Predigt zum 12. Sonntag im Jahreskreis – C – Gal 3,26-29 und Lk 9,18-24
Am Dienstag der vergangenen Woche fanden sich in der Rheinzeitung zwei Buchvorstellungen (Rheinzeitung v. 14.06.2022 – S. 3+4). Der eine Buchautor ist Pfarrer im Ahrtal, der andere war Generalvikar in der Diözese Speyer. In ihren Büchern beschreiben beide - so die Rezessionen in der Zeitung - ihre Erfahrungen und ihr Erleben als Priester und Seelsorger in der katholischen Kirche: Der eine in den Herausforderungen der Flutkatastrophe im vergangenen Jahr in seiner Gemeinde Bad Neuenahr-Ahrweiler, der andere mit Blick auf seine persönlich wachsenden Zweifel und Entfremdung und der letztlichen Abkehr von seiner Kirche in ihrer Gestalt von heute. Von beiden kann man sagen, dass sie ihr Tun und ihr Leben als Christen und Priester im Ausnahmezustand betrachten. Sie spiegeln damit ein Bild der Wahrnehmung von Kirche und ihren Amtsträgern wie es sicherlich heutzutage bei vielen, auch bei Katholiken, vorhanden ist. Es gäbe sicher noch etliche Beispiele für die Wahrnehmung von Kirche heute, die ich hier noch anführen könnte. Aber die kennen sie auch. –
„Für wen halten mich die Leute?“ So fragt Jesus nach dem Evangelisten Lukas die Jünger.
Auch bei den Evangelisten Matthäus und Markus finden wir diese Frage Jesu (vgl. Mt 16,13-20 und Mk 8,27-30). Dort ist Jesus mit den Jüngern unterwegs bei Cäsarea Philippi als er sie fragt. Bei Lukas ist Jesus in der Einsamkeit des Gebetes mit den Jüngern zusammen. Das ist für Lukas wichtiger als eine Ortsangabe, macht er doch so die geistliche Zielrichtung der Frage deutlich, denn es geht weniger um die Meinungen „der Leute“, sondern um die Frage, die Jesus dann stellt: „Ihr aber für wen haltet ihr mich?“ (Lk 9,20). Jesus fragt aus seiner Verbindung von Gott her, aus dem Gebet, aus dem Raum seiner Beziehung und Liebe mit dem Vater in den Raum der Freundschaft mit den Jüngern hinein. Eigentlich könnte man annehmen, dass es für Jesus eher eine rhetorische Frage ist, die er den Jüngern stellt. Aber so ist es nicht. Die Antwort, die Petrus bei Lukas gibt – „Du bist der Messias (Christus) Gottes“ – unterscheidet sich wiederum von den anderen beiden Evangelisten. Bei Matthäus sagt er: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16) und bei Markus: „Du bist der Messias!“ (Mk 8,29). Diese Aussagen haben im Zusammenhang der einzelnen Texte alle ihren Sinn. Letztlich ist aber entscheidend: Bei allen Evangelisten verbietet Jesus den Jüngern, diese Erkenntnis einfach so weiterzusagen (vgl. Mt 16,20; Mk 8,30; Lk 9,21). Das heißt: Man muss sich davor hüten, etwas so Wichtiges zu zerreden, weil es eine tiefe Bedeutung für jeden hat!
Und was ist die Bedeutung und warum wird in den Evangelien diese Frage so dezidiert behandelt? Zum einen wird aufgezeigt, wie sehr auch zur Entstehungszeit der Texte der Evangelien also noch in den Jahren und Jahrzehnten nach dem Tod und der Auferstehung Jesu das Gespräch um das Geheimnis und die Faszination seiner Person geführt wurde. Zum anderen zeichnet sich ab, welche Bedeutung der Raum des Zusammenseins mit Jesus und ebenso der Raum der Freundschaft mit ihm für das Selbstverständnis der Jünger und damit der entstehenden Kirche haben. Nicht wer er war, sondern wer erist für die Jünger und so für uns als Christen, das allein ist für unsere Identität als Glaubende und für die Gemeinschaft der Kirche entscheidend. So wie die Jünger im Raum der Freundschaft mit Jesus von der wachsenden Vertrautheit mit ihm in immer neuen Worten und Geschichten, wie sie nur die Liebe eingibt, erzählen, so gewinnen sie immer tiefere Einsichten in ihn. Da wurde und wird bis heute ein Prozess des Erkennens in Gang gesetzt, der noch weit über uns hinausreichen wird.
„Für wen haltet ihr mich?“ – An dieser Frage Jesu entscheidet sich unsere eigene Identität als Christen. Denn nur wenn wir, wenn jeder von uns in seiner ureigenen Berufung und in Verbindung mit dem eigenen Leben, Jesus „identifiziert“, indem wir persönlich seine Frage, für wen wir ihn halten, beantworten, kommen wir als seine Jüngerinnen und Jünger zu uns selbst. Wo wir ihn besser kennenlernen, kommen wir auch dazu, sogar Schwer-Verständliches oder Unannehmbares zu bejahen und als Frohe Botschaft weiterzusagen: Die Ankündigung Jesu etwa, dass er vieles erleiden, dass er verworfen und getötet werden müsse; auch seine beim ersten Hören eigentlich haarsträubende Einladung: „Wer mir nachfolgen, wer hinter mir hergehen will, verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten“ (Lk 9,23f), wobei es dabei weniger um das Sterben und den Tod am Lebensende als um die alltägliche Nachfolge geht und um die gelebte Liebe.
Mit all dem, was bisher gesagt wurde, können wir entdecken: Leben hinter Jesus her, leben als Christ, ist immer ein herausfordernder Ausnahmezustand! Es geht immer um Entscheidungen. Sich mit Jesus zu identifizieren, bildet und formt die eigene Identität für den einzelnen Christen wie auch für die Gemeinschaft, für die Kirche. Irgendwann aus diesem Prozess heraus zu wissen, wer man selbst ist, führt zu Selbststand und zur Freiheit, zur Versöhnung mit sich selbst und seiner Existenz. Dazu will Gott uns in seiner Gnade leiten, bis wir am Ende unserer Tage endgültig bei ihm ankommen.
Der Titel des einen Buches, von dem ich am Anfang der Überlegungen gesprochen habe, lautet: „Zusammenhalten“. Er bezieht sich auf die Erfahrungen des Autors angesichts der Flutkatastrophe im Ahrtal. Das ist auch im Blick auf die kritische Situation der Kirche eine Perspektive, die weiterbringen kann, will sagen: Zu einer Gemeinschaft neu zusammenzufinden und aus dem Raum der Freundschaft mit Jesus, aus seinem Geist zu leben und die Erfahrungen des Glaubens auszutauschen, um so auf die Zukunft Gottes zuzugehen und zusammenzufinden, um in der Not und den Krisen unserer Zeit und der Kirche offen und transparent und immer in der echten Beziehung zu Jesus Christus, zu leben und zu handeln, das ist ein gangbarer Weg, um auch Katastrophen zu bewältigen. Die andere Perspektive, das ist der Titel des anderen Buches, von dem ich gesprochen habe, heißt: „Ich muss raus aus dieser Kirche“. Ehrlich: Für mich ist das keine fruchtbare Weg-Alternative für den Glauben. Aber das ist immer die Entscheidung eines jeden und einer jeden selbst.
Gott zwingt niemand, so sagt es das Angebot seiner Liebe in Jesus.
Er fragt dich und mich, jeden von uns: „Für wen hältst du mich? Für wen haltet ihr mich?“
Ich erbitte für Sie, für Euch, für uns alle Gottes Gnade und seinen Segen!
Bleibt behütet! Ihr P. Guido