Predigt zum 5. Sonntag im Jahreskreis – C – Jes 6,1-2a.3-8 und Lk 5,1-11
Es sind wirklich zwei faszinierende Berufungserzählungen, die des Propheten Jesaja und dann jene des Fischers Petrus. Was ist ihnen gemeinsam und was kann jedem und jeder von uns auf dem Weg des Christseins hilfreich, ja wegweisend sein? Schauen wir auf die beiden Erzählungen.
Jeder der beiden Berufenen hat etwas „gesehen, etwas Überwältigendes erfahren“: Jesaja „den Herrn, als König auf einem hohen und erhabenen Thron sitzend“ (Jes 6,1), und Petrus den von Menschen nicht plan- und machbaren überreichen Fischfang: auf Jesu Geheiß fängt er mit seinen Gefährten „eine so große Menge Fische, dass ihre Netze zu zerreißen drohen“ (vgl. Lk 5,6). Und beide zwingt diese sie buchstäblich umwerfende Erfahrung in die Knie; beiden wird ihre eigene Ohnmacht und Schwäche angesichts des sie berufenden und sendenden Herrn bewusst: „Weh mir, ich bin verloren“, ruft Jesaja aus, „denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen und lebe mitten in einem Volk mit unreinen Lippen, und meine Augen haben den König, den Herrn der Heere, gesehen“ (Jes 6,5). Und Petrus kann nur stammeln: „Herr, geh weg von mir; ich bin ein Sünder“ (Lk 5,8), denn er und seine Begleiter sind von Schrecken erfasst, getroffen bis ins Mark. Es ist wohl so, dass von Gott Berufene und Gesandte zu allen Zeiten etwas erfahren, das sie zutiefst bewegt, in unserem Beispiel sogar in die Knie gezwungen hat. Sie begreifen, dass sie davon nicht schweigen können; auch dann nicht, wenn sie wissen, wie weit sie selbst hinter dem Anspruch dieser Botschaft zurückbleiben: Jesaja wie auch Petrus sollen Verkünder des Gotteswortes sein. Jesaja als Prophet und „Mund Gottes“ und Petrus als Beauftragter Jesu, als „Menschenfischer“ für den Weg des Glaubens an den Gott der Liebe und Barmherzigkeit.
Diesen Augenblick, in dem ein „Angerührt-sein“ vom Größeren bewusst wird, diesen Augenblick dürfen wir eine Gnade nennen. Es ist der Finger Gottes, der den Menschen anstößt, eine Art Weckruf, der die Augen öffnet, für einen selbst und – so lese ich es aus den beiden Berufungsgeschichten – der trotz der Erkenntnis der je eigenen Kleinheit und Schwäche, den Angesprochenen und Angerührten hinführen will zu dem, was Gott ihm zutraut. Gleichzeitig wird das Bewusstsein geweckt, dass in der Annahme und dem Folgen der Berufung auch die Hilfe und Stärke Gottes sich entfalten wird. Das heißt: Dem Impuls der Gnade muss die Antwort des Glaubens in Wort und Tat folgen, soll der Gnadenimpuls nicht ins Leere laufen. Dazu kommt: Gott rührt in seinem Gnadenimpuls zwar einzelne Frauen und Männer an, aber er öffnet immer die Augen für das Ganze seines Reiches, will sagen, wer Gottes Ruf folgt, ist wie Gott selbst – der die Liebe ist – für andere gerufen und zum Dienst für- und aneinander bestellt. Wie, das können wir an Jesus sehen.
Nun gibt es die, so möchte ich sie nennen, „große“ Berufung eines Jesaja, eines Petrus und anderer, die wir „Heilige“ nennen und die in der Gestaltung und Formung ihres Lebensweges als Wichtigstes ihren Dienst für Gott und die Menschen erkannten. Sie sind uns als Beispiele und Vorbilder gegeben. Schauen wir hin:
Was wäre aus einem Saulus geworden, hätte ihn Jesus vor Damaskus nicht vom Pferd gestoßen? Was wäre aus einem Franz von Assisi geworden, wäre er nicht in den Augenblick in die Kirche seiner Heimatstadt gekommen als man das Evangelium vom Verzicht auf Reichtum vorgelesen hat? Was wäre aus einem Ignatius von Loyola geworden, hätte man dem im Kampf Verletzten tatsächlich die gewünschten Ritterromane und nicht, wie es geschah eine Heiligenlegende zur Lektüre gegeben? Was wäre aus einer Theresa von Avila geworden, hätte sie nicht nach vierzig Jahren im Kloster ein Bild des Antlitzes Jesu im Kreuzgang ihres Klosters neu wahrgenommen? Was wäre aus Edith Stein geworden, hätte ihr eine Freundin nicht das geistliche Werk von Theresa von Avila zum Lesen vorgeschlagen? Was wäre aus Mutter Theresa von Kalkutta geworden, hätte sie nicht bei einer Zugfahrt zu ihrem Kloster, wo sie als Nonne Lehrerin war, den Gedanken gehabt, dass sie Licht für die Schwachen und Armen sein müsse? Was wäre aus Charles de Foucauld geworden, hätte nicht ein Priester, bei dem er in der Kirche Sacre Coeur in Paris beichtete, als Buße die heilige Kommunion gereicht? Bei noch vielen mehr ist es so: Ein Hinweis, ein Augenblick der Öffnung, ein Gnadenimpuls, der ins Herz, in die Personenmitte trifft, ein Anrühren, das die Menschen auf Gott, auf Jesus hin anstößt und eine neue Perspektive auf das eigene Leben und auf die Lebensgestaltung möglich macht und zu einer neuen und tieferen Beziehung zu Gott und den Menschen führt. Der Lebensweg öffnet sich neu. Gnade…
Wie aber sieht es mit dem genannten Gnadenimpuls des Anrührens durch den Finger Gottes bei uns aus, bei uns „Alltagschristen“? Wenn ich auf meinen eigenen Lebensweg schaue, dann denke ich daran, wie er sich wohl gestaltet hätte, wäre da nicht der Anstoß eines Bekannten gewesen, einmal in Marienstatt einige Tage zu verbringen? Als ich im Sommer 1974 das erste Mal in der Abteikirche war, hat das meinen Weg beeinflusst. Ganz sicher kennen sie alle solche Anstöße. Wenn ich in die Lebensgeschichten von Menschen schaue, dann sehe ich unendlich viele Anrührungen: Manche sehen aus wie Schicksalsschläge, Krankheit oder Unfälle, andere sind geprägt durch Künste, Literatur, Musik, wieder andere durch Erlebnisse in der Natur und natürlich Begegnungen mit Menschen… Gottes Ruf geht an jeden, an jede von uns, denn er traut uns zu, seine Liebe in Wort und Tat zu leben und weiterzugeben. So sind wir gerufen und werden von Gottes Geist und seiner Gnade entsprechend der gottgeschenkten Gaben und Fähigkeiten angestoßen, in der Familie, im Beruf, in unserer Gesellschaft und auch in der Kirche, im Bewusstsein der je eigenen Schwäche aber immer im Wissen um seine Gnade, mitzuwirken an Gottes Werk. Halten wir uns also offen und bereit für Gottes Anrührungen, damit wir die Chancen seiner Gnade (dafür steht der überreiche Fischfang) nicht verpassen. Vielleicht führt Gott uns in unseren Tagen genau deshalb das Versagen und die Schuld Einzelner in unserer Kirche vor Augen, damit wir alle sensibler werden, für seinen Auftrag der Liebe und bereit, unser Leben zu ändern auf ihn und auf unsere Mitmenschen hin, wie er es uns in Jesus gezeigt hat.
Seien Sie gesegnet und behütet! Ihr P. Guido
Und hier die Tagestexte zur Messfeier des 5. Sonntags im Jahreskreis