Predigt zum 3. Fastensonntag – C – 1 Kor 10,1-6.10-12 und Lk 13,1-9
Da berichten – wir hörten es eben im Evangelium – wahrscheinlich jüdische Pilgerinnen und Pilger von einem grausamen Gemetzel, das Pilatus im Jerusalemer Tempel hat anrichten lassen. Da spricht Paulus zu der Gemeinde in Korinth von den Murrenden auf dem Wüstenweg des Volkes Israel und ihrem Schicksal. Da erleben wir in unseren Tagen noch mitten in der Corona-Pandemie den Terror und Schrecken des Krieges in der Ukraine. Kein Wunder, dass in uns wie auch in den Menschen zur Zeit Jesu oder auch eines Paulus die Frage hochkommt: Wie kann Gott all das zulassen? Wer ist da schuldig? Ist solches Geschehen blindes Schicksal oder Zufall?
Schauen wir auf das Evangelium, dann müssen wir nüchtern feststellen: Auch Jesus, an den eben diese Fragestellung herangetragen wird, gibt hier keine Antwort, jedenfalls keine direkte. „Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt“ (vgl. Lk 13,3). So antwortet Jesus. Das, was er sagt, mag die Menschen damals, mag auch uns heute zunächst einmal enttäuschen und verstören, vielleicht sogar gegen Jesus und gegen Gott aufbringen. Kann denn das sein, dass Unglücksfälle, zudem noch verbunden mit einem religiösen Sakrileg, nicht die logische Konsequenz eines sündhaften und schlechten Lebenswandels sind? Jesus verschärft die ganze Angelegenheit sogar noch: Wir laufen alle Gefahr, genauso umzukommen. Ganz schön deprimierend, das Ganze... Aber wie so oft bei den Sprüchen Jesu, die zunächst so an unserer Fragestellung vorbeigehend und auch schroff erscheinen, zeigt sich bei genauerem Hinsehen, wie er die Dinge in einem anderen Licht sieht und neue Perspektiven zu eröffnen vermag. Welche Absichten stecken denn tatsächlich hinter den Fragen? Geht es da um ein besseres Erkennen und Verstehen Gottes, um festen Glauben, unerschütterliche Hoffnung, treue Liebe?
Nun, wenn der Tod ein Zeichen dafür wäre, dass man von Gott gerichtet oder verworfen wird, was würde das dann für Jesus selbst heißen? Hat er denn den schrecklichen Tod am Kreuz verdient? Wir merken: Das kann eigentlich nicht sein. Durch seine scheinbar ausweichende Antwort geht Jesus auf den verborgenen Kern der Frage ein und sagt: Kannst du denn Gottes Tun beurteilen? Maße dir nicht an, dich über Gott stellen zu wollen! Die Frage hat noch einen zweiten und wenig frommen Kern. Es sind naturgemäß immer nur die Überlebenden solcher Katastrophen, die fragen können: War das nicht eine verdiente Strafe Gottes, von der die Opfer getroffen wurden? Und, unausgesprochen der Rückschluss: Uns hat es ja nicht getroffen, also sind wir doch die moralisch Höherstehenden, oder...? Das ist Hochmut! Wollen wir denn Gott für die eigenen Zwecke benutzen, indem wir denken: Wir sind die Guten, folglich muss er doch auch auf unserer Seite stehen. Noch tiefer gesehen, steht hinter dieser Haltung ein Mangel an Glaube und Vertrauen. Man traut lieber sich selbst und zieht Gott allenfalls als nützlichen Helfer mit ins Kalkül. Gott aber ist wohl treu und zuverlässig, aber mit ihm eine Rechnung aufmachen und ihn so für sich vereinnahmen, das klappt nicht.
Mehr noch: Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Tod und Geliebt- oder Verworfen-Sein von Gott. Das Gottesbild, das Jesus uns vermitteln will, ja, aus dem er lebt und das er verkörpert, ist völlig anders. Keine Umweltkatastrophe, keine Pandemie, kein Krieg, all die vielen schrecklichen Dinge, die man oft genug „Geißel Gottes“ nannte, oder als „gerechte Strafe“ empfunden hat, ist vor Gott richtig und entspricht seiner Wahrheit. Wie formuliert es Jesus? „Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt“ (vgl. Lk 13,3). Damit trifft er den entscheidenden Punkt: Es geht darum, dass wir alle hineingezogen sind in die Fesseln des Bösen. Wir sind zutiefst „erlösungsbedürftig“, will sagen, wir müssen befreit werden von den Fesseln der Sünde. Niemand kann vor Gott behaupten, alles in seinem Leben wäre richtig und wahr, keiner kann sagen, dass er niemand verletzt und immer nur aus Liebe gehandelt hätte. Bis heute ist es doch so, dass sich die Menschheit im Großen und Ganzen so verhält, dass sie nicht dem Leben dient. Bis heute ist es doch so, dass wir Kriege nicht verhindern, weil wir meist zu egoistisch denken. Bis heute ist es doch so, dass Minute für Minute Menschen verhungern, weil mit der Erde Schindluder getrieben wird, weil wir mit unserem Streben nach dem „immer mehr Haben-Wollen“ meinen, wir könnten unsere Sehnsüchte heilen. Wann endlich, so möchte ich fragen, werden wir so weit sein, gelingende Beziehungen untereinander aufzubauen und nicht zu zerstören? Offensichtlich gelingt es uns nicht aus eigener Kraft, Frieden zu schaffen, das Leben zu wählen und aufrichtig zu lieben.
„Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch nicht bekehrt“ (vgl. Lk 13,3). Die Worte Jesu, die uns Lukas so schonungslos vor Augen hält, machen deutlich, dass der Mensch nur dann dem Verderben entgeht, wenn er den Weg Gottes geht, wie ihn Jesus gegangen ist. Diesen Weg zu gehen heißt, sich zuerst und immer neu Gott zuzuwenden. Das ist gemeint, wenn von Umkehr und Bekehrung die Rede ist. Der Gott, den Jesus verkündet, ist nicht der „Rächer-“ oder „Buchhaltergott“, der nur darauf wartet, uns unser mieses Verhalten heimzuzahlen. Nein, er ist der, der Geduld mit uns hat und uns – so lese ich es aus dem Gleichnis mit dem fruchtlosen Feigenbaum – auch gegen besseres Wissen noch mal eine Chance gibt (vgl. Lk 13,8f). Der Gott, der der Vater Jesu ist, ist der „Ich bin da mit dir in deiner Geschichte und deinem Leben“. Er lässt sich von uns nicht vereinnahmen und lässt es nicht zu, dass wir seine Liebe kaputtmachen. Er will mit uns und in uns leben, damit wir erkennen, wo wir gefesselt und geknechtet sind in unseren Egoismen, wo wir verstrickt sind in Schuld und verletzt und kleingehalten durch andere und uns selbst. Und so öffnet er Wege aus der Gefangenschaft, denn er hat in Jesus, der „uns in allem gleich wurde außer der Sünde“ (vgl. Phil 2,5-11), die Ketten des Bösen und des Todes zerrissen. Jesus ist für uns durch seine Lebenshingabe zum Dünger und zur Lebenskraft geworden, damit wir Frucht bringen, die vor Gott recht ist. Uns steht es zu, das Gute zu tun, solange wir Zeit haben (vgl. Gal 6,9).
Bleiben wir im Gebet verbunden behütet und gesegnet! Ihr P. Guido