„Ich bin die Tür“, sagt Jesus
Predigt zum 4. Sonntag der Osterzeit – A – 1 Petr 2, 20b-25 und Joh 10, 1-10
Keine Frage: Das Bild von Jesus, dem guten Hirten, das im Johannesevangelium gezeichnet wird, ist uns wohlbekannt. Und das nicht nur aus den Schriften des Alten- und des Neuen Testamentes, sondern ebenso von vielen künstlerischen Darstellungen in der Geschichte bis heute. Aber ist dieses Wort „verstanden“?
Ziemlich schnell überhört man auch ein anderes Bildwort, das ebenfalls im Johannesevangelium dieses Sonntags steht. Es ist das Wort Jesu, das nach dem Evangelisten Jesus als die „Türe“ bezeichnet, genauer, die „Türe“ zu den Schafen (vgl. Joh 10,7). Nun, wenn die Jünger schon den Sinn des „Hirten-Wortes“ nicht verstanden haben (vgl. Joh 10,6b), wie sollen sie dann das noch viel kryptischere Wort von der „Türe“ verstehen? Wie sieht es da denn bei uns Heutigen aus?
Ich möchte Sie einladen, sich mit mir betrachtend und meditierend diesem Wort des Evangeliums zu nähern.
Es klingt banal, aber erst durch die Türe wird ein Haus zu einem Raum, in den wir eintreten und den wir auch wieder verlassen können. Vor allem aber: Durch die Türe lässt sich ein Haus öffnen oder verschließen. Manchen Türen ist es anzusehen, ob sie die Bereitschaft der Hausbewohner anzeigen, einzulassen oder eher auszugrenzen. So ermöglicht oder verhindert die Türe Gemeinschaft. Wer jemandem die Türe öffnet, lässt ihn nicht nur in sein Haus oder seine Wohnung ein, sondern auch in sein Leben. Wer jemanden an der Tür abweist, ihn dort abspeist, hat nicht viel mit ihm im Sinn. So verschieden gehen Menschen mit ihren Türen um. Einige halten sie auf, sind gastfreundlich, haben ein offenes Haus. Andere ziehen sich in ihr Haus zurück, igeln sich ein und halten die Tür verschlossen.
„Ich bin die Tür“, sagt Jesus. Eine lebendige Türe also. Lebendige Türen, ob wir sie uns vorstellen können? Menschen, die nicht mauern, nicht zusperren, sondern öffnen, ja die füreinander wie Zugänge, eben Türen sind: Jemand, der uns hilft, einer, der uns einen Rat gibt, eine, die sagt: so kannst du es machen. Jemand, dem wir begegnen, und eine Türe geht wie von selbst auf; Freunde, die sich füreinander öffnen; Eltern, die ihren Kindern das Leben erschließen; eine Gemeinde, in der alle, die es wollen, aus- und eingehen können, in der sie ihre Begabungen füreinander einbringen und wie ein wohnliches Haus füreinander sind: Lebendige Türen.
„Ich bin die Tür“, sagt Jesus. Und: „Wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden“. Das heißt: Er ist nicht irgendeine Türe, durch die wir im Lauf unseres Lebens auch einmal gehen
werden. Er ist die Türe, auf die es ankommt. Bei ihm stehen wir nicht vor verschlossenen Türen, bleiben wir nicht „draußen vor der Tür“ wie es der Schriftsteller Wolfgang Borchert (1920-1947) in seinem gleichnamigen Roman der Nachkriegszeit formulierte. Er will nicht, dass einer ausgesperrt bleibt ohne Liebe und Leben.
„Ich bin die Tür“, sagt Jesus. Dabei ist er „kein Weiser im irdischen Sinn. Aber das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zu Schanden zu machen“ (vgl. 1 Kor 1,26f).
So hat er selbst vor der dunklen Wand des Todes gestanden. Er hat die undurchdringlichste Mauer aufgebrochen: Die Mauer des Todes. Nun können auch wir hindurch. Er ist die Tür. Durch diese Tür gehen wir, um das Leben zu haben.
„Ich bin die Tür“, sagt Jesus. Er hat die Kraft, zu öffnen und zu schließen, die Kraft, die Tore der Unterwelt aufzusprengen, die Pforten des Paradieses aufzustoßen, den Zugang zur Unsterblichkeit freizugeben. „Ihm kann kein Siegel, Grab noch Stein, kein Felsen widerstehn!“ heißt es in einem Osterlied (GL 779 im Limburger Anhang).
„Ich bin die Tür“, sagt Jesus. Beim Exodus der Israeliten sind die „Türpfosten und der Türsturz“ mit dem Blut des Lammes bestrichen (vgl. Ex 12,7), das beim Passah, dem Vorübergang Gottes beim Auszug aus Ägypten zeichenhaft die Kinder Israels vor dem Tod schützte. Nun ist Jesus das Osterlamm, angenagelt ans Kreuz. Sein Blut ist das Zeichen des Neuen Lebens, Schutz vor den Mächten des Todes. Er hat die Arme ausgespannt; mit der Lanze öffnen sie sein Innerstes, sein Herz. Voll in den Tod gegeben wird er – das Herz weit offen – ein ganz Geöffneter, will heißen, die lebendige Verbindungstür zwischen den Räumen des Himmels und der Erde, des Oben und des Unten, der Zeit und der Ewigkeit. Er sprengt versiegelte Tore und blockierte Herzen, und so wird der Auferstandene selbst die Eingangspforte zum Leben.
„Ich bin die Tür“, sagt Jesus. Eine offene Tür, Ein- und Ausgang. Ohne ihn wären wir wie in einem Haus ohne Türe. Niemand könnte zu uns kommen, und wir könnten nicht hinaus.
„Ich bin die Tür“, sagt Jesus. Durch ihn ist unser Menschenhaus offen und wir werden erst jetzt zu denen, als die uns Gott von Anfang an gewollt hat. Kirche, Gemeinschaft für alle, keine geschlossene Gesellschaft. Durch den Auferstandenen, der durch die geschlossene Türe zu den Aposteln kommt, bleiben wir nicht mehr nur unter uns, in unseren Ängsten gefangen, sondern lernen, miteinander zu teilen und durch Versöhnung neu anzufangen, im anderen Menschen die Schwester und den Bruder zu erkennen. In die Mauern unserer geschlossenen Gesellschaft ist eine Bresche geschlagen, eine Türe eingesetzt. Durch sie teilt sich Gott uns mit, tritt er ein bei uns, sucht er Gemeinschaft mit uns. Jesus ist die Türe, durch die Gott mit seinen Gaben, mit seinem heiligen und heilenden Geist zu uns kommt. Und wir werden selbst geöffnet und zu Türen des Lebens.
„Ich bin die Tür“, sagt Jesus. Nicht nur die Türe zu uns, sondern auch die Türe für uns. Durch diese Tür werden wir ein und ausgehen und Weide finden. Beide Möglichkeiten entfalten sich. Zum einen, dass jemand zu uns kommen kann; zum anderen, dass wir aus unserer Enge und Armut hinausgehen können, um das Leben zu finden, nach dem wir zutiefst verlangen: Das Leben in Fülle. Sind wir doch nicht auf ein Leben im Mangel entworfen, sondern ein entfaltetes, reiches Leben suchen wir, ein Leben, das nichts als Leben ist und Liebe.
„Ich bin die Tür“, sagt Jesus.
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido