Brust und verkündet uns Generalamnestie. Sehet an! Was wir uns erwählet haben, das wird uns geschenkt, aber auch, was wir von uns wiesen, wird uns gleichermaßen zuteil. Ja, eben das, was wir verworfen haben, ergießt sich über uns im Überfluss. Denn Erbarmen und Wahrheit sind einander begegnet; Rechtschaffenheit und Seligkeit sind zusammengekommen in einem Kuss“. (Tania Blixen, Babettes Fest, Manesse Verlag, Zürich 1989, S.65f)
Es geht bei unserem Gleichnis nicht um irgendeinen Handel mit Arbeitskräften, also nicht um die Frage nach gerechter Entlohnung auf dem Arbeitsmarkt. Das Gleichnis ist vielmehr ein Bild für Gottes Handeln. Es geht hier um die Gnade, also um die liebevolle Zuwendung Gottes, die er jedem und jeder schenken will und in Jesus schenkt.
Ich denke an ein Wort des Hl. Bernhard von Clairvaux, der danach fragt, wie groß das Maß der Liebe Gottes ist. Und er antwortet selbst darauf: „…ohne Maß!“ Genau darum geht es. Jesus verkündet uns diese unendliche Gnade und Liebe Gottes. Seine Liebe, seine Vergebung, seine Barmherzigkeit steht vor allem. Ohne sie wären wir nicht, gäbe es uns nicht, können wir nicht leben! Ich greife den Gedanken des Generals Löwenhjelms auf. Wir sehen das Anders-sein Gottes und meinen wir müssten vor ihm in Angst leben. Dabei ist er und seine Liebe immer größer als wir es uns vorstellen können … so sagt es der Hl. Ignatius von Loyola – „Deus semper major“. Wir dürfen dieser Liebe vertrauen. Das ist die unabweisbare Botschaft Jesu, die er gelebt und durch seinen Kreuzestod und seine Auferstehung uns ins Herz gelegt hat. Gottes Wege und Gedanken mögen anders und uns unbegreiflich sein, wie es der Prophet Jesaja sagt. Sie sind uns nicht verfügbar und unserer rechnenden und berechnenden Haltung entzogen. Übrigens: Kann, wer wirklich liebt überhaupt die Liebe berechnen und den oder die Geliebten kalkulierbar machen?
Dass er uns kennt und bei unserem Namen ruft – es ist sein Geschenk!
Dass uns unsere Schwächen und unsere Fehler vergeben sind – es ist sein Geschenk!
Dass wir mit ihm an der Vollendung der Welt arbeiten können – es ist sein Geschenk!
Die entscheidende Frage, die ich den Worten Jesu entnehme: Wie antworte ich, wie antworten wir auf Gottes Liebe? „…seine Liebe ist ohne Maß“ bezeugt der Hl. Bernhard.
Seien Sie gesegnet und behütet in der Liebe Gottes! Ihr P. Guido